Die Tote im Heidbergbad. Ingo M. Schaefer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ingo M. Schaefer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742774569
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      „Was Spannendes zu sehen?“ versuchte ich die Stimmung zu heben. Frau Doktor reagierte nicht und arbeitete ihre Liste ab, Punkt für Punkt.

      „Freitag, der 29.7.2009, Zeit 18:46 Uhr, Ende der Obduktion, Durchführung Dr. Sonja Marker. Bitte Bestätigung durch Hauptkommissar Karl Nagel - laut und deutlich.“

      Sie machte das immer so. Erst wenn ich laut das Okay ins Mikrophon brüllte, gab sie mir Funde für die Spurg. Wie ich sagte, eine sehr gründliche Pathologin.

      Sie hielt mir drei kleine beschriftete Dosen hin sowie Stift und Empfangsblock. Ich unterschrieb das Ende meines Urlaubs.

      „Im Wundkanal lagen Späne, pflanzlich auf den ersten Blick. Ein spitzer Stab oder ein Rohr, ein Zentimeter im Durchmesser, könnte die Mordwaffe sein.“

      Ich dankte ihr und verließ etwas zuversichtlicher gelaunt die kalten Kellerräume. Ich musste noch auf die einwandfreie Identifizierung durch Zähne und DNA der Vermisstenanzeige warten.

      Ich fuhr ins Reich der Spurg, traf dort aber niemanden. Ich rief Yannick an.

      „Es ist warm. Es ist hell. Es ist windstill. Es ist Lesumer Sommer. Wir haben nicht mal ein Viertel geschafft. Alle musste ich hierher beordern.“ Er verstand es glänzend, mir ein schlechtes Gewissen einzureden. „Bring die Dosen her. Ich muss dir was zeigen!“ Er unterbrach die Verbindung. Warum sich verabschieden, wenn man sich traf.

      5

      Mittlerweile hatte Yannicks Team den sonst versteckten Eingang von Gestrüpp befreit. Eine Wache stand davor und nickte mir zu. Als ich am Badleiterhaus vorbeiging, erinnerte ich mich an damals. Das Heidbergbad hatte nicht nur zwei Stadtteile, sondern mehr Generationen vereint als jeder Jahrmarkt. Früher liefen, sprangen und flanierten nackte Füße, groß und klein, auf dem samtenen Rasenteppich. Kleinkinder kletterten sandbeschmiert auf dem hölzernen Spielgerüst im überdimensionalen Sandkasten herum. Jetzt stand der Leiter der atmenden Wegwerf-Overalls - auffallend viele - auf einer Seite des ehemaligen Gerüsts. Abgebrochene Holzpfeiler zeigten, wo das Gerüst gestanden hatte. Ich blieb auf der gegenüberliegenden Seite stehen. Helmke zeigte ein Kindergesicht, das Weihnachten und Ostern gerade wiederholen ließ. Das kam selten genug vor. Yannick bemerkte meinen Blick zu den vielen Mitarbeitern.

      „Das hier ist unberührtes Gebiet“, rief er begeistert, als ob ich zweihundert Meter weit weg wäre. Er zielte mit dem Zeigefinger auf den Sand. „Gerade wächst eine dünne Humusschicht heran. Beste Schulungsbedingungen. Damit du verstehst, womit wir es hier zu tun haben. Nach Schließung des Bades entstand hier eine einmalige Situation. Die Wiedereroberung der Natur wie sie vor 10.000 Jahren nach Ende der Eiszeit stattfand. Derselbe Prozess findet hier im Kleinen statt.“

      Er machte eine allumfassende Geste, als ob er dafür verantwortlich war. Ein feiner, zarter Belag bedeckte den Sand. Das sah ich jetzt auch. Die Hände meines Freundes zeigten abrupt in eine Richtung, so dass ich in der hinteren Ecke den Fußabdruck sehen musste. Die Bruchkanten schienen für mich recht scharf zu sein.

      „Der Abdruck ist vom Täter?“, fragte ich schnell.

      Der Zeus der Spurensicherung verzog sauertöpfisch das Gesicht.

      „Wenn du mich ausreden lassen würdest, könntest du dir die Frage selbst beantworten. Wir könnten den gesamten Fußabdruck mit dem Sand in einem Schutzkasten ausheben. Wir müssten die Humusschicht genau untersuchen, das Wachstum feststellen, um herauszufinden, seit wann sich eine neue Humusschicht auf dem Abdruck zu bilden beginnt. Die Untersuchung wird sehr lange dauern. Genehmigst du das?“

      „Nein!“, beendete ich seine Hoffnung auf eine weitere wissenschaftliche Veröffentlichung. Das fehlte noch, dass die sich jetzt im Labor verkrochen und Wurzeln unterm Mikroskop zählten. Ich hatte aber nur die Hälfte verstanden und Halbwissen war gefährlich. „Ist dieser Fußabdruck jetzt alt oder nicht?“

      Für einen Moment öffnete sich Yannicks Mund, um sofort wieder geschlossen zu werden. Dann holte er tief Luft.

      „Okay, stell dir einen Sandkasten vor. Hast du das?“

      Jetzt musste ich das Baby spielen. Ich nickte.

      „Ständig laufen Kinder darüber. Da kann nichts wachsen. Mit diesem Bild kannst du dir vorstellen, was die Gletscher damals gemacht haben. Auf dem Grund war nur Sand, darüber lagen Gletscher. Dazwischen konnte nichts wachsen. Verstanden?“

      „Begriffen.“

      „Eis ist weg. In der Luft fliegen Sporen, Samen und kleine Organismen. Die siedeln auf dem Sand. Keine Füße, keine Gletscher, die etwas kaputtmachen können. Ja?“

      Ich nickte.

      „Schicht auf Schicht baut sich auf. Flechten, Pilze, Bakterien kommen. So entsteht ganz langsam eine lebendige Schicht, die den Sand bedeckt. Hast du das?“

      „Ja!“ gab ich zu. Das hatte ich wirklich begriffen.

      „Das ist, was du als Humusboden bezeichnest. Das dauert Jahrzehnte, Jahrtausende. Je dünner die Schicht, um so jünger ist sie. Die Büsche und Wiesen hier wachsen auf einer dicken fetten Humusschicht. Darunter ist auch nur blanker Sand, Lehm oder Fels. Kapiert?“ Er genoss es gar nicht, wie ich gedacht hatte.

      „Ja!“

      „Seit der Schließung bildete sich auf dem Sand eine Humusschicht. Ist das angekommen?“

      „Ja!“

      „Das sind fünf Jahre Wachstum eines Humusboden. In dieser Zeit ist jemand dort hineingetreten. Aber wir können das nicht eingrenzen. Jetzt klar?“

      „Alles klar! Wenn sich auf dem Fußabdruck ebenfalls eine neue Humusschicht gebildet hätte, muss man in Jahrzehnten, nicht in Monaten rechnen. Kenn´ ich von zu Hause. Gut, also das führt zu nix, außer einem deutlichen Gipsabdruck.“ Ich fragte gar nicht erst nach der Tatwaffe. Hätte Yannick sie gefunden, hätte er sie mir als heiligen Gral verkauft. „Stülpe einen Eimer drüber und warte ab. Vielleicht findet Marker an der Leiche doch Hinweise, so dass wir dies hier nicht brauchen. Wenn nicht haben wir was in Petto.“

      Mein Handy klingelte. Die Pathologin hatte das Opfer nun einwandfrei identifiziert. Sie war hochgebildet, weil sie komplizierte Sachverhalte mit einfachen Worten erklären konnte. Frau Doktor grenzte den Todeszeitpunkt auf Ende April/Anfang Mai ein. Wir konnten den Ehemann informieren.

      6

      Frederike und ich standen an der Haustür. Ein kleines gemütliches Haus, hinten wohl ein kleiner Garten. Hans Hogen, 31 Jahre, glattes Gesicht bot uns einen Platz im Wohnzimmer an, der mir Ausblicke auf die Terrasse und den großen langen Garten gewährte. Die Wohnung zeigte Vernachlässigung. Staubflusen, groß wie Ostereier, lagen auf dem Laminatboden. Der Garten wucherte zu wie der Tatort. Die Terrassenplatten moosten vor sich hin. Gräser in den Fugen grenzten das Moos quadratisch ein.

      Hogen machte den geschockten Ehemann, der nach langer Warterei endlich Gewissheit hatte.

      Chico und die anderen befragten Nachbarn. Der Kaufmann kleidete sich teuer. Boss-Jeans und Lacoste-Hemd. Schein und Sein. Der Gedanke schoss mir ohne sichtlichen Grund durch den Kopf. Fotos zeigten ihn und seine Frau. Sie war in der Registratur tätig gewesen. Modelkarriere hätte auch geklappt nach Meinung meiner natürlich völlig neidlosen Mitarbeiterin. Ich hatte drei Worte: Knochen statt Frau. Die jungen Hähne heute wollten das wohl so. Meine Marga hatte Traummaße nach 25 Ehejahren, Beruf und zwei Kindern. Meine Traummaße.

      Das Gespräch mit dem Witwer brachte zu diesem Zeitpunkt wie erwartet wenig. Nie sei er nach der Schließung auf dem Gelände des Freibades gewesen. Sei ja Privatbesitz. Glücklich, toll, super, perfekt sei die Ehe gewesen. Ich hörte Werbung wie auswendig gelernt. Verpackung und wenig Inhalt. Perfekte Ehen erleben silberne, goldene oder eiserne Tage, wollte ich sagen, behielt ich dann doch für mich. Ich hätte Frederike, die ihre Trennung gerade glücklich verdaut hatte, möglicherweise gekränkt.

      Jemand hatte eine junge hübsche Frau hinterrücks an einem verlassenen Ort mitten in Lesum ermordet. Sie hatte der Person