Blaues Netz. Jean-Pierre Kermanchec. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean-Pierre Kermanchec
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847615514
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Ewen, du hast ja nie Zeit.“ Yannick Detru lachte als er sich auf dem Weg nach oben machte und zurück nach Quimper fuhr.

      Ewen sah sich weiter an der Fundstelle um, er versuchte Spuren zu finden, die darauf hinweisen konnten, wie der Tote an diese Stelle gekommen ist. Hier war er nicht getötet worden. An keiner Stelle fand sich eine größere Blutlache. Der Stich ins Herz und der an der Halsschlagader mussten sehr stark geblutet haben.

      Ewen suchte vorsichtig in den Taschen des Toten nach Papieren. Das Portemonnaie befand sich in der Innentasche des Jacketts. Ewen zog es heraus und öffnete es. Er sah den Personalausweis und las, Charles Morgat, Trégunc.

      Ewen ging zu seinem Kollegen von der Spurensicherung.

      „Ich habe seinen Ausweis gefunden. Der Mann heißt Morgat und ist aus Trégunc. Im Portemonnaie sind über dreihundert Euro. Ein Raubmord war dies also nicht. Dustin, hast du schon etwas Brauchbares gefunden?“

      „Ja, hier vorne gibt es eine Schleifspur.“ Dustin Goarant zeigte auf eine Stelle unweit der Fundstelle der Leiche. Er war seit ewigen Zeiten bei der Spurensicherung in Quimper. Er und Ewen waren seit Jahren gute Freunde und Ewen wusste, dass er sich auf Dustin absolut verlassen konnte.

      Dustin war Junggeselle und sein Leben bestand nur aus seiner Arbeit. Sein einziges Hobby war das Fischen. In seiner Freizeit ging er häufig ans Meer. Bei Mousterlin gab es auf der schmalen Landzunge, die sich parallel zum Meer erstreckte und etwa dreieinhalb Kilometer lang war und sicherlich nicht mehr als hundert Meter breit eine Stelle, die er sehr gerne aufsuchte. Der Strand hatte etwas gröberen Sand und war im Frühjahr und im Herbst oder Winter nicht sehr stark von Spaziergängern frequentiert, so dass er in Ruhe dort seine Angeln auslegen konnte. Dustin hatte stets mindestens drei Angeln dabei wenn er ans Meer fuhr.

      Ewen folgte Dustin zu der Schleifspur und betrachtete sie sehr genau. Er konnte jetzt sehen was Dustin meinte. Das Gras hatte sich bereits wieder aufgerichtet, aber der Boden wies Vertiefungen auf, die von den Absätzen der Schuhe des Toten stammten. Durch den starken Regen war der Boden aufgeweicht und die Schuhe des Toten hatten eine deutliche Spur hinterlassen. Die Spur führte aber überraschenderweise nicht zur Straße sondern verlief in nördlicher Richtung, beinahe parallel zum Aven. Ewen Kerber folgte der Spur. Nach etwa einhundert Metern stand er auf einem Felsen, der an dieser Stelle etwa zehn oder zwölf Meter über den Aven ragte und den Blick auf den Fluss und das nahe Ufer freigab.

      Ewen sah die zahlreichen Zerklüftungen und die Grotten, die sich hier entlang des Aven gebildet hatten. Den Touristen wurden bei den Bootsfahrten auf dem Aven diese Grotten gezeigt. Sie waren aber nicht so groß, dass man sie hätte besuchen können, wie man dies aus anderen Regionen kannte.

      Wir Bretonen sind schon sehr eigenartige bodenständige Menschen, dachte er sich, als er auf die Grotten sah. Viele seiner Freunde waren noch nie aus dem Département Finistère herausgekommen, so auch sein Freund, der Sardinenfischer Claude. Er war noch nicht über Quimper hinausgekommen. Ewen kannte viele Menschen, die das Finistère noch nie verlassen hatten, geschweige denn die Bretagne. Die Menschen schienen zufrieden. Wenn man von den Ereignissen in Paris oder Lyon hörte, dann war das weit entfernt. Aus Paris, dem Sitz der Regierung kam sowieso selten etwas Vernünftiges. Wenn dann doch einmal etwas die Bretonen betraf, dann war es in der Regel etwas, das sie eher auf die Barrikaden brachte. Erst kürzlich hatten die Bauern gegen die Milchpreise demonstriert. In Quimper wurde kurzerhand ein Kreisverkehr lahmgelegt, die Bäume darauf abgesägt und ein Feuer angezündet. Der Schaden belief sich auf mehrere hunderttausend Euro und die Stadträte diskutierten darüber, wer für den Schaden aufkommen sollte.

      Auch in der Urlaubszeit, wenn ganz Frankreich sich auf die Fahrt in den Süden aufmachte und der Verkehr regelmäßig zum Erliegen kam, konnte der Bretone zu Hause bleiben. Das Meer liegt vor der Haustür, so dass man seinen Urlaub auch hier verbringen kann.

      Ewen Kerber widmete sich nun wieder der Umgebung. Der Felsen, auf dem er stand zeigte keine Blutspuren, auch hier, da war sich Keber sicher, war der Mann nicht ermordet worden. Ewen Kerber sah sich die nähere Umgebung des Felsen an. Wie ist der Tote hierhergekommen? Wenn man ihn nicht hier ermordet hatte, dann mussten doch weitere Spuren zu sehen sein. Er suchte den feuchten Boden rings um den Felsen ab. Nicht einmal Schuhabdrücke waren zu sehen. Über einen so feuchten Boden war es unmöglich zu gehen und keine Spuren zu hinterlassen. Für Kerber stand fest, dass der Tote nur über den Aven hier hergebracht worden sein konnte. Kerber ging zurück zu seinen Kollegen.

      „Wir sollten sofort die Bewohner der Häuser in der näheren Umgebung befragen, ob ihnen in den letzten Tagen etwas aufgefallen ist. In Gebieten mit einer so geringen Bebauung fällt den Leuten sofort auf, wenn sich ein Fremder hier bewegt.“

      Ewen Kerber hatte diese Worte an Marson und seinen Kollegen Ylian gerichtet.

      „Vor allem sollten wir klären, ob der Tote sich mit jemandem hier getroffen hat oder treffen wollte.“

      „Machen wir, Monsieur le Commissaire, soll ich nicht ein Bild von dem Toten mit meinem Handy machen, dann können wir den Leuten gleich das Bild zeigen?“

      „Gute Idee!“ meinte Ewen und deutete an, dass Marson fotografieren konnte.

      Danach drehte Marson sich zu Claude Ylian und winkte ihn heran. Bevor die Beiden gingen, wandte Marson sich aber nochmals zu Ewen um.

      „Monsieur le Commissaire, wissen Sie, wer da oben in dem ersten Haus wohnt?“

      „Natürlich nicht, aber Sie werden es mir gleich sagen, nehme ich an.“ Kerber sah Marson an.

      „Da wohnt dieser berühmte Maler, Corentin Murat. Er hat erst vor einigen Jahren zu malen begonnen und jetzt ist er schon fast weltberühmt. Er verkauft seine Bilder zu horrenden Preisen in einer Galerie in Paris. Der Mann ist schwerreich, aber etwas skurril, sagen die Leute in Pont Aven. In Pont Aven hat er einige Male ausgestellt. Aber weil er für seine Bilder 100.000 € und mehr verlangt, hat niemand etwas gekauft. Das macht ihm aber nichts aus.“

      „Ein berühmter Maler, ich habe noch nichts von ihm gehört!“ sagte Ewen und interessierte sich jetzt wieder mehr für die Spuren im Gras. Allerdings ging ihm das Gehörte nicht aus dem Kopf. Ein noch lebender Maler, der für seine Bilder über 100.000 € erhielt, das war selten.

      Rund um Pont Aven wimmelte es nur so von Künstlern. Egal welche Kunstrichtung man suchte, hier wurde man fündig. Ob Öl, Acryl, Aquarell, ob Fotografie oder Skulptur, alles konnte man in Pont Aven erwerben. Unzählige Galerien zeugen von der Vielzahl der Künstler, die sich hier aufhalten und aufhielten, seitdem Gauguin hier gearbeitet hatte und gemeinsamen mit anderen Künstlern seiner Zeit die Schule von Pont Aven gegründet hatte. In Pont Aven und dem nahegelegenen Le Pouldu hatten sich die Künstler niedergelassen und damit der Region den Kunststempel aufgedrückt.

      Ewen Kerber und Paul Chevrier machten sich auf den Weg nach oben. In seinen Gummistiefeln ging Ewen ganz gut auf dem feuchten Gras. Er dachte an den letzten Fall, da hatte er mit normalen Straßenschuhen über die Felsen an der Küste bei Rospico klettern müssen und von den anwesenden Polizisten nur ein müdes Lächeln kassiert. Als Ewen und Paul wieder auf der Straße standen sahen sie sich die Umgebung genauer an. Ewen konnte vereinzelte größere Anwesen sehen, die von wohlhabenden Leuten bewohnt schienen. Das Haus von diesem Maler, das der Polizist Marson erwähnt hatte, gehörte sicherlich zu den teuersten. Ewen schätzte, dass sich der Preis des Anwesens jenseits der Million Euro bewegte. Das Haus musste einen fantastischen Blick über den Aven und das Meer haben.

      Aber jetzt war nicht die Zeit für Gedanken an Immobilien. Sie hatten einen Mord aufzuklären. An ihrem Fahrzeug zogen sie die Stiefel aus, schlüpften wieder in ihre Straßenschuhe, stiegen in den Citroën C5 und machten sich auf den Weg nach Quimper.

      Auch wenn Ewen kein ganz so fanatischer Bretone war, so fuhr er doch ein «bretonisches» Auto. Der Citroën C5 wurde schließlich in der Hauptstadt der Bretagne gebaut. In Rennes befand sich seit 1961 das große Werk. Charles de Gaulle hatte es seinerzeit noch eingeweiht. Seit dieser Zeit werden die großen Fahrzeuge von Citroën hier gebaut. Auch wenn die Marke zuvor hauptsächlich rund um Paris ihre Produktion hatte, so betrachten die Bretonen dennoch die Fahrzeuge als bretonisch.

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