Lethal Vacation. Josephine Lessmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Josephine Lessmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753132730
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mindestens vier weitere Zigaretten geraucht hatte, kippte er die Balkontür und Fenster seiner Einraumwohnung an, um den Rauch herausziehen zu lassen.

      Er schloss seine Wohnungstür ab und schwang sein klappriges Rad über die Schulter. Auf dem Weg nach unten, kam ihm eine ältere Dame mit weißem lockigem Haar, Kittelschürze und einem Wäschekorb auf dem Flur entgegen.

      Oh man, bitte geh weiter. Bitte geh weiter!, hoffte er innerlich.

      »Herr Stephan!«, keifte sie ihm entgegen und musterte ihn mit zusammen gekniffenen Augen. »Sie ham de Reinijungswoche wieder verjessn! Wann hattense mal vor, dit zu erledijen?«

      Für einen Moment musterte Marvin die ältere Dame, den sogenannten Hausdrachen. Aus ihrem rechten Hausschuh lugte der große Zeh heraus und die Taschentücher in der Kittelschürze wurden nicht weniger.

      Patzig warf sie ihm den Wäschekorb vor die Füße.

      »Geht’s noch, Frau Huber?!«, empörte er sich, stellte das Fahrrad in den Flur und legte die Wäsche wieder in den Korb zurück.

      »De Reinijungswoche, Herr Stephan! Ick ruf bei der Verwaltung an. Dat mein ick ernst, dit wissen se«, schimpfte sie weiter und riss ihm den gepackten Wäschekorb aus den Händen.

      »Wenn Sie uns noch ein paar Jahre mit Ihrer Anwesenheit beglücken und ich dann eventuell auch Rente kriege, können wir sie gern gemeinsam machen. Bis dahin bin ich jedoch arbeiten. Also werde ich die Treppe dann machen, wenn ich die Zeit dazu finde«, erwiderte er schnippisch und grinste übertrieben.

      Empört blickte die ältere Dame ihm nach, als er sich das Fahrrad über die Schulter schwang und ohne ein weiteres Wort nach unten ging.

      *

      Nach zehnminütiger Fahrt erreichte er das separate Gelände der Charité. Er gab den Pin über ein Nummernfeld ein und hielt seinen ›Puk‹ auf den Scanner. Das Tor öffnete sich und der Virologe passierte die kleine Einfahrt. Er fuhr den Schotterweg entlang auf ein rotes Backsteinhaus zu. Ein paar Kollegen trafen sich zur Raucherpause davor und begrüßten ihn winkend. Doch er hatte keine Zeit. Der Kaffee drückte.

      Nachdem er sein Geschäft erledigt hatte, brachte er seine Sachen in die Umkleide und erblickte seine neue Kollegin.

      Na da kann der Tag nur gut starten, freute sich sein Herz. »Guten Morgen, Susann.«

      »Guten Morgen, Marvin«, erwiderte sie lächelnd. »Gehen wir heute ins Labor oder müssen wir die Notizen weiter abgleichen?«

      »Die Notizen abgleichen«, antwortete er kurz und bündig, während er sich seinen weißen Kittel überstreifte.

      »Oh, heute kurz gebunden. Hat dich Frau Huber wieder abgefangen?«, mutmaßte sie.

      Marvin seufzte. »Ja. Auf dem Flur. Wegen ihrer scheiß Hausordnung.«

      Schmunzelnd band sie ihre Haare zum Zopf zusammen, oder eher einem wilden Dutt. Lässig umspielten einzelne Strähnen ihr zartes Gesicht.

      Oh mein Gott, wie hübsch sie wieder aussieht, freute er sich gedanklich.

      Es war wahrlich eine Kunst geworden, sich diese schmachtenden Blicke nicht anmerken zu lassen. Doch seine Vernunft siegte immer wieder. Sie war zwanzig Jahre jünger als er.

      »Dr. Kaufmann hat vorhin angerufen. Du sollst in sein Büro kommen«, sagte sie ihm.

      Genervt japste er nach Luft und rollte mit den Augen. »Geh doch schon mal hoch. Ich werde ihm mal einen Besuch abstatten. Wer weiß, was er wieder will«, brummte er vor sich hin.

      Lächelnd nickte sie ihm zu, öffnete die Tür und hielt einen Moment inne. Ihre erwartungsvollen Blicke trafen sich und es schien, als würde sie erröten.

      Grinsend ließ er Susann als Erstes aus dem Zimmer treten.

      *

      Dr. Kaufmann war der Leiter des Instituts. Er teilte mitunter das Personal ein und traf wichtige Entscheidungen bezüglich der Forschung und finanziellen Förderung.

      Wenn er Susann jemandem anderen zuteilt, fängt er sich eine. Da geb‘ ich ihm Brief und Siegel drauf, schimpfte er innerlich, als er in der vierten Etage den Flur entlang schlenderte und locker die Hände in die Kitteltaschen steckte.

      Zögernd blieb er vor der Bürotür stehen und beäugte das bronzefarbene Namensschild. Seine Hand erhob sich, formte sich zur Faust und schlug dreimal gegen das Türblatt.

      Vielleicht ist der Sack nicht da und ich kann das Gespräch umgehen.

      »Herein!«

      Kopfschüttelnd schnappte er nach Luft und öffnete die Tür. Er trat ein, schloss die Pforte des Teufels und schlenderte auf ihn zu. »Was gibt’s?«

      »Setzen Sie sich«, forderte er und zeigte auf den Stuhl, der vor dem U-förmigen Schreibtisch stand.

      Schnaufend ließ er sich nieder und sah, wie der Leiter einen Bericht auf seinen Rechner tippte und Notizen auf einen Zettel abzeichnete.

      »Na, da hätte ich mir auch Zeit lassen können«, murmelte er leise vor sich her und erntete einen kritischen Blick.

      Dr. Kaufmann speicherte die Datei, drückte auf ›Drucken‹ und der schwarze Kasten hinter ihm begann zu rattern und zu brummen. »Sie werden heute einige Unterlagen bekommen, die Sie nach Lyon bringen«, verkündete er, nahm die ausgedruckten Unterlagen und unterschrieb diese.

      Marvin runzelte die Stirn, nahm das Pamphlet entgegen, überflog es und riss erstaunt die Augen auf. »Ich soll PO2 aus Frankreich holen?!«

      Dr. Kaufmann nickte, ließ sich in seinen Bürostuhl sinken und hielt seine ineinander gefalteten Hände vor dem Mund. »Die letzten.«

      Misstrauisch sah er seinen Vorgesetzten an. »Wie meinen Sie das? Die letzten?«

      »Wir bekommen keine neuen Fördergelder mehr für das Projekt. In zwei Jahren wird PO2 abgeschlossen und eingestampft.«

      Sprachlos stand Marvin der Mund offen. »Und … was … wie … Was passiert danach?«, stammelte er nervös.

      Dr. Kaufmann winkte lapidar mit der Hand ab. »Ach, da findet sich noch genug Arbeit für Sie. Grippeviren verändern sich stetig. Nächste Woche fahren Sie nach Lyon. Die Kollegen wissen Bescheid. Die Ergebnisse beider Gruppen müssen noch zusammengefügt und bearbeitet werden, damit es an die Kommission weitergegeben werden kann. PO2 wird dann eingelagert, bis es zum Ernstfall kommt.« Abgebrüht grinste der Leiter zufrieden vor sich hin.

      Marvin saß gedankenverloren vor dem Schreibtisch. »Und was wird aus Susann? Sie hat gerade erst angefangen?«, hakte er aufgebracht nach.

      »Das Püppchen? Die ist noch jung und wird in einer anderen Abteilung eingesetzt. Oder sie sucht sich was anderes. Aber Sie, Marvin, sind ein hochgeschätzter Wissenschaftler. Solche Leute brauchen wir.«

      Marvins Blick verfinsterte sich. Er hasste es, wenn Dr. Kaufmann abwertend über die weiblichen Kolleginnen sprach, vor allem über Susann.

      »Sie kennen doch Dr. Roux, oder?« Marvin nickte mit zusammengekniffenen Augen. »Gut. Setzen Sie sich mit ihm in Verbindung und machen Sie mit ihm eine Zeit aus, wann Sie dort aufkreuzen. Nächsten Donnerstag wird Ihnen ein Auto zur Verfügung gestellt. Die Adresse von der Autovermietung holen Sie sich bei Frau Anderson ab. Noch Fragen?«

      »Warum? Warum wird das Projekt plötzlich eingestellt?«, hakte Marvin patzig nach.

      Dr. Kaufmann stützte sich auf seinen Schreibtisch und dachte einen Moment nach. »Man investiert eine gewisse Menge in ein Projekt … Aber wenn man feststellt, dass nicht die gewünschten Ergebnisse kommen, beendet man es.«

      Empört schnellte Marvin vom Stuhl hoch. »Ich arbeite seit über drei Jahren an diesem Projekt! Wie oft habe ich Sie gebeten, die Mittel für die Heilmittelforschung zu beantragen! Wie oft!?«, betonte er noch einmal und schlug mit der Faust auf dem Tisch.

      »Beruhigen Sie sich«, bat der Leiter mit einer Seelenruhe,