Haarsträubende Geschichten. Gunnar G. Schönherr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gunnar G. Schönherr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847685531
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dem – leider verblichenen – R. Carrell bezüglich der Wohnwagenleidenschaft dieses Menschenschlags zur Kenntnis nehmen, sondern muss auch deren zivilisationstechnisch herausragenden Leistungen richtig zu würdigen wissen!

       Auf gute Nachbarschaft

       Nachdem mein etwas seniler Nachbar zuletzt fast täglich vor meiner Tür stand, weil sein Telefon nicht ging, habe ich ihm neulich den Vorschlag gemacht, ein anderes zu kaufen. Bereitwillig hat er zugestimmt und sich für meine Mühe bedankt. „Danke Klaus*“, sagte er, „was du alles für mich tust!“

      * Klaus ist der Name seines Neffen.

      Danach habe ich fast eine halbe Stunde bei eBay gestöbert, bis ich ein passendes Gerät (Seniorentelefon mit großen Tasten etc.) zum Superpreis von 15,90 Euro gefunden hatte, das ich dann gleich bestellt habe. Bereits zwei Tage später ist das Gerät eingetroffen, war tadellos in Schuss und hat mir sehr gut gefallen. Ein sofortiger Test in meinem Haus ergab, dass es auch einwandfrei funktionierte.

      Also bin ich unverzüglich zum Nachbarn ausgerückt und habe es ihm gebracht. Allerdings hatte er sofort erhebliche Zweifel, ob ein Austausch überhaupt sinnvoll wäre, da sein „altes“ ja tadellos funktioniere. Natürlich konnte ich aus verständlichen Gründen auf diesen Einwand nicht näher eingehen und habe mich flugs an die Installation gemacht. Es hat ihn ziemlich beunruhigt, als ich sein altes Telefon sang- und klanglos entfernt und das neue aufgestellt habe.

      Wiederholt stellte er meine radikale Maßnahme infrage und ließ durchblicken, dass dies alles unnötig wäre. Ich hatte derweil andere Probleme. Da sein Telefon im Esszimmer steht und der Anschluss sich im Wohnzimmer befindet, gab es keine Möglichkeit, das alte Kabel unbeschädigt zu entfernen. In der Trennwand zwischen Ess- und Wohnzimmer waren nur winzige Löcher, durch die gerade einmal das Kabel passte, jedoch nicht der Stecker, der bei dem ca. 25 Jahre alten Apparat ja noch fest verdrahtet war. Während ich also überlegte, wie ich das Problem lösen könnte, stand er mir immer auf der Pelle und bat schließlich inständig darum, die absolut überflüssige Aktion doch augenblicklich einzustellen.

      Aber ich hatte vorgesorgt! Wohlweislich hatte ich den Installationstermin mit seiner Haushaltshilfe, die deshalb ebenfalls zugegen war, abgestimmt. Sie wollte sich auch um die Hose kümmern, die ich für den Nachbarn zweimal gewaschen habe und aus der sich anhaftender Fahrradketten­schmutz trotzdem nicht ganz hatte entfernen lassen.

      Also bat ich Frau Lauterbach, sich etwas um den Nachbarn zu kümmern, während ich versuchte, das Problem in den Griff zu bekommen. Letztlich sah ich jedoch keine andere Möglichkeit, als den Stecker zu entfernen, denn sonst hätte ich riesige Löcher in die Wand bohren müssen. Das wollte ich aus nachvollziehbaren Gründen vermeiden.

      Möglicherweise hätte mein Nachbar diese Maßnahme auch nicht überlebt. Er hatte ohnehin schon einen recht roten Kopf und auch die Haushaltshilfe hatte große Mühe, ihn zu beruhigen und ihm das neue Telefon schmackhaft zu machen. Zuerst fragte er sie jedoch nach der Funktion der (wenigen) kleinen Knöpfe, die er in seinem Leben bestimmt nicht mehr braucht.

      Dann wagten wir den Test. Die Haushaltshilfe wählte mit ihrem Handy seine Rufnummer und siehe da ... es klingelte! Allerdings, das muss ich gestehen, nicht besonders laut. Sofort kritisierte er den Klingelton: „Des hör’ ich doch nicht!“ Also habe ich flugs die Bedienungsanleitung gegriffen und nachgeschaut, wie man die Lautstärke verstellen kann. Nach einiger Zeit habe ich die richtige Stelle gefunden und die Lautstärke geändert. Ein weiterer Test ergab, dass es nun laut genug war.

      Danach habe ich ihn gebeten, das Telefon selbst zu testen. Er nahm den Hörer ab und kritisierte das leichte Knistern, das auch ich bei meinen Tests vernommen hatte: „Ha, des isch jo wie beim alte, no wars grad auneitig!“ Ich versuchte ihm dann zu erklären, dass sein altes Telefon ja „Aussetzer“ gehabt hätte und er daher nicht immer telefonieren konnte. Dieses Argument ließ er nicht gelten, denn gerade heute hatte er ja schon erfolgreich telefoniert!

      Anschließend entdeckte er am neuen Telefon ein Lichtlein und fragte nach, ob das immer brenne. Erneut griff ich zum Büchlein und konnte herausfinden, dass diese Anzeige auf Anrufe in Abwesenheit hindeutete. Nun wurde es kompliziert. Ich konnte zwar der Bedienungsanleitung spielend entnehmen, wie die dazugehörige Rufnummer aufgerufen und wieder gelöscht werden kann, aber ich konnte ihm diesen komplexen Sachverhalt nicht einfühlsam genug vermitteln.

      Jedenfalls hat er es nicht begriffen. Daher habe ich die Haushaltshilfe beauftragt, ihm die Problematik näher zu erläutern, und ihm die Rechnung für das Telefon präsentiert, damit ich wieder nach Hause konnte. Mit einem sehr schlechten Gewissen habe ich dann nach einigem Hin und Her das Geld in Empfang genommen, mich verabschiedet und insgeheim für mich beschlossen, in nächster Zeit keine Telefone für andere Leute mehr anzuschaffen, geschweige denn zu installieren.

       Herr Hübner geht auf Schicht

       Die Finanzkrise anno 2008 hat mich nicht kalt gelassen, Lange habe ich darüber nachgedacht, wie es zu den Problemen kommen konnte. Nach und nach habe ich entsprechende Informationen studiert und somit tief reichende Erkenntnisse gewonnen, wie das Ganze abgelaufen ist und wohl auch in Zukunft ablaufen wird. Dazu nachfolgende, ein wenig unkorrekte Geschichte.

      Der Investment-Banker Feinbein schaute gelangweilt aus seinem Fenster im fünfzehnten Stock des Bürogebäudes der Golden-Sachsen-Investmentgruppe. Im Moment gab es für ihn praktisch nichts zu tun.

      Die Kurse fielen und fielen. Da war kein Eingriff notwendig. Das Computersystem war exakt programmiert. Sobald die Kurse einen festgelegten Tiefstand erreicht haben, verkaufte der Computer automatisch. Eine Änderung der Situation war nicht in Sicht. Trübsinnig dachte der Banker darüber nach, wie lange er wohl im wahrsten Sinne des Wortes nichts Besseres zu tun haben würde, als aus dem Fenster zu starren.

      Plötzlich entdecke er einen Schatten, der das schräg gegenüberliegende Wohnhaus verließ. Er traute seinen Augen nicht. Das wird doch nicht ... Rasch griff er zum Fernglas, das er schon vor einigen Tagen im Büro deponiert hatte, um sich die Zeit besser vertreiben zu können. Tatsächlich! Es war Herr Hübner, der gerade das Haus verlassen hatte! Er konnte durch das Glas genau erkennen, dass dieser in einem nagelneuen Monteuranzug steckte.

      „Potzblitz“, stieß er erregt hervor, „das sieht ja gerade so aus, wie wenn der Hübner arbeiten gehen wolle!“

      Sein Kollege, der bis dahin mit müdem Gesicht und rotgeränderten Augen auf einen Bildschirm gestarrt hatte, wurde aufmerksam: „Was sagtest du?“

      „Du, der Kerl von Gegenüber, der Hübner, ich glaube ..., der geht auf Arbeit!“

      „Waaas?“ Die Müdigkeit im Gesicht des Kollegen war wie weggeblasen. Aufgeregt sprang er von seinem Stuhl auf und riss dem anderen das Fernglas von den Augen.

      „Tatsächlich!“, stöhnte er aufgewühlt, „der Mann scheint wirklich wieder einen Job zu haben! Schnell, nimm dein Handy, damit wir das später auch beweisen können!“

      „Schon passiert“, erwiderte Feinbein gelassen, „das lasse ich mir doch nicht entgehen!“ Aufgeregt fummelte er an seinem Achthundertfünzig-Euro-Smartphone, um den Zoom optimal einzustellen. „Alles drauf!“, keuchte er befriedigt, „das wird garantiert ein Knüller!“

      „Was meinst du“, fragte sein Kollege, „um wie viel wird er das BIP1 wohl nach oben drücken?“

      „Schwer zu sagen“, erwiderte Feinbein, „so um die hundert Euro vielleicht.“

      „Hundert Euro, hundert Euro“, echote sein Kollege, „das ist nicht besonders viel, aber immerhin besser als nichts!“

      „Entscheidend ist“, meinte Feinbein, „ob er morgen wieder zur Arbeit geht, denn dann können wir von einer geregelten Tätigkeit ausgehen. Bei einundzwanzig Tagen im Monat sind wir dann schnell über zweitausend. Dann lohnt sich das Geschäft schon