"Helft mir, Herr", verlangte Llauk flüsternd. "Bitte!"
"Warum?" Sed eb Rea reckte sich gründlich und setzte sich dann gemütlich in seinen Korbsessel.
"Bitte!", wiederholte Llauk nur, weil ihm auch kein Grund einfiel.
"Helft diesem Wurm!", befahl der Kapitän den beiden Matrosen, die sich inzwischen ebenfalls aus dem Laderaum herausgearbeitet hatten.
"Sollen wir den Deckel anheben, oder einfach seinen Arm abhacken?", wollte einer der Männer wissen.
Sed eb Rea schien den Vorschlag ernsthaft zu überdenken.
Llauk spürte, dass er kurz davor war, ohnmächtig zu werden.
"Hebt den Deckel an", entschied der Kapitän schließlich. "Der Kerl hat mich zu viel gekostet. Er muß noch arbeiten."
Murrend mühten die beiden Matrosen sich mit dem Deckel ab; die andere Lösung wäre ihnen offensichtlich lieber gewesen. Doch so sehr sie sich auch anstrengten, der Spalt vergrößerte sich höchstens um einen Fingerbreit. Llauk bekam seinen Arm nicht frei. Erst als Sed eb Rea aufstand und mit anfaßte, gelang es endlich, den Deckel so weit hochzudrücken, dass der schwere Stein, der an dem Seil hing, wieder an seinen Platz rutschte. Sed eb Rea drückte mit einer Hand das Kantholz wieder an seinen Platz. Der Schmerz schoss in den Arm wie feurige Glut, und Llauk stürzte ohnmächtig auf die Planken der Großen Geliebten.
"Ah, seid willkommen!" Der Tuchhändler sprang auf und eilte den Ankömmlingen entgegen. "Kommt herein und nehmt Platz. Meine Frau wird Tee bringen und Wein. Hattet ihr eine gute Fahrt? Euer Bote war schon vor elf Tagen hier. Ich kann noch gar nicht begreifen, dass es jetzt schon so weit ist. Ja, Tuche aus Estador sind die besten! Setzt euch, setzt euch. - Irna, bring den Tee! - Hattet ihr eine gute Reise? Wie war das Wetter?" - Der Mann plapperte aufgeregt weiter, während seine Frau nervös lächelnd den Tee servierte.
Llauk sah Sed eb Rea bedeutungsvoll an, als er sich vorsichtig setzte. Sein angebrochener Unterarm tat bei jeder Erschütterung furchtbar weh.
Der Kapitän reagierte nicht auf Llauks Blick. Ganz auf den Gastgeber konzentriert, zeigte er sein liebenswürdigstes Lächeln. "Wir freuen uns, dass wir einen so guten Geschäftspartner gefunden haben, Herr!", unterbrach er den Redefluß des Mannes. "Doch lasst mich zuerst den Mann vorstellen, in dessen Haus Ihr in Sordos wohnen werdet: - Llauk! Stoffmacher und Kaufmann aus Idur, in eurem schönen Estador."
"Schön, dich kennenzulernen!" Erfreut sprang der Mann auf, ergriff über den Tisch hinweg Llauks Hand und schüttelte sie heftig.
Llauk jaulte auf, wie eine getretene Katze.
"Was hast du denn?" Irritiert ließ der Mann die Hand los.
"Herr Llauk hat leider einen kleinen Unfall im Hafen gehabt", behauptete der Kapitän. "Ein Karren ist über seinen Arm gerollt."
"Schlimm, schlimm", stellte der Mann fest. "Aber wie kann denn so etwas passieren?"
"Hingefallen", preßte Llauk mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
Der Kaufmann schüttelte verständnislos den Kopf. Dann kam er auf die Frage, die ihn schon seit Wochen beschäftigte: "Du bist also wirklich bereit, meinen ganzen Warenbestand aufzukaufen und mir dein Haus in Sordos zu überlassen, nur damit du hier in meiner Wohnung deine Geschäfte betreiben kannst?"
Llauk nickte stumm und betrachtete mit Tränen des Schmerzes in den Augen seine mißhandelte Hand.
"So ist es, Herr!", bestätigte Sed eb Rea. "Ihr betreibt in Sordos die Handelsniederlassung des Herrn Llauk, der Euch dafür Euren gesamten Bestand an Tuchen gegen blankes Geld abkauft. Weiterhin setzt Herr Llauk Euch ein Gehalt in Höhe von zehn Bronzestücken täglich aus, damit Ihr seine Stoffe in Sordos an den Mann bringt und ihm Eure Wohnung im Tausch überlasst."
"Und meine Wohnung hier in Thedra bleibt mir erhalten?"
"Der Vertrag gilt für fünfhundert Tage. Wann immer Ihr danach zurückkehren wollt, könnt Ihr es tun, Herr!"
Der Kaufmann verständigte sich durch einen kurzen Blick mit seiner Frau. Offenbar war sie einverstanden, denn er begann bedächtig mit dem Kopf zu nicken. "Wenn Ihr bereit seid, können wir zum Obmann des Felsens gehen und den Pakt besiegeln. Eine thedranische Handelsniederlassung in Sordos! Ich habe schon mit dem Obmann darüber gesprochen. Die Idee gefällt ihm gut."
"Dann lasst uns keine Zeit verlieren, Herr!" Der Kapitän stand auf. "Gehen wir zum Obmann und dann könnt Ihr anfangen zu packen. - Viel ist es ja nicht, was Ihr braucht. Das Haus des Herrn Llauk ist mit allem ausgestattet."
"Tja, äh ..." Der Kaufmann druckste herum und wußte nicht, wie er beginnen sollte. "Das Geld, ich meine, für die Ware, äh ..."
"Wieviel müßt Ihr haben für Euren Warenbestand, Herr?", half Sed eb Rea.
"Eintausendfünfhundert, äh ..." Das schlechte Gewissen war dem Mann förmlich anzusehen.
"Seid Ihr damit einverstanden, Herr?", wollte der Kapitän von Llauk wissen.
Der sah sich in der Höhle um. Die Tuche, die er sah, waren bestenfalls neunhundert wert. - Aber schließlich suchten sie ja einen Dummen, und dieses eine Mal wollte er seine Sache gut machen. "Kein Problem", meinte er mit gönnerhaftem Gesicht und wollte seine Worte mit einer lässigen Handbewegung unterstreichen, ließ es dann aber mit einem unterdrückten Wehlaut doch ganz schnell sein.
Auch bei dem Obmann verlief das Gespräch ganz nach Wunsch. Sed eb Rea sprach, und Llauk nickte ab und an bestätigend oder gönnerhaft. Jedenfalls war der Vertrag jetzt unter Dach und Fach. Sed eb Rea setzte den Abfahrtstermin auf übermorgen früh fest, und der Händler ging heim, um seine Sachen zusammenzupacken.
Wie zwei Freunde kehrten Llauk und der Kapitän auf das Schiff zurück.
Llauk war zufrieden. Jetzt konnte es langsam losgehen mit dem guten Leben in Thedra. Zwei Nächte noch auf dem Schiff, dann würde er endlich seine Wohnung beziehen. Er protestierte auch nur mäßig, als Sed eb Rea ihn unter Deck in den hinteren Laderaum führte und ihn über Nacht an den Besanmast fesselte. Er konnte dem Kapitän sein Mißtrauen nicht verübeln, wenn der auch die Fesseln grausam fest anzog.
Am nächsten Morgen wurden die ersten Stoffballen aus dem Lager des Kaufmanns angeliefert.
Wenig später kam Llauks Handelspartner an Bord, um sich schon einmal sein Geld anzusehen. Entzückt starrte er in die Truhe, die Sed eb Rea bereitwillig geöffnet hatte. Dutzende von Beuteln, gefüllt mit gutem Geld, lagen darin. Sed eb Rea öffnete einige von ihnen vor den Augen des Kaufmanns und ließ die Bronzestücke genüßlich in seine Hand fließen.
Bewundernd schaute der Mann zu Llauk herüber, der krampfhaft bemüht war, die Spuren der nächtlichen Fesselung unter seinem weiten Gewand zu verbergen. "Du bist sehr reich, Llauk!", stellte er fest.
"Verkauf du nur die Ware, die ich dir sende, dann wirst du auch bald so reich sein!", erklärte Llauk steif.
"Wenn es gute Ware ist", erklärte der Kaufmann stolz, "...werde ich auch gute Preise erzielen."
"Richte dich nur in allem was du tust, nach dem Rat meines Freundes Adiv eb Aser!", empfahl Llauk säuerlich. "Er ist ein mächtiger Mann in Sordos." Täuschte Llauk sich, oder hatte er den Kapitän bei diesen Worten lächeln sehen?
Schließlich war der Kaufmann wieder von Bord gegangen, wobei er vor Llauk eine tiefe Verbeugung gemacht hatte.
"Ihr habt übrigens recht, Herr", vertraute Sed eb Rea Llauk an, als der Kaufmann fort war. "Adiv eb Aser ist wirklich ein großer Mann in Sordos. Er ist Marschall des Hofes von Thonar. - Mein erster Diener!"
Der Kaufmann konnte es nicht erwarten.
Früh am nächsten Morgen, gleich nachdem das große Hafentor geöffnet worden war, kam er mit zwanzig Trägern an Bord der Großen Geliebten, um die Ware zu verstauen. Im Gegensatz zu Llauks Überfahrt nach Sordos wurden die Stoffballen diesmal nicht auf dem Vorderdeck verzurrt, sondern ordentlich in einen trockenen Laderaum gestapelt.