Baker Island. Hugo Berger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hugo Berger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748561033
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Reihe. Wir sind allein, ungestört. Viel zu verschwenderisch, dass ein Kleid genau das bedeckt, was ich genau jetzt so absolut gern und aus nächster Nähe begutachten würd. In der nächsten Gedankenszene stell ich mir ihren braungebrannten makellosen Körper darunter vor, wähne mich in der Rolle des lüsternen Piraten, der dieser Lady das enganliegende Kleidchen abstreift, die Unterwäsche begierend vom Körper reisst, ihre festen erregten Brüste ergreift, und seine ungezügelte Leidenschaft heftig zustoßend in ihrem zuckenden Unterleib versenkt, bis lustvolle Schreie die umgebende Stille vibrieren lassen.

      Nur einen viel zu kurzen Moment lang ist mir diese erotische Illusion vergönnt, dann zerplatzt das Klischee des lasterhaften Piraten, der in der blauen Lagune mit seiner erbeuteten Sklavin den sexuellen Liebensakt zelebriert, jäh wie eine Seifenblase. Ihre großen braunen Augen finden sich unmittelbar den meinen gegenüber. Ein Gesichtsausdruck, ausgefüllt mit einer natürlichen Leichtigkeit und samtweichen sinnlichen Lippen. Nur einen Wimpernschlag lang überkommt mich eine vage Erinnerung die sich umgehend wieder verflüchtigt, bevor sie den Weg in mein Erinnerungszentrum erreicht hat. Sind es die gleichen Lippen, die mich im Traum verfolgt haben? Nein, diese andere Frau war blond, sie hatte Lippenstift, es war zu viel Rot auf ihren Lippen, und sie war tot, oder? Verdammt, ich hasse diese Unwissenheit, die mich ständig umgibt wie in bunkerartiges Gefängnis, fuck.

      Das Gegenüber ist die Realität, auch wenn ich nicht weiß welche. Sie besteht aus einem wunderschönen Gesicht mit strahlenden, weißen Zähnen, die wie Perlen glänzen. Sie fixiert mich mit ihrem Blick, zuerst lächelnd, dann fragend und zuletzt nachdenklich, oder ist es ein Hauch von Verlegenheit? Dort, wo meine sündigen Gedanken gerade noch in Wolllüstigkeit gebadet haben ist jetzt eine beschämende Befangenheit getreten. Mein Emotionsbarometer, das mich gerade noch mit Leichtigkeit erfüllt hat, ist umgeschlagen auf Verzweiflung. Ich steh einfach da, wie eine Statue, steif und gedanklich ungelenkig wie eine Straßenlaterne. Die Lady scheint darauf zu warten, dass ich etwas sage. Ist sie irritiert, weil ich stumm bleib? Oder muss sie nachdenken, was in ihrem Drehbuchtext als nächstes steht? Ich werd es nicht sein, der die Konversation beginnt.

      Ein unverfängliches Lächeln nimmt wieder den Platz in ihrem schönen schmalen Gesicht ein. „Nimmst du mich mit?“

      Ich hab mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht mit dieser Frage. Kein Wunder also, dass ich nur ein automatisches „wohin?“ formulieren kann.

      „Wohin?“ wiederholt sie meine Antwort und lacht herzhaft belustigt. Es zaubert zwei kleine Grübchen ihr samtbraunes Gesicht und macht es noch hübscher, als es ohnehin schon ist. „Hm, okay, wenn du mich so fragst, dann möchte ich in diesem Fall nach … New York City…5th Avenue“, begleitet von einem mädchenhaften Kichern.

      Ich weiß wirklich nicht, was ich darauf antworten soll. Ich brauche mich nicht ahnungslos stellen, ich bin es. Genausogut könnte ich den kompletten Friedhof meiner Gedanken von hinten bis vorne umgraben, ich würd nicht einmal Staubkörnchen von Erinnerungen finden. „Okay Lady, und wie genau sollen wir da hinkommen nach New …?“

      Sie schließt kurz die Augen. Eine Heimlichkeit schleicht sich dabei in ihren Blick, der sich in Form kleiner kaum sichtbarer Falten auf ihrer Stirn zeigt, was wohl nur bedeuten kann, dass das die ziemlich falsche Antwort und die genauso falsche Frage war. Sie zögert etwas, bevor sie weiterspricht, dabei blitzen Ihre Augen von links nach rechts, als ob sie versuchen würde etwas in meinen Augen zu lesen. Dann wechselt sie das Thema.

      „Ist ja ein eleganter Schlitten, mit dem du da durch die Gegend fährst.“

      Obwohl ich mich nicht kenne, geh ich intuitiv davon aus, dass mir der Umgang mit dem weiblichen Geschlecht im Normalzustand keinerlei Probleme bereitet. Dieses feminine Gegenüber allerdings ringt mir eine Aufmerksamkeit ab, die mich verunsichert und irritiert.

      „Immerhin bin ich damit hierher gekommen.“

      „Du meinst, dieses … Ding fährt tatsächlich?“

      „Wenn du mir verrätst, wie wir in dieses New … kommen, dann werd ich mein Bestes versuchen, Lady.“

      Verdreht sie ihre dunkelbraunen Augen, in denen nun klitzekleine Fragezeichen auftauchen, oder scheint es mir nur so?

      Sie mustert mich nachdenklich. „Heilige Mutter Gottes, nein … dann nicht nach New York, nein … nach … Mexiko.“

      Welche Rolle spielt es für mich, ob New … oder Mexico, sie könnte genauso gut zum Nordpol oder einmal zum Mond und zurück wollen. „Mexico?“

      „Mexico, okay. Dann lass uns fahren, Fremder.“

      Fremder, wow. Dann bin ich wohl um einen neuen Titel in meiner Sammlung reicher. Ein -Mister-, ein -hey-, ein -Bruder- war ich bereits, jetzt endlich zutreffend das, was ich tief in mir selbst fühle, seit ich meinen Fuß auf diesen Punkt Erde in der Mitte eines Ozeans gesetzt habe, ein -Fremder-. Danke.

      „Auf was zum Himmel wartest du noch, fahr los.“

      Wann bekomme ich endlich eine verdammte Zigarette, vielleicht in Mexico? Immerhin lässt mich die Anwesenheit dieser Lady mein körperliches Leiden völlig in Vergessenheit geraten.

      Ich folg dem Lauf der Straße, mein scheuklappenartiges Blickfeld ist der schwarze Asphalt, der da und dort von ein paar Grasbüscheln durchlöchert ist. Dabei kann ich den unablässigen Blick meiner attraktiven Beifahrerin, der an meinem Gesicht haftet, förmlich fühlen. Eine Wolke des Schweigens hat sich zwischen dem Lenkrad und den beiden Vordersitzen des Pickups breit gemacht und knisternde Anspannung ersetzt jegliche Konversation. Wieder hat das Wort Zeit jegliche Dimension verloren. Es ist vielmehr so, als ob das abgehalfterte Stück Auto im zeitleeren Raum mit mir dahinfährt, nicht umgekehrt.

      „Grundgütiger, du bist vorbeigefahren,!“

      Da hab ich doch glatt Mexico übersehen, man glaubt es kaum. Aber sie muss es an der Unschuldigkeit meines Gesichtsausdru-ckes unschwer ablesen können. Tatsächlich ist im Rückspiegel etwas wie eine gut getarnte Abfahrt zu sehen. Kommentarlos setz ich den Wagen zurück und nehme den kerzengeraden Uralt-Highway ostwärts unter dem unangenehmen Beigeschmack eines strafend wirkenden Blickes, der mich weiter pausenlos fixiert. Was will diese Lady von mir? Hätt dieses fahrende Antiquariat wenigstens ein Radio, dann würde die unterhaltungslose Stille erträglicher sein. Kaum gedacht, vernehm ich ein melodisches Summen vom Beifahrersitz. Kann denn jeder hier einfach so meine Gedanken lesen wie ein öffentliches Telefonbuch? Die Melodie klingt harmonisch. Gut möglich, dass ich sie schon einmal gehört hab, vielleicht ein alter Gospelsong? Vielleicht auch nicht, ich vermeid es besser nachzufragen, meine verbale Reaktion ist ohnehin wie gelähmt, was ich nicht von ihrer Stimme behaupten kann. Sie akzentuiert jeden einzelnen Ton in einer perfekten Art und Weise, die meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Bald vergess ich das vorbeifließende Drumherum der immer noch menschen- und gebäudelosen Gegend.

      „Fahr langsamer, da vorne….“

      Die Lady spricht wieder mit mir.

      „Bei dem großen Kaktusbaum geht es rein.“

      Erst jetzt registrier ich die vielen verschiedenen Kakteen, die die Straße an beiden Seiten alleenartig einrahmen. Der große Kaktusbaum gibt einen etwa zwei Meter breiten Weg mitten durch ein Gestrüpp aus weiteren Kakteen frei. Dann lichtet sich das Dickicht aus Stacheln und wir stehen vor einem Platz in dessen Zentrum eine stattliche Hacienda auftaucht.

      „Wir sind da, Fremder.“

      Aha, Mexico. Man muss es den Leuten hier schon lassen. Das, was sie bauen, hat durchaus Größe und Klasse. Exakt verarbei-tete Natursteine, die sich nahtlos an- und aufeinanderfügen zu einem massiven Bauwerk mit wetterfestem Ziegeldach. An der Frontseite fallen 40 oder 50 Sombreros auf, die offensichtlich zu dekorativen Zwecken wie eine Art Girlande unterhalb des Giebels an der Hauswand angebracht sind, albern und crazy zugleich. Auf dem Platz vor dem Gebäude wachsen drei riesige Westernfilm-Kakteen aus dem steinigen Boden, wobei der Blickfang dem wuchtigen krummen abgestorbenen Baum unmittelbar neben dem Eingang gilt, der mit hunderten von leeren Flaschen drapiert ist. Über dem Eingang hängt ein verblichenes Blechschild mit der nur mehr schwach lesbaren Aufschrift: ME IC N LOD E