Vampire Blues 1. Thomas Barkhausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Barkhausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738075410
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Zieht sie hinauf zu sich auf die Bühne, die so hell ist wie die Schwärze unter ihm schwarz. In Trance hebt sie bleiche, weiße Arme. Dürr, von blauen Flussarmen durchfurcht wie das Delta vor einem unendlichen Meer. Weiße Gischt schäumt, von der Hoffnung des Himmels gezeichnet, in toter Bläue, hebt sie zu dem, der sie erwartet, legt ihre Arme schlaff und bittend um seinen Hals, flussblau.

      DER HOHEPRIESTER

      Unter seiner Maske lächelt er, gibt mit der Hand beiläufig ein Zeichen. Drei Finger braucht er nur dafür. Und die Klänge eines Wiener Walzers, Huren in Pastellfarben, gleiten in den Raum wie schüchterne Debütantinnen mit rosenroten Wangen auf ihrem allerersten Ball, unsicheren Schrittes schliddernd auf ungewohnt hochhakigen Schuhen, angst- und erwartungsvoll.

      Der hohe Priester, weihevoll, einzigartig und todbringend, wiegt das blasse, weiße Mädchen im Takt, wiegt es nach rechts, wiegt es nach links. Auf den tändelnden Wogen des Walzers. Lässt es rücklings in seine Armbeuge gleiten wie ein Kind, das einer säugen wird mit Gift. Verharrt. Sieht auf. Gedankenverloren. Grünäugig. Den Blick ins Nichts gewandt, in Scheinwerfer, die ihm Blindheit vorgaukeln. Ein Gott, der Hoffnung säugt an seinen Brüsten. Auf einen Fingerzeig hin erstirbt die Musik wie eine Fliege in der Ölpfütze.

      Der Hohepriester glänzt, scheint wie eine Sonne, von Dunkel geschwängert. Er öffnet die Lippen, blaulippig, einer, der weiß, was er tut, blickt hinab auf ihr weiches, weißes Fleisch, bleckt spitze Zähne und rezitiert kehlig-rau und bedächtig den Dialog aus Baudelaires „Herbst-Sonett“, einem seiner Lieblingsgedichte. Und er fragt sie, die in seiner Beuge harrt, die zu ihm aufschaut:

      „Du wunderlicher Freund, was bin ich dir?“ –

      Dein Blick, kristallklar, fragt's zu allen Stunden.

      Sei hold und schweig! - Die Seele voller Wunden

      Erträgt nur noch des Tieres dumpfe Gier.

      Der Priester streicht dem Mädchen über die Wange, langsam, zart, streicht ihr durchs glatte, straffe, blonde Haar. Blondhaaropfer, straff mit spitzen, kleinen Brüsten. Beugt ihren Hals ein wenig zur Seite nur, sieht hinab, gebannt, gefesselt, als suche er dort in der Beuge, im Tal des Halses, in der blassen Beuge den Schatz einer Zukunft, die noch nicht zu Tag zu treten sich getraute.

      Wie auf geheimes Geheiß stockt der Menge der Atem. Der Priester, der Gott, schaut träumend und selbstverloren und bleckt die Zähne, jungferne Unschuld. Er wirft den Kopf in den Nacken, verharrt leeren Blickes, der nie zu füllen sich vermag und auf nur dies Eine zu warten scheint. Bis es ihn erreicht, ihn packt und zwingt, zwingt aus der Tiefe seiner Existenz heraus. Der Gott erhebt sich, aus seiner innersten Schwärze. Er faucht auf plötzlich und stößt herab, faucht und schlägt mit dem Hieb seines Kinns herab, spießt die Eckzähne in die Halsbeuge des Mädchens, verharrt, sieht auf, schüttelt den Schädel wie ein Hund, zerreißt die Hauptschlagader.

      Sie schreit nicht, bäumt sich nur auf in seinen Armen wie eine trunkene Geliebte, schlingt die weißen Arme um ihn, der sie jetzt zu Tode fickt mit seinem Biss, der nicht nachlässt, sie nimmt. Sie beginnt konvulsivisch zu krampfen, erschlafft, den Gott vor brechenden Augen. Lider splittern. Der Gott zuckt. Der Priester dreht sie ins Publikum, präsentiert sie, mit ihrer Wunde. Aus ihrer Halsschlagader pulst das Blut, pulst herab in die Menge der Zuschauer, die zur Bühne drängt mit warmen Schößen und gebeulten Hosen. Die Menge heult, windet sich hinauf in die pulsierenden Stöße des Blutes. Der Priester lächelt - nun mit rotem Mund wie seine eigene Hure -, leckt sich die Lippen und bleckt die Zähne, rot-weiß wie Zahnpasta-Werbung. Die Menge rappelt sich auf, erwacht aus der Trance, wogt zur Wand mit den Gazemädchen, schwappt an ihnen hoch. Madenmenge, reptiliengleich. Und die Ersten schlagen ihre Zähne ins weiche Fleisch der Opfer. Blut spritzt rot und röter. Und wie ein Schwarm von Heuschrecken krabbeln sie hinauf, wabern hinauf an den Leibern, kleben dann, die Sprösslinge der hohen Familien, an den weißen, zuckenden Leibern, saugen sie aus, zerfleischen sie. Fleisch und rot und bauschende Kleider, befleckt nun, rot und warm, zuckend alle wie Fäulnis, die abebbt… Bluttriefende Mäuler heulen Wolfslaute in den Saal. Der Priester ejakuliert in seine scharf gebügelte, schwarze Hose, ohne Hand anzulegen. Die Menge betet im Blut…

      Der Hohepriester, einen dunkler werdenden, feuchten Fleck im Schritt, tauchte seine Fingerkuppen in die blutende, verdorrende Wunde des Mädchens, und er stieg herab von der Bühne. Gott und Priester in einem. Weihevoll schritt er durch die sich teilende Meute zur Spiegelwand. Er malte mit dem Blut an seinen Fingern eine 7 auf das Glas, gemächlich. Die Menge johlte. Blutlefzen. Rundaugen. Musik ertönte, Beats aus den Seventies der Vorzeit. Die Barockbekleideten, blutbekränzt, fanden sich zu Gruppen von je sieben zusammen und begannen zu tanzen und stampften und rotierten die Arme ausgelassen im Takt zu dem schlaghosentragenden Sound der Seventies, den Bee Gees und ihrem Kastratengesang.

      Well, you can tell by the way I use my walk,

      I’m a woman’s man: no time to talk.

      Ein Bote fand den Hohepriester, flüsterte ihm etwas ins Ohr, der nickte kurz und verließ seine übermütige Gemeinde durch den Hintereingang des Club 777. Heuschreckenflügelflattern in seinem Rücken.

      Music loud and women warm, I’ve been kicked around

      Since I was born.

      And now it’s all right. It’s ok.

      And you may look the other way.

      In der Seitengasse traf er seinen Mittelsmann. Ein agatschwarzer Hüne begleitete ihn. Sie verließen diesen Ort. Kurz nach ihrem Weggang traten vier Gestalten in den Schatten der grünen Müllcontainer, die gegenüber dem Hintereingang standen. Oranges Licht fleckte die Szenerie.

      ZWEI

      General Vlad kam spät und er war ein wenig außer Atem. Er trug einen Smoking, der über seinem Bauch spannte und an den Knien ausgebeult war. Vier Scheinwerfer leuchteten die Szenerie aus.

      Nestor betrachtete die Eintrittswunden an einem der beiden jungen Vampire. Rahil wendete das Medaillon mit der gelben Sonne in ihrer Hand.

      „Schönes Emblem. Äußerst geschmackvoll.“

      „Ich wette die Farbe sagt Ihnen zu“, knurrte Nestor.

      Er gab den Zodiaks von der Elite-Entsorgung ein Zeichen. Sie legten die beiden Vampire auf Bahren, beförderten sie auf die Ladefläche ihres Fahrzeugs und arretierten die Sicherungsbügel.

      General Vlad schnaufte, als würde er die Leichen in den Wagen wuchten. Er nickte Rahil zu.

      „Da haben Sie ja einen schönen Einstand. Was für eine Sauerei!“

      „Die eigentliche Sauerei ist da drinnen.“

      Nestor deutete auf den Hintereingang.

      „Noch mehr Tote?“ Vlad verzog das Gesicht.

      „Eine von ihren Orgien.“

      „Ich meiner noch mehr TOTE?“

      „Keine Vampire. Soweit ich gesehen habe: Fortpflanzungsmaterial, weiblich, sieben Stück - noch nicht volljährig.“

      „Wer ist für die Sauerei verantwortlich?“

      „Meinen Sie drinnen oder draußen?“

      General Vlad machte eine unwillige Geste. „Ich hasse Ironie. Sie haben Ihnen zu viel Menschliches eingepflanzt, Nestor!“

      „Sieht nach Sonnenkriegern aus“, sagte Rahil und trat an Nestors Seite. „Wir haben das neben einer der Leichen gefunden.“

      Sie zeigte das gelbe Emblem in ihrer Hand.

      „Wer sind die Terminierten?“

      Nestor blickte auf das Multimeter an seinem Handgelenk: „Der eine ist Sandor, Sohn von Marai, einem Vertreter der ‚rechten Mitte‘, der andere sein Freund William.“

      „Wie sind sie hier hergekommen?“

      „Die