Träume aus dem Regenwald. Bernd Radtke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Radtke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742781581
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habe immer noch Angst, dass Adriano zurückkommt«, drückte Jaíra ihre Sorge aus, als Hans sie wieder einmal besuchte.

      »Ein Kanu von Salvatore ist weg. Sie nehmen an, dass er den Fluss hinunter wieder in die Stadt ist«, tröstete er.

      »Danke Hans, vor allem dafür, dass du mir keine Vorwürfe gemacht hast, dass ich mich wegen Adriano mit dir und meinen Eltern zerstritten habe. Ich war so dumm.« Sie schüttelte vorsichtig den Kopf. »Immer dachte ich, ich könnte ihn ändern. Später konnte ich nicht mehr zurück, die Blamage war für mich zu groß. Ich hatte Angst, dass ihr mich auslacht.«

      »Wenn man verliebt ist, macht man Dinge, die falsch sind und die man später bereut, aber in dem Moment, in dem man es tut, kann man das nicht beurteilen. Man sieht die Welt nur noch mit Scheuklappen und man kann oder man will die Warnungen nicht wahrhaben. Ich bin dir nicht böse, ich bin froh, dass die Sache so ausgegangen ist und du lebst«, antwortete Hans.

      »Margot sagt, dass ich bald zu meinen Eltern kann. Dort fühle ich mich sicher. Wenn ‚Pai’ nicht da ist, sind immer noch meine Geschwister zu Hause, sollte Adriano doch noch einmal auftauchen.« Jetzt druckste Jaíra herum. »Das Kind ist tot. Was mir Gedanken macht«, sie sah auf die Bettdecke, bevor sie weitersprach, »es ist mir fast gleichgültig, ja, ich bin sogar froh, es verloren zu haben. Bin ich deswegen ein schlechter Mensch?«, besorgt sah sie Hans an.

      »Du bist kein schlechter Mensch, Jaíra.« Hans schüttelte den Kopf. »Adriano hat dich misshandelt und er hat sein Kind selbst getötet. Du hast keine Schuld daran, also mach dir nicht so viele Sorgen«, beruhigte er sie und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dankbar lächelte sie zurück.

      Ein paar Tage war Jaíra schon bei ihren Eltern. Sie hockte mit Juçara vor der Hütte auf dem Boden und schälte Mais, als sie Motorengeräusch hörten, das schnell näherkam. Bald erkannten sie das Motorboot von Roberto, in dem Salvatore und Naldino saßen. Auch Manara und Eduardo kamen aus dem Haus und zusammen gingen alle ans Ufer.

      Nach der üblichen Begrüßung nahm Naldino Jaíra zur Seite.

      »Wie geht es dir?«, erkundigte er sich.

      »Der Rücken tut noch ein bisschen weh, sonst ist wieder alles in Ordnung. Danke noch mal, dass du rechtzeitig gekommen bist. Ich glaube, Adriano hätte mich sonst totgeschlagen.«

      »Ich möchte mich für ihn entschuldigen. Ich hätte dir schon viel früher helfen müssen, aber er war mein Bruder. Ich wusste, wie er dich behandelt und was er mit dir macht. Oft habe ich vor eurer Hütte gestanden und mitbekommen, wie ihr euch gestritten habt, auch an jenem Abend, weil Adriano besonders wütend war. Deshalb bin ich dortgeblieben und habe gewartet. Ich hörte, wie er dich schlug und du hast furchtbar geschrien. Dann warst du plötzlich still und hast nur noch gewimmert. Da habe ich Salvatore geholt und wir sind hineingegangen. Gerade noch rechtzeitig genug.« Naldino senkte den Kopf »Es tut mir alles so furchtbar leid und ich schäme mich dafür, trotzdem, ich konnte nicht anders. Ich hatte Angst um dich und wollte wissen, was er mit dir macht. Immer habe ich ihm gesagt, dass er dich nicht so behandeln darf, dass du dafür zu schade bist.«

      Jaíra sah Tränen in seinen Augen, es tat ihm wirklich leid.

      »Es ist jetzt vorbei«, er holte tief Luft. »Julio und Marques haben ihn heute Morgen gefunden, als sie in den Wald gingen. Er hatte einen Schlangenbiss am Knöchel, eine ‚Surucúcu’ muss ihn wohl erwischt haben und bei der hat man keine Chance. Er war schon ein paar Tage tot.« Traurig sah er auf den Boden.

      Jaíra fühlte seinen Schmerz, aber auch Erleichterung. Jetzt musste sie keine Angst mehr vor ihm haben. Mit hängenden Schultern stand Naldino vor ihr und unwillkürlich nahm sie ihn in die Arme. Lange standen sie so und trösteten sich gegenseitig.

      Kapitel 3

      Langsam fiel die Hektik von ihm ab, während er seiner Familie nachsah, wie sie sich im langen Korridor des Flughafens verlor. Sie waren wie immer spät dran gewesen und so blieb ihnen keine Zeit für einen großen Abschied. Ein zu kurzer Kuss Andréias und eine schnelle Umarmung der beiden Mädchen war alles, bevor sie sich in die Schlange vor der Gepäckkontrolle einreihen mussten.

      Als Benedikt sie nicht mehr erkennen konnte, schlenderte er zu seinem Auto und fuhr nach Hause. Seine Gedanken wanderten zu seiner Frau und den beiden Töchtern, die wohl schon im Flugzeug saßen und auf den Abflug warteten. Morgen würden sie in Rio sein, bei Andréias Eltern. Marçia kam im Sommer zur Schule und so hatte Andréia die Chance genutzt, noch einmal für längere Zeit ihre Eltern zu besuchen, bevor sie an die Schulferien gebunden waren. Er wollte in drei Wochen nachkommen und zusammen würden sie wieder nach Deutschland zurückkehren.

      Vorfreude kam auf und er legte Andréias Lieblingsdisk ins Autoradio. Gerade spielte das Lied »Não sei mais dormir sozinho« von Leandro & Leonardo.

      »Ich weiß nicht mehr alleine zu schlafen«, genau so geht es mir jetzt, dachte Benedikt sentimental, dann lachte er, bald würden sie wieder zusammen sein. Schon spürte er die tropische Wärme und atmete die schwüle, duftgeschwängerte Luft Brasiliens.

      In der Wohnung war es still. Er räumte das stehen gebliebene Geschirr in die Spülmaschine und setzte sich ins Wohnzimmer. Ohne die Worte zu begreifen, las er die Seiten eines seit Langem angefangenen Buches. Benedikt konnte sich nicht konzentrieren, die Stille der Wohnung war fast unheimlich und so beschloss er, ins Bett zu gehen, um von seiner Frau zu träumen.

      Auf seinem Kopfkissen fand er einen Brief.

      »Ich liebe dich. Ich werde dich und deine Zärtlichkeiten vermissen. Bis bald. Andréia.«

      Benedikt fühlte sich verloren, alleine in dem großen Bett, es war kalt, Andréia fehlte. Er war daran gewöhnt, ihre Nähe und Wärme zu spüren. Er legte sich auf ihre Seite, um ihren Geruch in der Nase zu haben und nach einem Kuss auf das leere Kopfkissen löschte er das Licht.

      Als das Telefon klingelte, putzte sich Benedikt gerade die Zähne. Andréia konnte es nicht sein, die würde noch ein paar Stunden im Flugzeug sitzen. Schnell spülte er sich den Mund und hob den Hörer ab.

      »Morgen Benedikt, hier ist Markus. Hast du Nachrichten gehört? Andréia und die Kinder sind gestern Abend abgeflogen, oder?«

      Markus’ Stimme stockte, als Benedikt bejahte.

      »Eben kam im Radio, dass über dem Atlantik ein Flugzeug verschollen ist. Etwas Näheres weiß man noch nicht, jedenfalls haben sie keinen Funkkontakt mehr und das Flugzeug ist vom Radar verschwunden.«

      Sofort schaltete Benedikt das Radio ein. Natürlich waren die Nachrichten vorbei und er würde bis zu den nächsten warten müssen. Er marterte sich den Kopf, wen er anrufen konnte. Es war kurz nach sieben, die Büros der Fluggesellschaft oder der Reisebüros würden vor acht oder neun Uhr bestimmt nicht besetzt sein. Trotzdem rief er die Auskunft an und hastig wählte er die angegebenen Nummern. Entweder meldete sich niemand oder es war besetzt. Besetzt? Das war kein gutes Zeichen und angst ergriff ihn. Fast hätte er die Zeit für die Nachrichten wieder verpasst.

      Ihm wurde schlecht, als er die Worte des Nachrichtensprechers hörte, der das von Markus Gesagte bestätigte. »… als vermisst gilt eine Boing 747 auf dem Flug von Frankfurt nach Rio de Janeiro. Aus bisher ungeklärten Gründen besteht keinerlei Kontakt zu der Maschine ...«

      »Vielleicht sind es nur technische Schwierigkeiten, ein Funkgerät ist ausgefallen, oder was zum Teufel auch immer dort oben passieren kann«, versuchte er sich zu beruhigen, aber ein paar Stunden später wurde es Gewissheit.

      Suchflugzeuge hatten Trümmer entdeckt, die auf den Wellen des Atlantiks trieben. Es gab keine Überlebenden, einige wenige Leichen konnten geborgen werden, von Andréia und den Kindern fehlte jede Spur.

      Bei seinen Freunden fand er viel Beistand, niemand konnte ihm jedoch wirklich helfen und so zog er sich immer mehr zurück. Er machte sich Vorwürfe, warum er gedrängt hatte, zum Flughafen zu fahren. Hätten sie die Maschine verpasst, würden sie noch leben, warum hatten sie ausgerechnet an jenem Tag fliegen