Die Väter-Casting-Liste. Eva Markert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eva Markert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783847661993
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neun Schule hatte. Aufatmend ließ sie sich auf den Sitz neben ihm fallen.

      Der Mann wandte den Kopf zu ihr um. „Hallo“, sagte er.

      Kurz zweifelte Hannah. „Du darfst nie mit fremden Männern sprechen“, hatte ihre Mutter ihr eingeschärft. Aber der Mann hatte sie offensichtlich erkannt, so wie sie ihn. Also war er nicht wirklich fremd. „Hallo“, antwortete sie deshalb mit einer kleinen Verzögerung. „Falls es mit Leons Vater nichts wird“, dachte sie, „dieser Mann käme durchaus in Frage.“ Merkwürdig, dass ihr das erst jetzt einfiel. Sie mochte ihn, seit sie ihm das erste Mal im Bus begegnet war, kurz nach dem Umzug in die Wohnung im Hochhaus. Er sah einfach irgendwie nett aus. Wenn er lächelte, wie gerade, blitzten seine Augen. Waren sie eigentlich blau oder grau? Hannah schielte zu ihm hin, doch er schaute aus dem Fenster und sie sah nur seinen Hinterkopf. Waren seine Haare nun dunkelblond oder hellbraun? Hannah konnte sich nicht entscheiden. „Ein Mittelding“, beschloss sie. „Sie waren braun-blond. Oder blond-braun, je nachdem, wie man es betrachtete. In dem Augenblick wandte er ihr sein Gesicht zu, als ob er gespürt hätte, dass Hannah ihn betrachtete. Seine Augen waren graublau – oder nein, doch eher blaugrau.

      Hannah nahm sich vor, Patrick von ihm zu erzählen.

      Als sie nachmittags aus der Schule kam, stand vor dem Hochhaus ein Möbelwagen. Zog jemand ein? Das war nichts Ungewöhnliches. In dem Wohnturm herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Neugierig schaute Hannah ins Innere des Wagens. Außer ein paar Brettern war er leer. Offenbar hatte man die Möbel schon ins Haus transportiert. Wahrscheinlich in die Wohnung ein Stockwerk unter ihnen, in der Laura und Maren mit ihrer Mutter gewohnt hatten.

      Zwei Möbelpacker kamen aus der Tür. Schnell verschwand Hannah im Haus. Sie nahm nicht den Aufzug, sondern die Treppe. Auf diese Weise konnte sie vielleicht einen Blick auf den oder die neuen Hausbewohner erhaschen. Es wäre schön, wenn wieder Mädchen in ihrem Alter einziehen würden.

      Die Tür zu der Wohnung in der vierten Etage stand offen. Hannah blieb stehen. Kinder waren keine zu entdecken, nur Männer, die hin und her liefen. Sie hörte den Aufzug, der im fünften Stock hielt. Das war sicher Patrick. Hannah sprang die Stufen hinauf. Sie war gespannt wie ein Flitzebogen, was er zu berichten hatte.

      „Und? Was hat er gesagt?“, überfiel sie ihn.

      Diesmal wusste Patrick sofort, was sie meinte. „Ich hab ihn nicht gefragt.“

      „Och Mann, du Pfeife!“

      „Nun warte doch ab! Ich erzähle es dir gleich.“

      Ungeduldig schaute Hannah zu, wie er in aller Ruhe seine Schuhe in den Schuhschrank stellte und den Rucksack in sein Zimmer brachte. Sie folgte ihm.

      „Wir haben Autorennen gespielt auf Leons neuer Spielkonsole“, fing Patrick an und bekam aus irgendeinem Grund einen Hustenanfall. Vielleicht hatte er sich an seiner eigenen Spucke verschluckt. Hannahs Kopfhaut begann zu kribbeln, während sie darauf wartete, dass das Gehuste endlich aufhörte.

      „Zuerst“, begann er nach einer halben Ewigkeit erneut, „habe ich Leon gefragt, wie er Mama findet. Er findet sie in Ordnung. Danach habe ich gefragt, ob er nicht auch gern eine Mutter hätte. ‚Was soll das?‘, hat er geantwortet. ‚Ich habe doch eine.‘“

      „Das war tatsächlich eine blöde Frage“, warf Hannah ein. „Er hat ja wirklich eine Mutter, nur dass sie weit weg wohnt und er sie nur in den Ferien besuchen kann.“

      „Und sie hat einen neuen Mann und Kinder“, ergänzte Patrick. „Deshalb hab ich gefragt: „Hättest du nicht lieber eine, die immer bei dir und deinem Vater ist?“

      „Und was hat er darauf geantwortet?“

      „Nichts. Er hat gejohlt. Weil er nämlich genau in dem Augenblick gewonnen hat.“

      Hannah verdrehte die Augen. „Und dann?“

      „Ich hab es noch einmal versucht. Ich habe behauptet, dass eine Mutter, die man jeden Tag um sich hat, besser ist als eine, die man nur selten sieht. Da ist er wütend geworden. ‚Hör auf mit dem blöden Gelaber!‘, hat er mich angemotzt. ‚Du willst bloß, dass ich verliere.‘ Ich dachte, ich rede mit ihm, wenn wir fertig sind mit Spielen, aber wir haben erst aufgehört, als ich nach Hause musste.“

      „Versuch es weiter“, befahl Hannah. „Am besten gleich morgen.“

      „Du hast gut reden. Das ist schwieriger, als man denkt.“

      „Lass dir was einfallen. Übrigens: Ich weiß noch jemanden, den Mama heiraten könnte.“ Hannah erzählte ihm von dem Mann im Bus.

      „Okay“, meinte Patrick. „Als Erstes musst du was über ihn herausfinden. Zum Beispiel, wie er heißt, wo er wohnt, was er macht und ob er überhaupt heiraten will.“

      „Wie soll ich das anstellen?“

      „Lass dir was einfallen.“

      Kapitel 5

      Hannahs Musiklehrerin war krank. Deshalb hatte sie auch am folgenden Tag erst um neun Uhr Schule. Heute war der Platz neben dem netten Mann natürlich besetzt – so viel Glück hatte man nicht zweimal und erst recht nicht zweimal hintereinander!

      Während der Fahrt schob sich Hannah unauffällig näher an seinen Sitz heran. Er hatte einen schmalen, schwarzen Aktenkoffer bei sich, der auf seinem Schoß lag. Seine Hände waren auf dem Aktenkoffer gefaltet. Hannah schaute genauer hin. Er trug keinen Ehering. Ha! Da würde Patrick aber dumm gucken, dass sie das so schnell herausgefunden hatte!

      Sie geriet ins Träumen. Sie stellte sich vor, der nette Mann wäre ihr Vater. Sie saßen nebeneinander im Bus. Sie zeigte ihm die komische Frisur der Frau vorne rechts: an der einen Seite lang und an der anderen kurz. „Da kriegt sie im Winter ein kaltes Ohr, es sei denn, sie trägt eine halbe Mütze“, sagte er und sie kicherten klammheimlich zusammen. Sie erzählte ihm, wie blöd sie Mützen fand, dass Mama aber darauf bestand, dass sie im Winter eine anzog. Er versprach, mit ihrer Mutter darüber zu reden.

      Ach ja, schön wär’s, wenn sie solch einen Vater hätte. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg. Ein sehr weiter.

      „Er ist nicht verheiratet“, rief sie Patrick triumphierend entgegen, kaum dass der nachmittags zur Tür hereinkam.

      „Wer, wie, was?“ Patrick war mal wieder furchtbar begriffsstutzig.

      „Na, der Mann im Bus!“

      „Aha. Und woher weißt du das?“

      „Er hat keinen Ring am Finger.“

      „Das ist kein Beweis. Viele tragen keinen, obwohl sie verheiratet sind. Und Mama hat sogar zwei, ihren eigenen und den von Papa, und sie ist nicht verheiratet.“

      Das mit Mama stimmte zwar. Aber gab es das wirklich, dass Verheiratete keinen Ring am Finger hatten?

      Frau Berggrün kam gerade nach Hause. Hannah lief zu ihr hin. „Gibt es Ehemänner ohne Ehering?“, erkundigte sie sich.

      „Du stellst aber merkwürdige Fragen! Warum willst du das denn wissen?“

      Hannah fiel auf die Schnelle nur eine einzige Antwort ein: Ich muss herausfinden, ob ein Mann, den du heiraten sollst, schon verheiratet ist. Da sie das aber nicht sagen konnte, schwieg sie. Zum Glück lenkte Patrick Mama ab. „Wir haben einen neuen Englischlehrer“, erzählte er. „Der ist einsame Spitze! Alle Mädchen sind in ihn verknallt. Und der hat keinen Ring an.“

      „Das heißt nichts“, erwiderte Frau Berggrün. „Opa zum Beispiel hat nie einen getragen. Sein Ehering lag immer in Omas Schmuckkasten. Da liegt er, glaube ich, heute noch.“

      „Warum wollte er keinen Ring?“

      „Ich glaube, er störte ihn.“

      Patrick konnte das verstehen. Er hätte auch nicht gern dauernd so ein Ding am Finger.

      Vorm Zubettgehen berichtete er seiner Schwester mehr von seinem