Ich blicke dem Tätowierer in die Augen. Das braun hat sich verdunkelt, ich erkenne mehr als nur Sorge um mein Wohlbefinden. Ich sehe Ehre, dass er derjenige sein darf, der mich tätowiert, ich sehe L… Freundschaft, ja, das sehe ich. Wir sind Freunde, er ist eigentlich sogar der beste, den ich mir wünschen könnte.
„Es ist der perfekte Platz, ich bin mir sicher“, flüstere ich, erlaube mir kurz, mich gegen ihn sinken zu lassen. Ich bin froh, dass ich nicht gleich bei den ersten Entwürfen ja gesagt habe. Ich hauche einen Kuss auf Logans rechte Wange, wispere ein „Danke“ und gehe mit dem Entwurf zu Kasia. In einem der hinten Räume bereitet Vince schon alles für ihr heutiges Tattoo vor.
Ich zeige meiner besten Freundin die Skizze, sie nimmt sich Zeit, betrachtet es von Nahem, hält es dann eine Armlänge von sich.
„Es ist perfekt“, lächelt sie mich schließlich an. „Aber etwas fehlt noch, oder? Semper fi?“ Ich bin sprachlos. Sie weiß, welche Bedeutung diese zwei Worte für mich haben. Erwartungsvoll blicke ich zu Logan, der hinter mir am Türrahmen lehnt. Mir steigen Tränen in die Augen, als Logan nur stumm nickt und an den Zeichentisch hinter dem Empfangstresen geht. Mit meiner Skizze in der Hand.
„Danke“, hauche ich Kasia zu.
„Nicht dafür, meine Liebe. Ich finde, dass du so deinem Grandpa und auch deinem Dad eine Ehr zuteilwerden lassen kannst, die sie sicher von dir nicht erwartet hätten.“ Dad und sein Vater waren US-Marines. Ihr Motto ist Semper Fi – Immer treu, einmal Marine, immer Marine.
Dad wurde vor vielen Jahren schwer verletzt, kann deshalb nicht mehr dienen. Durch die Veteranenrente und die viele Arbeit, die er seither nachkommt, können meine Eltern uns diesen Lebensstil ermöglichen. Mom ist schon wohlhabend aufgewachsen, ich weiß, ihre Eltern waren nicht glücklich über die Verbindung zu einer Militärs-Familie. Aber die Liebe und der Glaube, dass sie es schaffen, haben Mom und Dad zusammengeschweißt.
Auch wenn Dad kein Fan von Tattoos ist, das Motto ist auch unter seiner Haut zu finden.
Ich beobachte Logan noch einen Moment, doch merke, dass ich mit meinen Gedanken bei dem USMC hängen bleibe. Also wende ich mich ab, nehme mir die Zeit Kasias neues Tattoo zu betrachten. Eigentlich ist es schon fertig, heute werden nur noch die Feinheiten gestochen. Auf den ersten Blick ist es einfach nur eine blühende Rose. Wenn man genauer schaut, erkennt man H&K in ihren Blütenblättern. Noch immer bin ich platt, dass sie uns und unsere Freundschaft auf diese Weise immer bei sich tragen wird. Einem spontanen Impuls folgend, drücke ich Kasia, küsse ihre rechte Wange und streiche ihr einmal über ihr langes Haar.
„Du wirst sentimental“, lacht sie, lässt sich von Vince leicht auf die Liege drücken, damit er die Hüfte und das bereits vorhandene Teil-Tattoo zu desinfizieren. Vince ist seit etwa einem Jahr bei Logan. Vielleicht länger. Seine Arbeiten sind super, auch wenn Kasia sich bisher geweigert hat, jemand anderen außer Logan an ihre Haut zu lassen.
Vince und Kasia unterhalten sich über irgendetwas, ich bekomme es nicht mit. Meine Aufmerksamkeit ist wie von allein wieder bei Logan gelandet. Er sitzt nach wie vor an seinem Tisch, über meinen Entwurf gebeugt. Sein Profil zeigt mir, wie konzentriert er bei der Arbeit ist. Sein Mund ist leicht geöffnet, seine Zunge fährt immer wieder über die Unterlippe, welche er im Anschluss stets zwischen die Zähne zieht. Sein Dreitagebart ist frisch gestutzt, gibt ihm etwas Hartes, was er durch seinen üblichen, grimmigen Blick noch verstärkt. Wenn er dabei nur nicht immer an das Wohl anderer denken würde, könnte ich ihm den harten Kerl wirklich abkaufen.
„Du starrst.“ Erwischt wende ich mich Vince zu, der beschäftigt tut. „Du solltest ihn nicht so angucken. Logan hat ziemlich gelitten, als du ihm vergangenen Sommer eine klare Abfuhr erteilt hast. Ich habe ihn noch nie so gesehen. Er hat sich verändert.“
„Ich habe nicht gestarrt“, verteidige ich mich halbherzig. „Was meinst du mit, er hat sich verändert? Er ist wie immer.“
„Frag ihn selbst.“ Mehr sagt Vince nicht, verlässt sogar den Raum. Es wundert mich, dass er überhaupt etwas zu der Thematik gesagt hat, denn normalerweise hält er sich aus allem raus.
„Süße, du hast gestarrt“, meldet sich stattdessen Kasia zu Wort. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich ja sagen, dass du doch Interesse an ihm hast. Dass da mehr als nur Freundschaft zwischen euch ist.“ Ich verdrehe die Augen und wende mich von ihr ab.
Es ist ja nicht so, dass ich Logan abstoßend finden würde. Im Gegenteil. Aber die Angst, dass es schneller wieder vorbei ist, als man denken würde, ist einfach zu groß. Logan ist fast zehn Jahre älter als ich, sicher hat er schneller von mir genug, als gut für mich wäre. Ich will kein Zeitvertreib sein, bis er eine Frau seines Alters trifft und mich sitzen lässt. Allein diese Angst hält mich davon ab, eine Dummheit zu begehen.
Hinzukommt, dass sich meine Eltern eine ganz bestimmte Art Mann für mich vorstellen. Natürlich muss ich mich nicht daran halten. Wobei mein Vater Logan wahrscheinlich sogar mögen würde.
Drei Stunden später, Vince und ich gucken im Mitarbeiterraum eine Serie über Kriminalfälle, kommen Kasia und Logan zu uns, Kasias Tattoo über und über mit Folie beklebt. Logan schmeißt ein schwarzes Bündel, vermutlich seine Handschuhe, in den Mülleimer in der Ecke und lässt sich dicht neben mir auf das Sofa plumpsen. Sein Bein berührt das meine und, wie vorhin schon, legt er seinen Arm um meine Schultern. Kasia setzt sich die Lehne neben Vince und schaut erwartungsvoll zu mir. Unsere Blicke treffen sich, auf ihren Lippen bildet sich ein breites Grinsen.
„Sie kneift schon wieder!“, ruft sie lachend aus.
„Babe, nein! Tu mir das nicht schon wieder an!“ Gespielt verzweifelt schmeißt Logan seine Arme in die Luft, rauft sich dann auch noch seine braunen Haare. Bis vor kurzem hatte er noch eine Glatze getragen, keine Ahnung, wann er sich dazu entschlossen hatte, sie wieder wachsen zu lassen.
„Es ist heute einfach schon zu spät“, stammle ich. Und ich meine es auch so, denn es ist schon nach einundzwanzig Uhr.
„Blödsinn!“, ruft Kasia. „Du hast Schiss! Ich weiß ganz genau, wie du bei dem kleinen Herz gelitten hast!“ Überlegen grinst sie, was mich überaus ärgert. „Ich nehme dir hier uns jetzt das Versprechen ab, dir dieses verdammte Tattoo stechen zu lassen, noch bevor ich ins Gras beiße!“
„Dann habe ich ja noch genug Zeit, mir bei Logan einen Termin zu machen“, gebe ich schnippisch zurück. „Oder mir eine andere beste Freundin zu suchen.“
„Versuch es, du wirst keine bessere finden.“ Lachend steht sie von der Lehne auf und verlässt das Hinterzimmer. Sicher geht sie noch einmal in das Zimmer nebenan, um sich das Tattoo im großen Spiegel anzugucken. Logan schüttelt zu unserer Unterhaltung nur den Kopf, zieht mich an sich um drückt mir einen Kuss auf die Schläfe. Zu sagen hat er momentan wohl nichts mehr.
„Ich räum drüben alles auf, ihr könnt dann ruhig schon gehen“, erklärt Vince und steht auf.
„Willst du heute nicht mitkommen?“, fragt Logan erstaunt. Vince winkt ab, erzählt etwas von einer späteren Verabredung. Schulterzuckend steht auch Logan auf, zieht mich mit sich und reicht mir im Eingangsbereich seine Jacke. Kopfschüttelnd lehne ich ab, draußen sind es mindestens neunundzwanzig Grad und die Lederjacke ist absolut unnötig und zerstört nur mein Outfit. Logan zieht eine Schnute, öffnet uns die Tür und gemeinsam rufen wir Vince noch einen Gruß zu, ehe wir drei das Studio verlassen.
„Wo geht es heute hin?“, frage ich auf dem Weg zu meinem Wagen. Logan spielt bereits mit meinen Schlüsseln, denn weil er ein absolut schrecklicher Beifahrer ist, fährt immer er uns überall hin.
„Heute bleibt es ruhig, wir fahren rüber ins Pub“, erklärt er, entriegelt den Wagen und hält Kasia und mir die Wagentür auf. „Wir essen etwas mit den anderen und lassen den Tag bei einem Bier einfach ausklingen.“
Kapitel