Mein Leben fährt Achterbahn. Andre Dominik Krämer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andre Dominik Krämer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847660330
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„Auf dem Wendeplatz natürlich. Im Wald ist zu kompliziert. Da laufen wir wie die Irren aneinander vorbei und merken es nicht mal.“

      Wir lachen beide und stellen uns wahrscheinlich beide das gleiche vor: Wir irren stundenlang durch den Wald und suchen nacheinander.

      Plötzlich macht Andreas ein nachdenkliches Gesicht und schaut mich fragend an: „Du, sag mal, was willst du eigentlich mit Hausaufgaben? Heut ist doch der letzte Schultag vor den Ferien. Gleich gibt es Zeugnisse und das war´s dann. Also können wir uns doch auch schon um zwei Uhr treffen.“ „Stimmt! Das hab ich ja ganz vergessen. Wir bekommen ja heute keine Hausaufgaben auf. Wie cool! Dann treffen wir uns schon um zwei am Wendeplatz. Mit den Fahrrädern.“ „Okay. Also bis nachher.“ Ich grinse ihn an und erwidere: „Bis nachher dann. Ciao.“

      Die Schulglocke läutet und wir gehen in unsere Klassen. Ich setze mich an meinen Tisch und packe meinen Ringblock und das Mäppchen aus. Unsere Klassenlehrerin kommt in die Klasse und begrüßt uns: „Guten Morgen.“ Wir antworten im Chor: „Guten Morgen Frau Steffens.“ „Nun beginnen wir mit etwas Unterricht. Ich weiß, ihr habt keinen Bock mehr auf Unterricht und Lernen. Also habe ich mir etwas anderes ausgedacht. Wir schauen uns jetzt einen Film an und anschließend sprechen wir darüber. Der Film geht handelt von unserer Umwelt und wie wir Menschen diese beeinflussen.“ Jetzt erst fällt mir auf, dass am anderen Ende des Raumes an der Fensterfront neben der Tafel der Fernsehschrank steht. Ich habe ihn nicht bemerkt, so sehr war ich in Gedanken vertieft. Frau Steffens holt aus ihrer Ledertasche eine Videokassette heraus und geht zum Fernsehschrank. Sie zieht ihn vor die Tafel und legt die Kassette ein. Nach dem Film und der hitzigen Diskussion werden die Zeugnisse verteilt. Anschließend wünschen wir uns noch gegenseitig schöne Ferien und nachdem die Schulglocke läutet, rennen wir alle aus dem Schulgebäude, als würde es in Flammen stehen. Ich kann gar nicht anders als mit zu rennen.

      Unterhalb des Schulgebäudes stehen bereits die Busse, die uns nach Hause fahren. Andreas und ich springen in unseren Bus und setzen uns nebeneinander. Der Bus füllt sich weiter und nach einiger Zeit schließen sich die Türen und die Fahrt in die Ferien beginnt.

      In Bad- Münstereifel angekommen, steigen wir gemeinsam mit anderen Schülern aus dem Bus. Wir überqueren die Straße und gehen auf dem Gehweg die Hauptstraße hinunter. Wir kommen zuerst an Andreas Haus an: „Wir sehen uns ja später“, sagt er und ich nicke nur und gehe weiter die Straße hinunter.

      Vor unserer Haustüre krame ich im Rucksack nach dem Schlüssel, denn meine Mutter und mein Bruder sind noch nicht zu Hause. Das ist immer so, wenn ich nur vier Stunden habe und schon kurz vor Mittag zu Hause bin. Mama kommt erst gegen halb eins und hat vorher meinen Bruder bei meiner Tante abgeholt. Mein Bruder ist vier Jahre jünger als ich, also neun Jahre alt.

      Wir sehen uns sehr ähnlich. Mein Bruder ist nur etwas kleiner als ich. Er heißt Timo.

       Eigentlich kann ich meinen Bruder gut leiden. Ich verstecke das nur sehr gut und lasse ihn sehr oft spüren, dass er ein nerviger, kleiner, blöder Bruder ist.

      Ich schließe die Tür auf und gehe geradeaus die Treppe hoch. Direkt am Treppenende ist rechts mein Zimmer. Ich schmeiße meinen Rucksack unter den Schreibtisch und schalte meine Stereoanlage ein. Ich habe eine Elementanlage aus gesammelten Werken, auf die ich fürchterlich stolz bin. Der Verstärker mit Radio ist 20 Jahre alt und zusammen mit den Lautsprechern gehörte er meiner Mutter. Der CD- Spieler ist erst ein paar Jahre alt und ist ebenfalls eine Leihgabe meiner Mutter. Der Plattenspieler ist aus einer alten Stereoanlage ausgebaut und das Kassettendeck ist von meiner Tante. Verbaut ist alles in einem alten Fernsehschränkchen – von mir selbst, wohlgemerkt.

       So etwas kann ich gut. Aus alten Sachen noch was machen.

      Ich schalte den CD- Spieler an und drehe die Lautstärke höher, lege mich auf mein Bett und grübele über mich nach.

       Was ist nur los mit mir? Ich verstehe das nicht! Ich finde andere Jungs süß? Ich? Ich bin selbst ein Junge und sollte Mädchen süß finden. Die meisten Mädchen, die ich kenne sind aber nicht süß sondern cool. Mit denen könnte man Pferde stehlen aber nicht Händchen halten. Wieso ist das so bei mir? Wieso falle ich immer und bei allem aus der Art? Ich passe in kein Raster und ich weiß nicht wieso. Liegt es daran, dass ich nur eine Mutter habe? Kann nicht sein. Es gibt noch andere Jungs in meiner Klasse, die nur ein Elternteil haben und die sind normal. Wieso kann ich nicht mal in einer Sache normal sein? Oder bin ich normal? Und die Anderen sind alle verrückt? Kann auch nicht sein. Mein Bruder ist verrückt. Aber alle anderen nicht. Ich wünschte, ich könnte mal mit irgendjemandem darüber reden. Aber ich kenne keinen. Mit Andy kann ich darüber jedenfalls nicht sprechen. Der würde das nicht verstehen und er würde mir wahrscheinlich die Freundschaft kündigen. Mit meiner Mama kann ich darüber auch nicht reden. Die würde mich für verrückt halten und sagen, dass ich mir das nur einbilde. Genau so, wie sie es damals mit meiner Beobachtung gemacht hat. Also wer bleibt noch? Aus meiner Familie kann ich es keinem erzählen. Dennis? Mein bester Freund? Niemals! Der würde mir eine runter hauen und mir ebenfalls die Freundschaft kündigen.

       Ach, in einer Woche sehe ich Dennis wieder. Dann bin ich für vier Wochen bei meiner Oma zu Besuch. Also behalte ich es für mich und quäle mich alleine damit herum.

       Alles scheiße. Erwachsenwerden ist das blödeste, was einem passieren kann. Echt. Früher hatte ich die Probleme nicht. Früher hatte ich gar keine Probleme. Früher war alles besser.

       Was würde bloß meine Mutter dazu sagen, wenn ich ihr erzählen würde was los ist? Sie würde mich wahrscheinlich rausschmeißen und brüllen: „So habe ich dich nicht erzogen! So nicht! Du bist nicht mehr mein Sohn!“ Oder so etwas in der Art. Oder würde sie vielleicht ganz anders reagieren? Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr…

      Ich schließe die Augen und träume.

       Ich laufe mit Andreas durch den Wald zu unserem Lieblingsplatz. Das ist ein Platz mitten im Wald. Eine kleine dünn mit Bäumen bewachsene Lichtung. Auf dem Boden Wiese und viel Moos. Ich lege mich auf das weiche Moos und Andreas legt sich neben mich. Wir unterhalten uns. Ich drehe mich auf die Seite und schaue ihn an. Ich schaue in seine braunen Augen. Er dreht sich ebenfalls auf die Seite und schaut mich an. Er fragt mich, ob es mich stören würde, wenn er sagen würde, dass er schwul sei. Ich fange an zu lachen und sage zu ihm: „Nö. Bin doch selber schwul.“ Wir schließen beide die Augen und küssen uns. Um uns herum wird es still und wir nehmen nur noch einander wahr. Die ganze Umgebung verschmilzt zu einer Blase und wir schweben davon…

      Bang! Ich schrecke aus meinem Traum auf. Unten knallt die Haustür zu und ich höre meine Mutter rufen: „Timo! Du hast doch zwei gesunde Hände. Kannst du die Tür nicht am Griff zumachen? Musst du die einfach zuknallen? Soll das Glas kaputt gehen?“ Timo antwortet kleinlaut: „Ist mir aus der Hand gerutscht.“ „Na gut. Dann geh jetzt nach oben und bring den Schulranzen in dein Zimmer. Danach kannst du von mir aus raus gehen. Aber bleib auf dem Grundstück. Allenfalls kannst du zu Christian rüber gehen zum Spielen.“ Timo ruft fröhlich: „Ja Mama. Mach ich“, poltert die Treppe rauf und geht in sein Zimmer. Kurz darauf poltert er die Treppe wieder runter und ist eine Sekunde später aus der Haustür raus. Diesmal macht er sie leise zu.

      Ich stehe auf und schaue auf meine Armbanduhr. Schon halb zwei? Scheiße. Ich will mich gleich mit Andy treffen. Zum Glück bleiben meine Gedanken und Träume einzig und alleine bei mir. Gedankenlesen kann keiner. Ich gehe die Treppe mit meinem Zeugnis bewaffnet nach unten in die Küche.

      „Hallo Mama. Wie war die Arbeit?“ „Hallo Dennis. Wie immer, wenn man den Leuten alles hinterher tragen muss. Und? Wie war die Schule?“ „ Wie immer, wenn man schwimmen soll und es nicht kann“, antworte ich und halte dabei meiner Mutter das Zeugnis hin.“ Und? Wie sieht`s aus?“ fragt meine Mutter und nimmt mir das Zeugnis aus der Hand. Sie wirft einen Blick darauf und schaut mich mit großen Augen an: „Geht ja noch. Hätte schlimmer sein können. Wieso passt du nur im Unterricht nicht besser auf? Du könntest, wenn du wolltest, locker ne zwei in Mathe haben. Aber nein. Eine vier reicht dir ja auch. Streng dich doch nächstes Mal einfach mal was mehr an.“ „ Nächstes Schuljahr. Versprochen.