Der Stalker. Eva Markert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eva Markert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783847695455
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Steffen war bereits nach Hause gegangen. Marc und Nele hatten in der Parallelgruppe Unterricht.

      Lea versuchte, dem zu folgen, was die Lehrerin sagte. Es ging um das Judentum. Doch ihre Gedanken schweiften immer wieder ab.

      Die Französischstunde war wieder eine einzige Qual gewesen. Wenn Lea drangekommen war – und sie war aus irgendeinem Grunde heute besonders oft drangekommen -, hatte sie Fehler gemacht oder sie wusste die Antwort nicht. Die anstehende Arbeit konnte nur eins werden: eine Katastrophe.

      Sie wurde unruhig. Ob Nele nun noch mal von diesem elenden Subjonctif anfangen würde, wo sie mit Marc Unterricht hatte? Zuzutrauen wäre es ihr. Fände sie das schlecht? Oder wünschte sie es sich heimlich?

      „Lea! Schläfst du? Buch, Seite 75!“

      Lea schrak hoch. Hastig holte sie das Relibuch aus ihrem Rucksack. Auf der Seite 75 war eine Familie abgebildet, die um einen Tisch herum saß und das Passahfest feierte. Leas Blick blieb an einem jungen Mädchen hängen. Es hatte eine schwarze Lockenmähne, dunkle Augen, einen lachenden Mund und war gertenschlank. Ja, genauso stellte sie sich Amélie vor. Wie das genaue Gegenteil von ihr selbst.

      Als der lange Schulmorgen endlich vorbei war, ging Lea mit Nele zum Fahrradständer. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen. „Das darf nicht wahr sein!“

      Im selben Moment hatte Nele es auch entdeckt. „Du hast einen Platten!“

      „Was heißt hier einen? Zwei!“

      Sie untersuchten die Sache genauer.

      „Da hat sich wohl jemand einen schlechten Scherz erlaubt und die Luft rausgelassen“, sagte Lea. „Ich versuch mal, die Reifen wieder aufzupumpen.“

      Doch als sie den zweiten aufgepumpt hatte, war die Luft aus dem ersten wieder raus.

      „Bist du vielleicht über einen Nagel gefahren?“, fragte Nele.

      „Keine Ahnung. So ein Scheiß!“, schimpfte Lea. „Jetzt kann ich das Ding den ganzen langen Weg nach Hause schieben. Hoffentlich schafft Steffen es, das Rad zu reparieren. Sonst muss ich die Woche mit dem Bus fahren. Mein Vater ist nämlich auf Geschäftsreise und kommt erst Freitagabend wieder. Mist, Mist, Mist!“

      „Du könntest zum Beispiel Marc fragen ...“, begann Nele. Ein Blick von Lea brachte sie sofort zum Schweigen.

      Es blieb ihr nichts anderes übrig, als das Rad zu schieben. Als sie endlich in ihrer Straße ankam, öffnete Steffen ein Fenster im Erdgeschoss. „Was ist mit deinem Rad passiert?“, rief er ihr.

      „Das siehst du doch“, antwortete sie ziemlich unfreundlich.

      Steffen ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Ich sehe nur, dass keine Luft in den Reifen ist“, gab er zurück.

      „Entschuldige.“ Lea blieb unter dem Fenster stehen. „Das ist unfair, dass ich meine schlechte Laune an dir auslasse.“

      „Schon gut. Warte, ich komm raus.“

      Steffen begutachtete die Reifen und verschwand in der Garage. Kurze Zeit später erschien er mit Werkzeug und zwei neuen Schläuchen. „Merkwürdig“, sagte er, während er den ersten aufzog. „Das sieht wie Absicht aus. Da muss jemand in die Reifen reingestochen haben. Mit einem Messer, schätze ich.“

      Lea hockte sich hin. „Tatsächlich!“

      „Ein Nagel war es jedenfalls nicht“, setzte Steffen hinzu.

      „Aber wer macht so was? Und warum?“

      Er grinste. „Überleg mal, ob du in der letzten Zeit jemanden geärgert hast.“

      „Ich habe niemanden geärgert!“

      Steffen zuckte die Schultern. „Na ja, auf jeden Fall kriege ich das Rad wieder hin.“

      „Ach, Steffen“, seufzte Lea voll Dankbarkeit, „wenn ich dich nicht hätte ...“

      Er richtete sich auf. Ein helles Lächeln lag auf seinem Gesicht. In diesem Augenblick mochte Lea ihn so sehr, dass sie ihn am liebsten ganz fest umarmen und auf beide Wangen küssen würde.

      „Ja? Wenn du mich nicht hättest, was wäre dann?“, hakte er nach.

      „Dann hätte ich niemanden, auf den ich mich richtig verlassen kann – außer meinen Eltern, natürlich. Und Nele.“

      Steffen beugte sich wieder über das Rad.

      „Ist das nicht super?“, fügte Lea hinzu. „Du und ich, wir haben beide keine Geschwister. Aber wir haben uns.“

      „Ja. Wir haben uns“, echote Steffen. „Fertig. Lass uns eine Probefahrt machen und sehen, ob die Reifen in Ordnung sind.“

      Sie fuhren ein bisschen durch den Park. Die Sonne schien, die Krokusse blühten, alle Bäume sahen aus, als ob sie in einen lichtgrünen Schleier gehüllt wären.

      „Schön“, sagte Steffen, der neben ihr herfuhr.

      „Ich könnte ewig weiterfahren“, erwiderte Lea. „Aber leider – ich muss nach Hause. Üben für die Französischarbeit morgen.“

      „Wolltest du Marc nicht fragen, ob er dir hilft?“

      „Ich hab ihn gefragt. Er kann nicht. Weil er zum Fußballtraining muss.“

      Steffen bremste abrupt. Lea hielt ebenfalls an und wandte sich zu ihm um.

      „Das finde ich aber blöd von ihm“, sagte er.

      Lea zuckte die Achseln. „Er hat am Samstag ein wichtiges Spiel.“

      „Fußball“, entgegnete Steffen verächtlich. „Wie kann ein lächerliches Fußballspiel wichtiger sein als Freundschaft?“

      „Wir sind nicht wirklich befreundet“, widersprach Lea. „Wenn er mir nicht helfen will, muss ich das akzeptieren.“

      „Vermutlich ist es wegen Amélie“, murmelte Steffen und trat wieder in die Pedale.

      Zu Hause setzte Lea sich schweren Herzens mit ihrem Französischbuch an den Schreibtisch und begann, Vokabeln zu wiederholen.

      Irgendwann hörte sie das Telefon klingeln. Kurz darauf erschien ihre Mutter. „Ein Marc Sarré möchte dich sprechen.“

      „Was?“ Leas Herz fing an zu hämmern. Mit zitternden Händen nahm sie den Apparat entgegen. „Hallo? Marc?“

      Am anderen Ende Schweigen.

      „Hallo, Marc? Hier ist Lea.“

      Nichts.

      Sie horchte. War die Verbindung unterbrochen worden?

      Auf dem Display des Telefons stand keine Nummer.

      Lea legte auf und griff nach dem Telefonbuch. Sarré, Sarré, wie schrieb man das genau? Ah, hier stand es. Sie wählte und ließ lange durchklingeln. Gerade wollte sie einhängen, als abgenommen wurde.

      „Sarré?“

      „Guten Tag, Frau Sarré. Hier ist Lea Sonnenfeld. Könnte ich bitte mal den Marc sprechen?“

      „Marc ist beim Fußballtraining“, antwortete seine Mutter.

      Ach ja, richtig. Das hatte sie vollkommen vergessen. Aber wenn er sie vom Stadion aus anrief, musste es wichtig sein.

      „Könnten Sie mir seine Handynummer geben?“

      Lea kritzelte die Nummer auf einen Block, bedankte sich, holte ihr Handy und atmete ein paar Mal tief durch, ehe sie die Nummer eintippte.

      Mit jedem Tuten im Hörer wurde ihr die Luft knapper. Endlich meldete sich … Nein, es war nicht Marc, sondern seine Mailbox.

      „Hallo“, stotterte Lea, „du ... du ... hattest gerade angerufen. Und ... und ... Ich habe deine Mutter angerufen. Deshalb rufe ich dich an. Äh ... Du kannst mich ja zurückrufen.“

      Lea drückte das Gespräch weg. Sie wischte