Stadt der Sünder. Myron Bünnagel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Myron Bünnagel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037531
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mehr, den hatten sich Brombeersträucher erobert. Ich fluchte innerlich. Meine nassen Klamotten begannen auszukühlen, hier war ich wieder weniger vor dem Regen geschützt und die Dornen taten ihr übriges. Die Ranken wucherten so wild, dass ich nicht dicht genug an das verdammte Fenster herankam. Zudem verursachte jeder Versuch, sich von ihnen loszureißen, Lärm. Trotzdem kämpfte ich mich so weit vorwärts, bis ich ins Zimmer sehen konnte. Meine Hand zog die Kamera unter der Jacke hervor, strich über den Haltegriff, den Auslöser. Blitzlicht war tabu, daher hatte ich gestern Nacht mit Einstellungen und Belichtungszeiten experimentiert. Mit etwas Helligkeit sollte ich ein paar akzeptable Aufnahmen kriegen. Allerdings nicht für den Prezella Fotowettbewerb …

      Hinter dem Fenster befand sich ein Schlafzimmer. Ich konnte den Ausschnitt eines Doppelbettes erkennen. Die Gardine war zum Glück eine dieser durchscheinenden. Die Lampe an der Zimmerdecke brannte, direkt darunter stand Josiger und zog sein Hemd aus. Es ging los. Jetzt nahm ich alles nur noch durch den Sucher wahr, er wurde ein Teil von mir. Meine Finger fanden ihren Rhythmus am Auslöser.

      Bodo war ein stämmiger Endvierziger. Dunkle, kurze Haare, kräftige Oberarme. Auch seine Brust war behaart, darunter zeigte sich der Ansatz eines Bierbauchs. Er redete mit jemandem außerhalb meines Blickfeldes. Und er hatte es eilig. Warf seine Hose in eine Ecke, dann machte er eine auffordernde Geste. Eine Frau näherte sich, ging aber sofort vor ihm in die Knie. Der verdammte Fenstersims war zu hoch, ich konnte gerade mal blondes Haar erkennen. Der Auslöser klickte, fing Bodos verzerrtes Gesicht ein. Sie verstand ihr Handwerk. Ich grinste, trotz Dornen und Kälte. Cornelia hätte mir eine Videokamera mitgeben sollen.

      Jetzt wollte er mehr. Der Sucher verfolgte wie er sich breitbeinig auf das Bett legte. Sein Schwanz war beachtlich. Ich erinnerte mich an Gerüchte darüber, ein paar der Mädchen aus dem Club wollten ihn nach dem Tod seiner Frau nicht bedienen.

      Und dann kam sie …

      Blondes, schulterlanges Haar, etwa seine Größe. Ich konnte nur ihren Rücken sehen. Glatte Schultern und ein straffer Arsch. Jung. Sie stieg auf das Bett blickte auf ihn herab, ließ sich sinken und vögelte ihn.

      Klick – klick – klick. Ich hämmerte auf den Auslöser. Auf und ab, auf und ab. Ihr Hintern pumpte. Seine Finger gruben sich in ihre Hüften.

      Klick. Dann erkannte ich ihre Frisur.

      Klick. Wusste, wer da auf ihm ritt.

      Klick. Meine Hände fingen an zu zittern.

      Klick. Ich schmeckte Galle in meinem Mund.

      Klick. So jung.

      Klick. Kamilla.

      Klick. Alles fing wieder von vorne an.

      Mit der Erkenntnis kam die Wut. In diesem Maß hatte ich sie lange nicht mehr gespürt. Heiß und stechend. Etwas, das sich einen brennenden Weg aus der Dunkelheit bahnte. Mein Körper begann zu schmerzen. Da war ein Schrei, der mir nicht aus der Kehle hervorbrechen durfte. Ich schloss die Augen, presste die Finger gegen die Lider, bis Sterne das Bild auslöschten. Kamilla und dieses Schwein. Doch sie blieben. Vögelten weiter, kaum vier Meter von mir. Auf und ab. Ihre Haare, Schultern, Hüften. Ihr Hintern. Seine Hände darauf, seine Finger in ihrem jungen Fleisch. Ich knurrte wie ein Tier. Krallte mich an die Kamera, bis das Gehäuse knirschte. Wut. Ich wollte die Spiegelreflex nehmen und durch das Fenster schleudern. Dann hinterher klettern und Kamilla von ihm herunterzerren. Die Scheiße aus ihm herausprügeln. Mein Schmerz in ihn hineinhämmern.

      Aber ich tat es nicht. Wandte mich um, bahnte mir halb von Sinnen einen Weg durch das Dornengestrüpp. Ich wollte ihr Gesicht nicht sehen. Nicht dort, nicht so. Meine Haut juckte, aber ich hielt erst an, als ich zwischen den Bäumen heraustaumelte. Dann begann ich zu schreien. Heulte wie ein abgestochenes Schwein, schlug und trat gegen die Autos, bis Lichter in den Hütten angingen. Ehe mich jemand aus der Kommune sehen konnte, rannte ich zu meinem Wagen, warf mich hinter das Steuer und … und sackte erschöpft zusammen. Die Raserei ebbte ab, die Wut zog sich wieder zurück. Dorthin, wo ich sie eingeschlossen hatte. Wo sie wartete. Kontrolle – Kontrolle war alles.

      Ich fuhr. Trieb über Landstraßen, wechselte auf die Autobahn in Richtung Grenze, jagte die Tachonadel hoch. In mir brodelte es. Ich war voller Selbstmitleid, Ärger, Frustration. Die Dinge, die uns wirklich wehtaten, waren die einzigen im Leben, die zählten. Wir wussten es erst dann, wenn die Wunde klaffte und der Schmerz da war.

      Ich drehte mich innerlich im Kreis. Nur nicht den gleichen Fehler noch einmal machen. Denk nach, Marr, denk nach! Ich musste der Wut einen Kanal geben, sie langsam fließen lassen. Oder sie würde mir nur Ärger einbringen. Aber es war schwer, gegen die roten Schleier anzugehen. Nicht unbedarft zu handeln. Überlegt. Fokussiert.

      Entschlossen trat ich auf die Bremsen, kurbelte wie verrückt am Lenkrad und schaffte gerade noch die Ausfahrt. Die Neonlichter von Muttis. Eine Truckerkneipe erster Güte, das letzte deutschsprachige Höllenloch vor der Grenze. Schlägereien wurden nicht den Bullen gemeldet, solange irgendjemand für den Schaden aufkam. Im Hinterzimmer wurde gespielt oder illegale Geschäfte abgewickelt. Und in der oberen Etage hingen all die Nutten ab, die im Club keine Kohle mehr einbrachten. Donnerstags feierten die örtlichen Skins in der alten Werkstatt neben an, samstags war Stripteaseabend. Der Alkohol war billig und das Essen genießbar.

      Mutti war eigentlich Oskar, ein ehemaliger Bodybuilder und Exknacki, der sich hatte umoperieren lassen. In etwas, das nicht mehr aussah wie ein Steroidberg, aber weit davon entfernt war, feminin zu wirken.

      Ich war lange nicht mehr hier gewesen.

      Fünf LKW standen auf dem Parkplatz, ein paar Motorräder und Oskars Lieferwagen. Mittwochs fuhr er damit zum Markt, aufgetakelt wie eine alte Hure beim Arbeiten. Eine echte Attraktion, aber niemand würde ihm das sagen. Der Baseballschläger unter dem Tresen wies nicht umsonst ein paar Dellen auf.

      Mutti mochte mich. Außerdem wusste ich über seine Zeit als IM der Stasi Bescheid, plauderte aber nicht darüber.

      Es war genau der Ort, an dem ich gerade sein musste. Rau, schmutzig, in genau dem Ton, den meine Wut und Frustration anschlugen. Ich stieg aus und stapfte auf den Eingang zu. Keine Ahnung, wann ich mich das letzte Mal bewusst betrunken hatte. Aber jetzt war ein guter Zeitpunkt dafür.

      IV. Entscheidung

      Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war mir klar, was ich zu tun hatte. Die Sonne schien zwischen den Vorhängen herein und brachte meinen verkaterten Schädel in Aufruhr. Der Geschmack in meinem Mund erinnerte an etwas Totes. Ich fühlte mich zerschlagen und müde, aber in meinen Gedanken war eine Schärfe, die ich lange vermisst hatte. Ein konkretes Ziel, ein deutlicher Weg. Kein Warten und Abhängen, ohne dass sich irgendetwas änderte. Der Abend bei Muttis war dagegen nur ein zäher, von zu viel Bier und Schnaps und Kotze zermatschter Brei. Ein paar unzusammenhängende Bruchstücke trieben darin herum – Oskar, ein paar Trucker, ein Mädchen. Aber ich konnte nicht sagen, ob die von gestern oder irgendeinem anderen Tag waren. Der Alkohol hatte die Wut soweit durchweicht, dass die Ideen in meinem Hirn lospolterten. Sie kreisten um Rache, was denn sonst? Bodo dafür zu bestrafen, dass er seine dicken Finger in Kamillas Haut gebohrt hatte. Dass er ihre Brüste gequetscht und seinen Schwanz in ihr Innerstes gerammt hatte. Ja, es war Eifersucht. Rein und heiß. Aber noch etwas anderes, tiefer sitzendes. Das Gefühl eines unausweichlichen Schicksals. Vorherbestimmung. Das alles mischte sich, kroch unter der Oberfläche dahin, wollte raus. Doch ich ließ es nicht. Nicht so. Ich brauchte einen Plan. Und ich wollt wirklich keinen Fehler zweimal begehen.

      Langsam angehen lassen, sich zurücklehnen. Das Mosaik zusammenfügen, bis aus den Ideen ein perfektes Bild geworden war. Erpressung. Simpel und direkt. Keine Gewalttätigkeiten. Keine überstürzten Dummheiten. Eine durchstrukturierte kleine Erpressung. Er würde leiden, langsam und beständig bluten. Und ich würde mehr als bloße Genugtuung davon haben. Das war mir nach der ersten Raserei gestern klar geworden. Alles andere brachte mich nur wieder in Schwierigkeiten. Das hier jedoch war sauber. Der Kniff war, nicht gierig zu werden. Das brach einem früher oder später das Genick. Es war die Erniedrigung, das Ausgeliefertsein, nicht der finanzielle Verlust. Josiger hatte mehr als genug,