Stadt der Sünder. Myron Bünnagel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Myron Bünnagel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037531
Скачать книгу
Ihre schlanken Finger zeigten auf eine Kühltasche. Im zerstoßenen Eis ruhten zwei Flaschen Champagner.

      Ich schüttelte den Kopf und okkupierte einen Baststuhl ihr gegenüber. Dabei fragte ich mich, ob wir hier ganz allein waren. Bodo arbeitete vermutlich noch, doch es musste einiges an Personal geben. Aber das Haus war still, nur der Pool gurgelte vor sich hin. Unbewusst krempelte ich die Ärmel nach oben. Cornelia sah nachdenklich auf meine Arme, ich war nicht gerade ein Schwächling, und lehnte sich dann zurück.

      „Sie sprachen von einem Job, Frau Josiger?“

      „Cornelia, bitte. Alles andere ist so förmlich, Marr.“

      „Cornelia …“

      Sie lächelte und zog die Badekappe ab. Ihr Haar war schwarzblau, seidig glatt und schulterlang. „Besser.“ Ihre kalten Augen fixierten den Champagner, dann mich. Ich war mir nicht sicher, ob sie getrunken hatte. Irgendetwas in ihrer Art brachte mich darauf, aber womöglich täuschte ich mich auch. „Du bist clever und arbeitest, ohne viele Fragen zu stellen. Das mag ich.“

      Cleverness hatte ihre Grenzen. Aber eigentlich stimmte ich ihr zu.

      „Und du kannst mit einer Kamera umgehen.“

      Es kostete mich viel Mühe, weiterhin unbeteiligt zu wirken. Natürlich kannte sie die alte Geschichte. War das Ganze nur einer ihrer Späße, mit denen sie mich aufziehen wollte? Aber in ihrem Gesicht änderte sich nichts, es war einfach nur eine Tatsache für sie. „Kommt schon hin …“

      „Und Geld kannst du auch gebrauchen, Marr.“ Eine weitere Tatsache.

      „Also, wie wäre es, wenn du das Tanzen sein lässt und zur Sache kommst?“

      Wieder ihr Lächeln, ganz ohne Wärme. „Mein Mann betrügt mich.“

      Das saß. Ich meine, man hörte früher oder später Gerüchte über alle verheirateten Männer im Ort. Immerhin gab es den Club 69 im Industriegebiet nicht ohne Grund. Das meiste davon war bloßes Gerede. Das über Bodo stammte noch aus seiner ersten Ehe. Und jetzt, bei einer wie Cornelia … Kaum vorzustellen.

      „Und ich brauche Beweise. Du sollst sie mir beschaffen.“

      Ich hatte schon alle möglichen Jobs gehabt, gute und schlechte. So einer war noch nicht dabei gewesen. „Du meinst, ich soll ihn in flagranti erwischen?“

      Sie verdrehte die Augen: „Wie du das sagst … der alte Bock vögelt irgendein Flittchen und ich will wissen, wer sie ist.“ Kaum Wut in ihrer Stimme.

      „Wissen oder Beweise?“

      „Sei nicht blöd, beides natürlich. Finde die beiden. Du kriegst fünfhundert Euro, wenn du es schaffst. Hier, die kannst du dann auch behalten.“ Sie zog einen Karton hinter der Liege hervor und schob ihn mir in die Hand. Eine digitale Spiegelreflex, schwer und kompakt. Neues Modell, mindestens noch mal fünfhundert wert. Ich hatte seit Jahren keine Kamera mehr in den Händen gehalten. Fotografieren konnte für mich zur Manie werden und Ärger einbringen. Viel Ärger. Dabei machte es mir wirklich Spaß. Augenblicke einfangen, jedes erstarrte Detail unter die Lupe nehmen. Damals hatte ich meine Kamera in den Müll geworfen und alles andere verbrannt. Aber da war es schon zu spät gewesen.

      „Was sagst du, Marr? Das ist angemessen für so eine Aufgabe.“

      Ich hätte nein sagen sollen. Als ich damals die Negative anzündete, hatte ich mir vorgenommen, nie weder eine Kamera in die Hand zu nehmen. Aber stattdessen schwieg ich und sah auf die Schachtel auf meinem Schoß. Das hier war etwas völlig anderes. Nicht manisch, sondern einfach nur ein Job, der gutes Geld versprach. Und damit ein wenig Unabhängigkeit. Ich konnte den Apparat später versetzen und die Sache wäre erledigt. „Scheidung?“, fragte ich, ohne aufzusehen.

      Cornelia seufzte: „Vielleicht, ich weiß es noch nicht. Erst einmal brauche ich Gewissheit. Also machst du es, Marr?“

      Meine Entscheidung war gefallen, als ich die Spiegelreflex in die Hand genommen hatte. Ich fing sie im Sucher ein. „Was stellst du dir vor?“ Sie war fotogen, kein Zweifel.

      Jetzt kam so etwas wie Feuer in ihren Körper. Sie setzte sich aufrecht. Der Morgenmantel hatte sich geöffnet, trocken schien ihr Badeanzug fast durchsichtig. „Hefte dich an seine Fersen. Die meiste Zeit sitzt er ohnehin in seinem Büro oder fährt raus zu Kunden. Gut möglich, dass er dann eine kleine Nummer einschiebt.“

      „Und was, wenn nicht?“

      „Nicht gibt es nicht. Ich bin mir sicher. Aber ich brauche Gewissheit.“ Sie machte eine Pause und sah mich an: „Wenn du dir Sorgen wegen des Geldes machst – behalte die Kamera, falls da wirklich nichts sein sollte.“ Cornelia schüttelte den Kopf. „Aber du wirst deine Fünfhundert bekommen, da bin ich sicher. Lass dich bloß nicht entdecken.“

      „Ich werde mir Mühe geben.“ So eine Art Privatdetektiv war ich noch nie gewesen, aber so schwierig konnte das nicht sein. Außerdem hatte ich schon mal jemanden als Schatten begleitet. Bemerkt hatte er das erst zu spät …

      Cornelia zog ein winziges Handy aus der Tasche, so rot wie die Ledersitze in ihrem Coupe. „Ja? Jetzt nicht … Genau. In einer Viertelstunde.“ Sie beendete das Gespräch und wog das Telefon in der Hand. „Alles klar soweit? Sobald du was hast, rufst du mich an, Marr. Wenn nicht heute, dann morgen oder übermorgen.“

      „Von mir aus.“ Ich hatte ohnehin nicht viel anderes zu tun, weder heute noch morgen noch irgendwann in den nächsten Tagen. Aber ich musste mir einen anderen Wagen besorgen, wenn ich Bodo beobachten wollte. Meine Karre kannte er, kannte jeder in Prezella.

      „Gut.“ Sie erhob sich. Einen Moment ließ ich ihre Figur auf mich wirken. Wirklich schöne Beine. Ich fragte mich, ob sie da unten rasiert war. Eine wie sie bestimmt. „Das genügt, du musst jetzt gehen.“ Sie band den Morgenrock zusammen und brachte mich zur Haustür.

      „Du hörst von mir“, sagte ich zum Abschied, aber da hatte sie die Haustür bereits geschlossen. Ich runzelte die Stirn und ging zurück zum Ford. Die Schachtel mit der Kamera hielt ich unter dem Arm und tätschelte sie nachdenklich. Als ich hinter dem Steuer saß, war ich kurz davor, die Spiegelreflex auszupacken. Es kostete mich wirklich Überwindung, aber ich legte sie auf den Beifahrersitz. Sie musste zelebriert werden, heute Abend, in Ruhe.

      Vor der 48 parkte ein silberner Volvo. Ich fuhr langsamer. Das Fahrzeug kannte ich und an der Haustür sah ich Tilo Borrmann, seines Zeichens aufstrebender Anwalt. Erledigte so allerlei diskrete Angelegenheiten für jene in Prezella, die sich seine Dienste leisten konnten. Vor fünfzehn Jahren hatten wir im selben Fußballverein gekickt. Nach der Schule ging er zum Studium nach Westdeutschland, aber dann war er doch wieder zurückgekommen und hatte hier eine eigene Kanzlei eröffnet. Nicht lange, und durch seine skrupellose Art hatte er sich mit den örtlichen Kollegen verscherzt. Dafür zählten einige der dicksten Fische zu seinem Klientel. So wie es schien, auch die Josigers. Aber ob Bodo wusste, dass Borrmann seine Frau beriet? Ich zweifelte daran. Scheidung lag in der Luft.

      III. In flagranti

      Was faszinierte mich am Fotografieren so? Nicht das Künstlerische, dafür hatte ich nie eine Ader. Auch nicht die Suche nach dem richtigen Motiv oder Augenblick, ich nahm ohnehin nur Personen auf. Vermutlich bin ich dabei nicht mal ein besonders guter Fotograf. Nein, es war die Nähe. Die Intimität, die ich mit einer Kamera einfing. Unbemerkt. Gesichter, Körperhaltungen, Momente, in denen meine Modelle nicht ahnten, dass sie abgelichtet wurden. Ich war kein Voyeur, mir ging keiner dabei ab. Ich legte es nicht mal darauf an, jemanden nackt oder beim Sex zu erwischen. Klar, vorgekommen war das schon, aber mehr, weil es sich ergab. Ich suchte nicht danach.

      Es ging um eine andere Art von Intimität: Teil von jemandem zu sein, ohne dass er es wusste. Kleinigkeiten mitzubekommen, die sonst niemand sah. Ein bisschen wie dieser Film mit diesem Typen, der Mädchen dabei fotografierte während er sie ermordete. Natürlich brachte ich niemanden um, trat nicht einmal in Erscheinung oder machte jemandem Angst. Obwohl die meisten wohl Panik bekommen hätten bei dem Gedanken, wie nah ihnen ein Objektiv schon gekommen war.