„Jaan, Simooone kommt!“
Alex schüttelt ihn dabei an den Schultern.
„Ja, ich seeehe es doooch. Du brauchst mir das nicht zweimal sagen.“
Jan kribbelt es erneut in der Magengegend. Sie kommt auf die beiden zu.
„Hallo Jan, hallo Alex“, sagt sie und schaut Jan dabei mit einem leichten Lächeln tief in die Augen.
„Kann ich dich mal kurz sprechen?“, erwidert Jan.
„Natürlich, was ist denn?“
Er blickt zu Alex, der mit einer neugierigen Miene interessiert zu den beiden herüber schaut.
„Alex, alleine, bitte!“
„Oh Mann. OK, ich hau ja schon ab. Pack meine Sachen schon mal in den Bus.“
Dann dreht er ab und verschwindet in Richtung Bushaltestelle.
„Was ist denn los Jan?“
„Du sagtest ja, dass ihr Heiden seid, richtig?“
„Ja, und weiter?“
„Versteh mich nicht falsch, aber ihr gehört nicht zu den braunen Glatzen, oder?“
„Sag mal, spinnst du? Wir haben doch nichts mit diesem Pack zu tun. Wie kommst du denn darauf?“, reagiert sie forsch.
„Nun ja, die Müller warnte uns am Freitag vor Naziaktivitäten an den Externsteinen. Sie meinte, die würden da regelmäßig Treffen abhalten, wegen heidnischem Kult und so. Jetzt erzähltest du, Heiden treffen sich da auch regelmäßig und da kam bei mir halt dieser Gedanke auf.“
„Mit den braunen habe ich und meine Familie so viel zu tun wie die Sonne mit flüssigem Stickstoff. Wir verabscheuen die. Die ziehen mit ihrem rechten Gedankengut die gesamte nordische Mythologie in den Dreck. Wegen denen haben wir so einen schlechten Stand in der Gesellschaft. Aber kein Problem, wenn du das nicht wusstest. Das kommt öfter vor, dass manche Leute einen dumm anschauen. Die Medien tun nun mal ihr bestes. Von wegen Unabhängigkeit und unzensiert! Ich bringe meine Sachen schon mal in den Bus. Wir sehen uns dann später. OK?“
Sie dreht ab und rollt ihr Köfferchen zur Haltestelle.
„Hui, wie hat die denn reagiert. Das war doch nur eine einfache Frage. Nun ja, wenn mich jemand für einen Rechten halten würde, wäre ich sicher auch nicht so begeistert“, denkt er beim Laufen so vor sich hin und packt dann auch sein Gepäck in den Bus. An der Haltestelle macht sich bereits eine allgemeine Aufbruchsstimmung breit. Alles wird hektisch im Bus verstaut und jeder reserviert sich mit seiner Provianttüte bereits einen Sitzplatz.
„Und Jan? Hast du alles wieder gerade gezogen. Schien mir wohl ´ne kleine Aussprache gewesen zu sein“, fragt Alex, der neben ihm Platz genommen hat.
„Alle Klarheiten beseitigt. Nein, ich habe ihr nur eine Frage gestellt, auf die sie ein wenig ruppig reagierte. Hätte allerdings an ihrer Stelle genauso reagiert, denke ich.“
„Was hast du sie denn gefragt?“
„Ob sie dunkelorange ist.“
„He?“
„Ist schon gut“, erwidert Jan.
Sechs Uhr. Die Lehrer pfeifen zum Angriff. Frau Müller fordert ihre Meute auf:
„Die Gepäcke können, wenn das noch nicht geschehen ist, im Gepäckraum verstaut werden. Wenn ihr damit fertig seid, fahren wir los.“
Nachdem dann alles im Bus verpackt und gesichert wurde, inklusive der Schüler, setzt der Fahrer sein Gefährt in Bewegung. Es wird eine lange Fahrt bis Detmold. Musik in die Ohren und erst mal eine Runde schlafen ist angesagt. Jan und Alex haben ihren Sitzplatz in der Mitte des Busses eingenommen. Jan schaut noch einmal kurz auf die Plätze drei Reihen vor ihnen, wo Simones rötliche Mähne zu sehen ist. Dann schläft er ein.
„Alex!“, ruft es von hinten. Dieser schaut sich um. Miriam wedelt mit einem Zettel, den sie über die hinteren Plätze nach vorne durchreichen lässt.
„Was ist das?“, ruft er zurück.
„Schau hinein und lese“, fordert sie ihn auf.
„Ein Liebesbrief!“, ergänzt Melanie. Übrigens auch eine Mitschülerin. Alex faltet den Zettel auseinander und verzieht die Miene.
„Tina hat heute Nacht von dir geträumt“, liest er leise vor sich hin.
„Sehr lustig“, ruft er nach hinten.
„Ausgerechnet diese Zicke“, denkt er. Dann legt auch er sich auf die Seite und döst mit einem leisen Murmeln ein.
Jan wacht zwischenzeitlich immer mal wieder aus seinem zu leichten Schlaf auf und schaut aus dem Fenster nach draußen, wo alles in einem gemäßigten Tempo an ihm vorbei rauscht. Die Pappelreihen des Niederrheins, die Industriekultur des Ruhrpotts, die weiten Felder des Münsterlandes. Dennoch, nach gefühlten dreißig Minuten Schlaf, biegt der Bus auf das Gelände der Jugendherberge in Detmold ein. Der Busfahrer stoppt sein Vehikel und öffnet die Türen. Die ganze Meute drängt daraufhin ins Freie. Frau Müller betritt die Herberge und kommt nach kurzer Zeit mit der Zimmerbelegung wieder heraus. Wie in jeder Herberge sind Einzelzimmer rah gesät. Sie verliest die Liste. Frank ist mit der Einteilung jedoch sichtlich unzufrieden.
„Sechsmannzimmer, wie toll!“, winselt er genervt, „Immer diese Sechsmannzimmer, ich möchte ein Einzelzimmer! Frau Müller, ich habe Enochlophobie. Ich brauche ein Einzelzimmer!“, grölt er fordernd über das Gelände.
„Brüll nicht so, Frank. Du brauchst kein Einzelzimmer, du hast keine Platzangst! Ich fall da nicht nochmal drauf rein.“
Frank hatte bei der letzten Klassenfahrt zumindest für eine Nacht ein Einzelzimmer. Es war ein Ruheraum für besondere Delinquenten. Denn bereits vor zwei Jahren fiel er als unangenehmer Querulant auf, der nur auf Konfrontation aus ist. Als Ergebnis hagelte es Zusatzdienste für ihn. Wenn er das braucht?
„Ich liege oben!“, ruft Jan in die Runde, als er den Raum betritt, den er nun für die nächsten Nächte mit seinen Stubenkollegen teilen muss.
„Lass bloß nachts nichts fallen, du Ferkel!“, erwidert Alex.
„Ich warne dich schon früh genug vor, wenn was durchzusickern droht“, gibt Jan lachend zum Ausdruck.
Nachdem kurze Zeit später die Spinde mit sämtlichen Kofferinhalten gefüllt wurden, beruft Frau Müller noch eine Besprechung ein. Die Schüler sind derart ausgelassen, dass es sich im Flur anhört, als begehrten Horden um Einlass. Dennoch sitzen alle nach einem nicht ganz so kurzen Moment in der herbergseigenen Aula. Ihre Klassenlehrerin beginnt daraufhin mit ihren Ausführungen.
„So, nun sind wir in Detmold. Ich verlange von euch, dass ihr euch dem entsprechend benehmt.“
„Wie benimmt man sich denn in Detmold?“, ruft Frank von hinten in die Runde.
Alles lacht amüsiert. Frau Müller überkommt abermals eine innere Unruhe.
„Frank, wenn du wieder so ein Ding abziehst, wie beim letzten Mal, wirst du die restlichen Tage hier in einer örtlichen Schule einquartiert. Haben wir uns verstanden!?“
„Ist schon gut.“
Leise fügt er hinzu:
„Das werden wir mal sehen, du blöde Kuh!“
„Sag mal, du stehst wohl auf Ärger, oder?“, fragt ihn Dirk.
„Halt du dich da mal raus, Digga.“
Die Müller schaut bereits wieder derart entgeistert in seine Richtung, als ob sie gleich entgleisen würde.
„Frank, wir sprechen uns noch!“
„Frank, wir sprechen uns noch“, äfft er ihr nach.
Nach