Mo Morris und der Staat der Flüchtlinge. Benedict Dana. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Benedict Dana
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752922332
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haben es wohl auf mich abgesehen!“, scherzte er mit einem breiten Grinsen, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr er ihre Gesellschaft insgeheim vermisst hatte.

      „Der Grund, warum ich Ihre Nähe suche, liegt für fast jeden hier auf der Hand, nur Sie haben ihn noch nicht begriffen!“

      Bevor er seine Vermutung, dass zwischen Merizadi und ihm eine Zusammenarbeit vorgesehen war, offen aussprechen konnte, kam sie ihm mit einer erstaunlichen, alles auf den Punkt bringenden Feststellung zuvor:

      „Es ist ganz einfach, Dr. Morris: Ich bin Ihre zukünftige Frau!“

      Im Gegensatz zu seiner bisherigen Schwerfälligkeit, die an das Versagen seiner berühmten Intuition grenzte, hatte er den gesamten Sinn der Aussage innerhalb einer Millisekunde erfasst. Hätte er es nicht getan, hätte er sie für verrückt halten müssen. Er musterte mit anerkennender Miene ihre äußerst ansprechende Erscheinung von oben bis unten und hätte dabei fast irgendeine anzügliche Bemerkung gemacht. Er unterließ es natürlich, da die schöne Feministin höchstwahrscheinlich mit besonderer Empfindlichkeit auf männliche Anzüglichkeiten reagierte.

      „Sie meinen, der Plan ist, uns als Ehepaar in die UN-RN einreisen zu lassen? Oder soll das hier etwa ein etwas voreiliger Heiratsantrag sein? Ich bin überzeugter Junggeselle und möchte meine Prinzipien nicht aufgeben, nur weil Sie zufällig sehr gut aussehen.“

      Sie bewies Humor und reagierte mit einem Lachen darauf. Danach wartete allerdings sofort eine kalte Dusche auf ihn, indem sie ihn von vornherein gründlich in die Schranken wies.

      „Sie wurden mir als ein Profi beschrieben, Dr. Morris. Ein Mann mit Fähigkeiten, Bildung und Prinzipien. Humor haben Sie angeblich auch. Ich erwarte von Ihnen, die Umstände nicht auszunutzen und mir die üblichen frivolen Männerwitze zu ersparen!“

      Er war schlau genug, darauf lieber nichts mehr zu erwidern, und schaute sich in der modern eingerichteten Cafeteria um. Die Übrigen der Gruppe hatten sich zu zweit an den kleinen Tischen zusammengefunden und erst bei dieser Beobachtung fiel es ihm endlich wie Schuppen von den Augen: All diese Zweierpärchen waren absichtlich einander zugewiesen worden und bestanden aus je einer Frau und einem Mann.

      Merizadi schob ihn am Ellenbogen zu einem Platz in der Nähe der großen Panoramascheibe und meinte dabei:

      „Ich denke, es ist nicht ungewöhnlich, wenn Ehepaare zusammen Mittagessen, oder? Wir sollten uns so schnell wie möglich an die Rolle gewöhnen, die wir zu spielen haben. Das ist eine offizielle Forderung an uns. Dazu gehört natürlich auch, uns beim Vornamen zu nennen. Heute können wir von mir aus noch davon absehen. Es war nicht meine persönliche Idee, dass uns beide das Schicksal auf diese Weise zusammenführt. Aber es hätte ja durchaus auch schlimmer kommen können…“

      Sie deutete mit einem vielsagenden Lächeln zu einem der Nachbartische, und als er sich umwendete, schreckte er instinktiv zurück. Er blickte direkt in das Gesicht einer sehr unansehnlichen Frau, die ihm bereits während der Führung immer wieder aufgefallen war. Er musste an Goldsworthy denken. Er hätte ihn früh genug über alles aufklären können, aber er hatte sich offenbar einen Spaß daraus gemacht, ihn vor der Unterzeichnung des Vertrages über gewisse Details in Unkenntnis zu lassen. Das spezielle Rollenspiel, das ihm der Auftrag auferlegte, versprach an der Seite der schönen Feministin genauso reizvoll wie kompliziert zu werden und so stellte er sich auf anstrengende Wochen ein.

      Er erhob sich, um sich etwas zu Essen zu holen, und als er sich bereits ein paar Meter entfernt hatte, hielt er plötzlich mit einem hörbaren Seufzen inne und kehrte an den Tisch zurück.

      „Darf ich dir etwas mitbringen?“, fragte er mit einer betonten, ironischen Höflichkeit, die seine Lernwilligkeit bezüglich seiner neuen Rolle als braver und aufmerksamer Ehemann zum Ausdruck bringen sollte.

      „Uns bleiben genau zehn Tage Zeit, Ihnen in einem Crash-Kurs Manieren beizubringen und Ihnen Ihren Junggesellen-Egoismus auszutreiben. Ich hätte gern einen Kaffee und ein Käsesandwich, mehr nicht.“

      Die trockene Ironie, die aus ihren Worten sprach, rief als Antwort ein gequältes Lächeln bei ihm hervor. Als er nach einiger Zeit das Gewünschte an den Tisch brachte, setzte sie ohne weitere Umschweife dazu an, ihn über das Bevorstehende näher aufzuklären.

      „Sie wissen ja, wie es in etwa weitergeht. Wir werden eine Reihe von Vorbereitungsseminaren absolvieren, bevor unsere Mission starten kann.

      Wir reisen in den Teil der UN-RN, der als ihr Hauptzentrum gilt und mitten im Herzen Europas in einem Dreiländereck liegt. Das Gebiet befindet sich im Gebiet des Aostatals im nordwestlichen Zipfel Italiens in unmittelbarer Nähe zur Schweiz und zu Frankreich. Die Staatsgrenzen verlaufen über die Gipfel der Alpen. Die Nähe zu Genf mit seinen zahlreichen UN-Institutionen ist selbstverständlich kein Zufall. Die Luftlinie beträgt nur rund 50 Meilen. Aus diesem Grund wurde dieses Gebiet von Anfang an als Hauptverwaltungszentrum der UN-RN angelegt. Es ist etwa 22 Quadratkilometer groß und 80 Prozent seiner Fläche bestehen aus einem Ort, der quasi als die Hauptstadt der UN-RN gilt. In ihr wohnen bis zu maximal 25 000 Flüchtlinge und 800 UN-Mitarbeiter. Sie wurde UN-City getauft, woraus sich im täglichen Sprachgebrauch später der prägnante Spitzname Unity entwickelt hat. Diese Name wird sowohl für den Ort wie für das ganze Gebiet verwendet.“

      „Unity…“, wiederholte er nachdenklich. „Klingt interessant und viel versprechend, meine ich! Ich nehme an, der Name soll an die Einheit aller Menschen und Nationen erinnern?“

      „Natürlich, eine mehr als nahe liegende Interpretation… In der Zeit, als ich noch in Genf tätig war, war ich häufig im Auftrag des UNHCR dort, um mir ein Bild über die Situation der Flüchtlingsfrauen vor Ort zu machen. Damals befand sich das Gebiet gerade im Aufbau, doch seitdem hat sich viel verändert.

      Sie haben ja in den nächsten Tagen noch genug Zeit, sich selber alle nötigen Informationen zusammenzusuchen. Wenn alles nach Plan verläuft, werden wir in etwa 14 Tagen Greg McGregor, den Leiter von Unity, in Italien treffen. Er ist Engländer und ist schon lange für die UN tätig. Ich kenne ihn von früher und er wird uns persönlich instruieren.“

      Sie hielt inne und schaute sich um. Einige der Anderen waren bereits mit dem Essen fertig und verließen die Cafeteria, da der Termin für das Vorbereitungsseminar auf sie wartete. Dann meinte sie in abschließendem Ton:

      „Laut Plan werden wir also als Flüchtlingspaar nach Unity reisen. McGregor hilft uns dabei und versorgt uns mit den nötigen Papieren. Der Auftrag scheint auf den ersten Blick nicht gefährlich zu sein, aber noch weiß keiner, was uns alles erwarten wird. Im besten Fall wird es nur ein kleines Abenteuer sein, das ein erfahrener Mann wie Sie auf der linken Pobacke absitzen kann.“

      Mo lachte und wurde plötzlich von einer spontanen und sehr unvernünftigen Emotion ergriffen. Er nahm Merizadis zierliche Hand, zog sie in Richtung seines Mundes und deutete ganz altmodisch einen Handkuss an. Dabei setzte er eine unterwürfig wirkende, komische Miene auf und meinte mit einem ironischen Grinsen:

      „Kleines Abenteuer? Ich bin sicher, an Ihrer Seite werde ich jede Art von Abenteuer bestehen, Sofia…“

      Sie wollte protestieren, ließ es dann aber sein und verdrehte bloß kopfschüttelnd die Augen. Der Mann, der auch unter dem Spitznamen „Inspector Mo“ bekannt war, hatte manchmal einen ziemlich schrägen Charme, aber man konnte ihm einfach nicht böse sein…

      3

      Als er den Wagen auf dem Parkplatz eines einsam gelegenen italienischen Berghotels zum Stehen brachte, hatte er noch immer die Worte eines gewissen „Rick van de Loo“ in den Ohren. Er und Sofia hatten van de Loo nachmittags im Hauptsitz des UNHCR in der Rue de Montbrillant in Genf getroffen und ein kurzes, aber wichtiges Gespräch mit ihm geführt. Obwohl das holperige Englisch des Niederländers mit einem starken Akzent durchzogen gewesen war, war die Botschaft seiner Worte ziemlich klar gewesen: Der Fall, dessentwegen man sie aus den USA hergerufen hatte, war potentiell erheblich größer und komplizierter, als man es ihnen während der Vorbereitungsphase in New York dargestellt hatte. Van de Loo, der einer der Stellvertreter des hohen