Mine-Dine-Use und andere Generationengeschichten. Matthias Deigner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Deigner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754107690
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Sie so vielen Menschen genau diese Herzenswärme nun haben gefrieren lassen, zu einer erstarrten Fratze des Entsetzens, die nur sehr langsam durch unzählige Tränen schmelzen wird?

       Hat man Sie gelehrt, dass Sie, wenn Sie töten, belohnt werden?

       Wurden Sie belohnt? Darauf können Sie mir nicht antworten und ich kann Sie nicht hören. Deshalb wissen wir es nicht.

      

       Was wollten Sie erreichen? Haben Sie es erreicht?

       Wir wissen nur, was Sie hier, wo ich bin, erreicht haben. Sie haben erreicht, dass Ihnen anstatt der liebenden Gedanken, die Ihre Mutter Ihnen einst hinterher sandte, nun erstarrte Fratzen nacheilen.

       Jedoch zwischen denen, die getötet wurden, und denen, die sie liebten, fließen stärker denn je, die liebenden Gedanken, die innigsten Wünsche hin und her, bis sie wieder vereint sind. Ihre Bande sind stärker denn zuvor.

       Ich habe Ihr Heimatland noch nie bereist, aber ich stelle es mir wunderschön vor. Man sagt, in der arabischen Welt sei die Gastfreundschaft eine Ehrensache.

       Wenn ich meine Augen schließe, wenn ich die Zeit etwas zurückdrehe, bevor verirrte Kinder keinen Weg fanden, dann entspinnt sich in meinem Herzen ein Liebesgedicht.

      

       Filigrane Wüstenpaläste, die im gleißenden Sonnenlicht liegen. Geflüsterte Botschaften durch verzierte Paravents, über Marmorböden eilende Sandkörner.

       Ich spüre das seidige, kristallklare Wasser im Herz des Palastes, das die Springbrunnen hochwerfen und wieder auffangen.

       Im Innenhof das melodiöse Rauschen hoch oben in den Palmen. Kardamom, Datteln und duftendes Rosenwasser in bunter Keramik.

       Sonnenkringel glitzern in Karaffen, irgendwo lacht ein Kind.

       Ich sehe bunten Lampen im Wind schaukeln und den Sand vor den Toren neue Landschaften formen.

       Ein silbernes Schutzamulett gegen den bösen Blick. Ob es geschützt hätten vor haltlosen Kindern?

       Gerne wäre ich einmal in Ihr wunderschönes Land gereist und hätte mit Ihnen gemeinsam Pistazien gegessen.

      

       Sie hätten mir orientalische Märchen aus Ihrer Kindheit erzählt und ich Ihnen die meinen aus einem fernen verschneiten Wald.

       Unsere Kinder hätten gemeinsam gespielt und unsere Herzen wären an diesem Tag voller Liebe gewesen.

       Gemeinsam hätten wir einen kostbaren geistigen Kokon gesponnen, so wie die Weberinnen für nachfolgende Generationen ihre Gedanken und Gefühle in die Heimstatt der Palastteppiche hinein webten.

       Das ist nun leider nicht mehr möglich, da Sie an einem anderen Ort sind, an dem Sie auf Belohnung hoffen, und bei mir die Trauer über Ihren verlorenen Schatz so tief ist.

       Ihre M.

      Yasmin legte den Brief ordentlich auf den Küchentisch.

      Dann nahm sie den Tee und den Brieföffner und ging ins Nebenzimmer.

      »Ich komme«, sagte sie.

       Schöne Neue Welt

      Yo-Pa

      »Du Yo-Pa?« Meine kleine Schwester zupft an meinem Shirt herum.

      »Du? Was ist eigentlich ein Nazi?«

      Mir steht vor Schreck der Mund offen »äh … naja.«

      Die größere, mittlere fällt mir ins Wort »Och du Dummi, das ist doch einfach so ein böser Mann.«

      Na toll, denke ich. Wo soll ich jetzt anfangen? Damit, dass nicht alle Nazis Männer sind? Oder was einen Nazi ausmacht? Dann müsste ich aber auch erklären, was Rassismus eigentlich ist, und woher das kommt, aber das kann man ja auch nicht so pauschalisiert sagen, am Ende bekommt sie irgendwelche Vorurteile. Die größere, mittlere unterbricht erneut meine Gedanken.

      »Ein Nazi hat halt was gegen die anderen.«

      »Welche anderen?«

      »Na die … wie deinen Erzieher zum Beispiel.«

      »Weil der so lustige Haare hat?«

      »Ne du Dummi. Wegen der … na du weißt schon …«

      »Das versteh ich nicht.«

      Scheiße man, denke ich. Du bist ein Kind. Warum muss ich dir das erklären müssen? Du bist jung. Du solltest sorgenfrei und unschuldig sein. In deinem Kopf sollte gar kein Platz sein für Hass und Rassismus und den ganzen anderen Bullshit! Ich will nicht, dass du über sowas nachdenken musst. Wie schön einfach die Welt war, als wir Kinder waren.

       Du sollst verdammt nochmal einfach Kind sein können.

      Ich bin schon frustriert mich damit auseinander- zusetzen und ich bin der Erwachsene.

       Ich will mich nicht damit beschäftigen müssen, dass wir einen alten, widerlichen, weißen Mann als verdammten Außenminister haben, der liebend gerne Menschen verrecken sieht, wenn ihm das weiterhin Prozente bei der nächsten Wahl einbringt.

      Oder das wir eine ganz öffentlich rassistische Partei als zweitstärkste Kraft im Bundestag zu befürchten haben, während anderswo Menschen wie Vieh durch die Straßen gejagt werden.

      Fuck, was ist eigentlich plötzlich mit der Welt los? Wo ist die Zeit geblieben? Wann ist das alles so eskaliert?

      Wie schön einfach die Welt war, als wir Kinder waren.

      Ich musste nicht wissen, was Rassismus ist, oder was gerade die politisch korrekte Bezeichnung für irgendwas geworden ist. Angst vor einem Namen macht nur noch größere Angst vor der Sache selbst, das habe ich schon als Kind gelernt. Wenn ich bei Mama auf Arbeit war, dann haben wir die Behinderten besucht. Die waren etwas komisch, aber alle superlieb.

      Gut, anfangs hatte ich was gegen die. Aber weil die ein eigenes Bällebad hatten und ich nicht! Das war mein Problem. Das war auch schon die Bandbreite meiner Probleme.

      Ich habe Bücher gelesen und war unglücklich, weil es den nächsten Teil noch nicht gab. Ich habe Lego gespielt und mich geärgert, dass wir nicht genug Platz für alle hatten. Also alle Steine. Ich habe Fußball gespielt und mich aufgeregt, weil wir verloren haben.

      Wie schön einfach die Welt war, als wir Kinder waren.

      Mein Opa drückt mir etwas in die Hand. Eine Tasse, auf der irgendwelche Nationalspieler abgedruckt sind.

      »Hier, für alle Enkel. Wegen WM und so.«

      Heute ödet mich Fußball an. Aber ich nehme sie entgegen. Ihm zu liebe. Er merkt sich das nämlich nie und denkt, er macht mir eine Freude.

       Über den gephotoshoppten Gesichtern prankt die Aufschrift »Abwehr«.

      Na toll, denke ich. Als Kind habe ich auch immer Abwehr gespielt. Nicht, weil ich darin besonders gut war. Nein, ich war nur zu faul fürs Tor und zu fett für alles andere.

      Wie schön einfach die Welt war, als wir Kinder waren.

      Wenn ich ehrlich zurückblicke, war ich immer froh, wenn ein Spiel zu Ende oder ein Training ausgefallen war. Und über meine Lieblingsbücher konnte ich mit meiner Mannschaft damals auch nicht reden. Wir waren ja Jungs. Vielleicht war damals schon alles nicht so perfekt? Und ich hab nur nicht darüber nachgedacht. Mit einem Mal überkommen mich die Erinnerungen.

      Wie Opa erzählt, wie er auf Arbeit schikaniert wurde, weil unsere Familie nicht parteikonform war. Die verdammten Flüchtlinge aus Schlesien machen uns das Land kaputt.