Nach dem Eis. Malte Kersten. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Malte Kersten
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742752208
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mit ein paar Kollegen. Also bis nachher – oder bis morgen!“

      „Wen hast du denn kennen gelernt?“

      Mehr als einen vielsagenden Blick konnte ich ihm nicht mehr entlocken. „Bis morgen dann.“

      Er griff sich seine Jacke vom Bett und die Wohnungstür fiel ins Schloss.

      Als ich am nächsten Morgen das Haus verließ, sah ich Hans noch nicht, ich konnte nicht mal sagen, ob er überhaupt nach Hause gekommen war.

      Meine erste Anlaufstelle am Institut war das Sekretariat. Dort hoffte ich auf Antworten von Frau Hubertus zu den dringendsten Fragen. Zur gewohnten Routine schien sie mir noch nicht zurückgefunden zu haben. Wohl kaum jemand, wie sie mir berichtete. Dass der Kommissar mich noch einmal sprechen wollte, überraschte mich nicht. Frau Hubertus schob mir seine Visitenkarte zu. Dass aber Herr Elster mich dringend sprechen wollte, hätte ich nicht erwartet. Näheres wusste aber auch Frau Hubertus nicht. Ich sollte mich gleich darum kümmern, bat sie mich. Wir beide wussten, dass man Elster nicht lange warten lassen konnte. Wie ich schon befürchtet hatte, war mein Büro zunächst verschlossen. Ich konnte nicht einmal meinen Computer bekommen. Der war bei der Polizei und sollte gründlich ausgewertet werden. Ich überlegte, ob ich illegalen Programm, Musikdateien oder Filme auf dem Rechner gespeichert hatte. Was aber hoffentlich nicht im Fokus der Ermittlungen stehen würde. Zunächst sollte ich bei unserer Kollegin Katja einen Schreibtisch bekommen. Ein weiterer Computer würde am Nachmittag für mich eingerichtet werden.

      Frau Hubertus gab mir einen Schlüssel für das Büro und ermahnte mich abermals, Elster nicht länger warten zu lassen. Ich ging zu meinem neuen Arbeitsplatz, klopfte aber trotzdem kurz an. Wie gewohnt war Katja schon bei der Arbeit, lange bevor ich das Institut betrat. Durch ihre ordentliche Arbeitsweise sah ihr Arbeitsplatz nie nach einem anstrengenden Ringen um die wissenschaftliche Wahrheit aus. Sie ließ keine Ausdrucke oder Kopien einfach herumliegen. Alles war in Ordnern abgeheftet, die sich mit einheitlicher Beschriftung auf den Rücken im Regal hinter ihr aufreihten. Katja ist der Hermine-Typ. Mit ihrer gewissenhaften und fleißigen Arbeitsweise hatte sie schon einige Veröffentlichungen in renommierten Fachzeitschriften platzieren können, die anerkennend von der Wissenschaft diskutiert wurden. Auch deshalb war mir ein Arbeitsplatz in ihrem Büro sehr recht. Mir fehlte noch etwas der Blick für die wissenschaftliche Relevanz meiner Forschungen. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass sich jemand für meine Arbeit interessieren könnte, auch wenn ich den Stand der Dinge während zweier Tagungen der Fachwelt bereits vorgestellt hatte. Im Wesentlichen analysierte ich Messwerte, die von verschiedenen Stellen für das Grundwasser in ganz Schleswig-Holstein zusammengetragen wurden. Als weiteres Fernziel wollte ich den Einfluss von der Düngepraxis der Landwirtschaft auf die Wasserqualität ableiten. Ein Arbeitsschritt bestand darin, diese verschiedenen Messreihen so umzustellen, dass sie alle zueinander passten und ich einheitliche Analysen damit anstellen konnte. Davon war ich noch weit entfernt und verbrachte meine Zeit mit der theoretischen Aufbereitung heterogener Datenbasen (unglaublich, wie viele Gedanken sich darüber schon andere Wissenschaftler gemacht hatten). Eine Arbeit, die trotz des Gegenstandes trockener kaum sein könnte. Ganz abgesehen von meiner derzeitigen Situation konnte sich Katjas Arbeitsweise nur positiv auf mich und den Fortschritt meiner Arbeit auswirken. Ein Büro mit Katja zu teilen, war um Längen produktiver als das Teilen mit einem Professor, mit meinem verstorbenen Professor.

      Katja tippte fleißig etwas in den Computer ein und bot beiläufig an, im Regal für meine Unterlagen etwas Platz zu schaffen. Ich musste dankend ablehnen, da ich keine Unterlagen hatte, die ich dort einstellen konnte. Im Moment nicht und später würde vielleicht ein Teil des Regals reichen. Mehr hatte ich auch nicht in meinem nun verschlossenen Büro stehen. Aber das sagte ich ihr nicht. Ich wollte nicht so desorientiert wirken. Zumindest den Anschein wahren, dass ich wissenschaftlich schon ganz gut im Thema verankert war. Denn verglichen mit ihr war ich immer noch ganz am Anfang.

      Ich richtete mir meinen Arbeitsplatz ein, was aus einem Bleistift aus meiner Manteltasche und einigen Blättern Papier von Katja bestand. Mehr würde in den nächsten Tagen kommen. Diese übersichtliche Arbeitsstruktur erregte Katjas Aufmerksamkeit.

      „Was machst du?“

      „Ich strukturiere meinen Arbeitstag.“

      Katja schaute amüsiert zu. Dann musste ich konkreter werden und ordnete die nächsten Schritte. Zwei Punkte waren schon sicher: Den Dekan anrufen und der Polizei Gesprächsbereitschaft signalisieren, beziehungsweise einen Termin ausmachen. Nur über die Reihenfolge der Anrufe war ich mir noch nicht ganz im Klaren. Aber eigentlich war die Reihenfolge egal. Da ich aber annahm, dass ich mit der Polizei zunächst nur einen Termin ausmachen würde, erschien mir dieser Punkt schneller abzuhaken zu sein. Also wollte ich damit beginnen.

      Ich griff zum Telefon und wählte die Nummer von Herrn Peters. Dabei machte ich bereits auf der Liste hinter seinen Namen einen Haken.

      Am anderen Ende der Leitung wurde sofort abgehoben. Ich erkannte seine Stimme vom Vortag wieder. Er meldete sich etwas abwesend, als würde ich ihn bei einer konzentrierten Arbeit stören.

      „Wir haben noch einige Fragen an Sie und würden diese gern zu Protokoll nehmen. Können Sie heute vorbeikommen, sagen wir so gegen sechzehn Uhr?“

      Ich hörte den Kommissar kurz mit jemanden sprechen, wobei er wahrscheinlich den Telefonhörer zuhielt, da ich Einzelheiten nicht verstehen konnte.

      „Also, dann erwarte ich Sie hier um sechzehn Uhr, in Ordnung? Auf Wiedersehen.“

      Ich glaube mein „auf Wiedersehen“ hatte er nicht mehr gehört, Freizeichen. Und versprochen hatte ich ihm noch nichts. Etwas sprachlos und noch mit dem Hörer in der Hand starrte ich Katja an, die wegen der unglaublichen Kürze des Telefonats überrascht aufsah.

      „War das alles?“, fragte sie.

      „Das eigentliche Gespräch kommt noch“, entgegnete ich. „Muss man eigentlich zu so einem Gespräch hingehen? Ein Satz mehr hätte auch nicht geschadet.“

      „Was ist denn los?“

      „Der Kommissar hat einen Termin mit mir abgesprochen, ohne dass ich ein Wort dazu sagen konnte, hast du ja gehört.“

      „Ich denke schon, dass du da hingehen musst. Vielleicht kannst du ja den Termin noch verschieben, wenn es dir nicht passt. Wann ist es denn?“

      „Heute Nachmittag. Nein, das passt schon. Aber ich finde die Art etwas seltsam. Na ja, ist aber auch egal. Meine Arbeit hier wird sowieso etwas ruhen. Dann kann ich mich auch mit der Polizei unterhalten.“

      Ich schrieb auf meinen Zettel hinter Peters sechzehn Uhr und umkreiste die Ziffern mehrmals. Dann bat ich Katja um die Durchwahl des Dekans. Sie hatte hinter sich die Liste mit allen Mitarbeitern und deren Telefonnummern angepinnt.

      Diesmal dauerte es etwas, bis jemand abnahm. Es meldete sich die Sekretärin von Herrn Elster, Frau Fuchs. Ich berichtete ihr, dass der Dekan mich sprechen wollte.

      „Ja, Sie sind das, warten Sie einen Moment, ich schaue kurz nach, ob Herr Elster beschäftigt ist.“

      Ich wartete.

      „Hören Sie? Ich stelle Sie jetzt durch!“

      Sie stellte durch.

      „Elster“, tönte es mir entgegen. Irritiert nahm ich den Hörer etwas vom Ohr weg, nannte meinen Namen und erwähnte, dass er mich sprechen wollte. Sofort veränderte er den Tonfall seiner Stimme etwas in Richtung Mitgefühl, aber nur etwas. Und er reduzierte die Lautstärke auf ein normales Niveau.

      „Eine schöne Geschichte, dies, bei Ihnen am Lehrstuhl“, sagte er vorwurfsvoll. Ich verzichtete auf eine Rechtfertigung.

       „Was für eine Aufregung! Ich weiß nicht, wie weit Sie am Institut eingebunden sind, aber Sie müssen wissen, dass solch eine Geschichte nicht ohne Folgen bleiben wird. Presseberichte, Gespräche auf Kongressen und schon sind die Geschichten im Umlauf. Keiner weiß mehr was Wahrheit ist und was Übertreibung, keiner kann es mehr richtigstellen. Deshalb müssen wir jetzt sehr, sehr behutsam vorgehen. Wir müssen an das Renommee des gesamten Instituts denken. Deshalb schlage ich vor,