Nach dem Eis. Malte Kersten. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Malte Kersten
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742752208
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Todes gestorben ist.“

      „Nein, niemand, ich kann mir beim besten Willen niemanden vorstellen, der so etwas getan haben könnte“, erwiderte ich überrascht.

      Woher nahm er die Gewissheit, dass es kein natürlicher Tod war? War er von der Polizei informiert? Wobei mir das „wie“ völlig schleierhaft war, denn zumindest ich hatte keinerlei Spuren bei Oster gesehen.

      „Sind Ihnen irgendwelche Taten oder einfach Worte und Meinungen von Oster bekannt, die vielleicht jemanden so weit bringen könnten?“

      „Auch nicht, unser Kontakt war immer etwas spärlich, meist über E-Mails, da fasste er sich besonders kurz. Nein, irgendwelche Begebenheiten in dieser Richtung hat er mir gegenüber nie erwähnt.“

      Johann hatte mich gleich verdächtigt, Oster mit einem Kissen erstickt zu haben. Zu schroff hatte dieser mir Passagen meiner Doktorarbeit um die Ohren gehauen. Aber das meinte Herr Elster hoffentlich nicht.

      „Hat Herr Oster Ihnen vor kurzem irgendwelche Akten anvertraut, CDs oder Daten per E-Mail?“

      Da war es wieder – augenblicklich fiel mir die Vermutung von Hans vom Vorabend wieder ein. Für meinen Geschmack häuften sich diese Vermutungen über einen Zusammenhang mit mir zu sehr.

      „Nein, auch nicht, wie kommen Sie darauf?“

      „Ihnen ist also nichts Ungewöhnliches in der letzten Zeit bei Herrn Oster aufgefallen?“

      „Nein, nichts, nicht einmal, dass er plötzlich in meinem – also unserem Büro morgens war, das ist vorher auch schon mal vorgekommen.“

      „Na schön, dann gibt es von dieser Seite her keine Überraschungen.“

      Dabei musterte er mich aufmerksam, als erwartete er eine Antwort von mir.

      „Wann haben Sie das Gespräch mit der Polizei?“

      „Heute Nachmittag, um sechzehn Uhr werde ich mich mit Herrn Peters unterhalten.“

      „Schön, sagen Sie ihm das Gleiche, was Sie mir eben berichtet haben, schmücken Sie es meinetwegen mit ein paar Geschichten von Herrn Oster und seiner Universität in Dresden aus, aber halten Sie unser Institut aus der Geschichte heraus. Sagen Sie nicht mehr als unbedingt notwendig und keinesfalls etwas über Unstimmigkeiten oder Zwistigkeiten. Die Polizei wartet bei solchen Untersuchungen nur auf solche Stichworte. Im Nu wird daraus eine große Geschichte gemacht und jeder wird befragt. Das ist etwas, was wir hier überhaupt nicht gebrauchen können. Unstimmigkeiten gibt es immer, auch hier bei uns. Aber daraus entsteht nicht solch eine Geschichte.“

      Mit einer knappen Armbewegung umfasste Elster das gesamte Institut und meinte konkret das Dahinscheiden meines Betreuers.

      „Also – ich verlasse mich auf Sie!“

      Wieder musterte er mich scharf. „Geben Sie mir einen Bericht, wie es bei der Polizei gelaufen ist. Ich verlasse mich auf Sie“, wiederholte er. „Und was den Fortgang Ihrer Arbeit angeht, denken Sie darüber nach, wir sprechen später noch einmal darüber.“

      Indem er aufmerksam seine Papiere vor sich sortierte gab er mir zu verstehen, dass unsere Unterredung nun beendet wäre.

      Ein Aspekt der Unterredung ging mir nicht mehr aus den Kopf, als ich wieder zurück in mein neues Büro ging. Auch Herr Elster hatte zumindest in Betracht gezogen, dass Oster mir etwas übergeben haben sollte. Damit war er schon der Zweite, der dies für möglich hielt. Vielleicht wird die Polizei mir diese Frage nochmals stellen. Daher könnte an diesem Gedankengang durchaus etwas dran sein. Hans hatte es mir anschaulich geschildert, was sich die Drehbuchautoren in einer ähnlichen Situation einfallen lassen.

      Meine E-Mails hatte ich bereits überprüft. Mein Büro konnte ich nicht mehr betreten und meinen Rechner konnte ich nicht mehr benutzen. Den hatte Herr Peters. Damit blieben eigentlich kaum noch Möglichkeiten, wo ich nach rätselhaften Akten oder Dateien suchen konnte. Da ich mir keinerlei Motiv für eine solche Datenübergabe denken konnte, konnte ich mir auch nicht vorstellen, wie solche Daten aussehen müssten. Tausende von Datensätzen in einem Datenbankauszug, eine Liste von Namen oder ein auf einen Zettel gekitzeltes Passwort oder eine Schließfachnummer. In den Filmen, die Hans so vorschwebten, waren es meist CDs mit massenhaften Daten, die niemals an die Öffentlichkeit gelangen durften. Aber welche Daten könnten in unserem Institut kursieren, die eine solche Bedeutung erlangen?

      „Wie ist es gelaufen?“

      Katja ließ ihre Finger über die Tastatur ihres Computers tanzen und bearbeitete sicher gerade ein weiteres Kapitel ihrer Dissertation. Sie vollendete noch den Satz, bevor sie vom Bildschirm aufschaute.

      „Ich darf nichts sagen!“

      „Ach, komm schon.“

      „Na ja, in etwa so, wie ich es mir vorgestellt hatte“, erklärte ich nun. „Ich soll alle Details vom Institut gegenüber der Polizei verschweigen. Eigentlich soll ich nichts sagen, was aber auch meinem Wissensstand entspricht. Überhaupt, der Dekan wirkte irgendwie erleichtert, dass ich nichts wusste, mir ist nichts aufgefallen, Oster hat mir nichts übergeben und so weiter.“

      „Was denn übergeben?“

      „Ah, gut, du bist also nicht der Meinung, dass Oster mir irgendwelche wichtigen Daten kurz vor seinem Tod anvertraut haben müsste?“

      „Wie kommst du denn darauf?“

      „Ich weiß nicht, es liegt wahrscheinlich an den vielen Krimis, die fest im Unterbewusstsein verankert sind. Die häufigste Frage seit gestern war, was mir Oster kurz vor seinem Tod heimlich noch anvertraut hätte.“

      „Und?“

      „Und was?“

      „Was hat er dir anvertraut?“

      „Nichts. Warum auch? Es wird doch sicher noch andere Menschen geben, die ihm näher standen als ich, wenn er denn überhaupt etwas zu übergeben hatte.“

      „Hier im Institut warst du aber die einzige Person, mit der er regelmäßig kommunizierte.“

      „Ja, das stimmt schon, auch wenn ich es nicht als regelmäßig bezeichnen würde. Oder kommunizieren. Aber sag mal, welche Motive gäbe es hier bei uns? Selbst wenn Oster irgendwelche wichtigen Dateien hätte, die nun weg sind, was könnte er damit machen?“

      „Na, zum Beispiel verkaufen. Wenn es irgendwelche Forschungsergebnisse wären, die die Wirtschaft interessiert, könnte ich mir schon vorstellen, dass es für vorzeitige und exklusive Informationen einen Markt gibt.“

      „Aber wenn er solche Ergebnisse verkaufen möchte, wird er doch nicht umgebracht.“

      „Umgebracht? War es kein natürlicher Tod, Herzversagen oder so etwas?“

      „Der Dekan scheint davon auszugehen, dass es kein natürlicher Tod war. Wobei ich nicht weiß, wie er darauf kommt.“

      „Die Gerüchteküche beginnt zu brodeln. Aber stimmt, dann müsste es jemanden geben, der verhindern will, dass Herr Oster diese Ergebnisse verkauft. Aber ich glaube, für solche Überlegungen unterhältst du dich besser mit Johann, der ist da irgendwie kreativer“, meinte Katja lachend. „Ich muss mich hier um meine Fakten kümmern.“

      Ihre offene Handfläche umschrieb in einem Bogen einen Stapel von Ausdrucken, einigen Büchern und ihren Computer.

      Für den Nachmittag nahm ich mir bis auf das Gespräch mit Herrn Peters nichts weiter vor. Da die Kripo nicht sehr weit von unserem Institut entfernt liegt, beschloss ich, dort hin zu Fuß zu gehen. Ich mied den lauten Westring und ging stattdessen entlang der Veloroute über die Hansastraße und dann entlang des Schrevenparks. Das Dienstgebäude machte im Eingangsbereich einen etwas trostlosen Eindruck. Der Empfangsbereich, mit Glas vom Eingangsbereich abgetrennt, war nicht besetzt, doch ließ eine über den Stuhl gehängte Jacke vermuten, dass der Pförtner bald wiederkommen würde. Als ich mir die Regentropfen aus dem Mantel schüttelte, kam ein junger Beamter aus einen der Gänge zum Empfang geeilt und fragte freundlich, ob er helfen könne.

      „Ich