»Eine Wichtige?«, hakt sie nach.
»Ich weiß es noch nicht, aber ich denke eine Bedeutsame, ja!«
»Oh, entschuldigen Sie. Ich muss weitermachen. Die anderen Gäste werden bereits unruhig.«
»Danke! Ja, gehen Sie!«
Das ist zugleich das Startsignal für mich. Ich lasse mir zwei Croissants einpacken, trinke einen Schluck Kaffee und packe meine Sachen zusammen. Schnell entscheide ich, an den Strand zu gehen und mir den herrlich aufziehenden Tag anzusehen, bevor ich nach Hamburg zurückfahre.
*
Ein Skiausflug
Zwei Tage später am Airport. Der Flughafen strahlt auf mich wieder diese spezielle Atmosphäre aus, die mit der Ahrenshooper irgendwie zu vergleichen ist: Entspannung und klare Gedanken. Meine Bank mit meinem Platz füllt würdevoll den Raum aus. Gut, dass ich diese Empfindung verspüre und nicht noch etliche andere Personen auch. Wie verhielte es sich ansonsten dort? Gedränge, Geschubse und möglicherweise sogar Handgreiflichkeiten um diesen speziellen Ort. Unschuldig steht diese Bank wie eine von etlichen zum Aufenthalt den Wartenden zur Verfügung: Mehr und auch weniger nicht! Jetzt, wo mein Blick über dieses polierte, glänzende Eisen fällt, überkommt mich ein kurzer Gedanke des Vermissens, bevor ich sie endlich nach ein paar Tagen wieder entere und meine Hand schmeichelnd über sie gleiten lasse, liebkosend gleich.
Verbunden damit ist stets bei mir eine Erwartungshaltung, dass in den nächsten Minuten oder Stunden etwas Unerwartetes passieren kann, allerdings nicht muss. Es ist mit jedem ankommenden Flugzeug und ihren Passagieren eine Möglichkeit vorhanden, etwas Außergewöhnliches, mit etwas Besonderem in Kontakt zu treten,
welches sich außerhalb der Normalität befindet und zugleich anziehend, wie auch abstoßend sein kann, je nachdem worum, wovon es erzählt. Noch verhält sich alles sehr beruhigend und still um mich herum. Erst einmal, jedenfalls. Wie ich der Anzeigentafel entnehmen kann, werden in der nächsten Stunde ein paar Flieger erwartet und mit ihnen Gäste ankommen, die möglicherweise etwas in sich bergen und zu erzählen haben.
Ein Flieger aus der Schweiz ist angekündigt. Eine kleinere Maschine mit etwa einhundert Plätzen, wenn überhaupt. Ja, die Schweiz: das Land der Gegensätze: Flach und steil, kalt und warm, schroff und glatt, bewachsen und kahl, fruchtbar und karg, und…., um nur einiges davon aufzuzählen. Und ebenso lassen sich diese Eigenschaften auf ihre Menschen übertragen: Von der Sonne braun gebrannt, die Haut gefurcht und lederartig bis hin zu blass und fein, je nachdem ob diese aus den Hochalpen oder dem flachen nördlichen Teil stammen.
Über diese Gedanken öffnen sich die Flügel der Schiebetür ein erstes Mal und ein kurzer Blick wird von jemand gewagt. Bereits danach ergießt sich der Schwall der Ankommenden, die sich auch gleich wieder zur Unsichtbarkeit verwischen.
Noch einmal öffnet sich die Tür und ein schlanker, mittelgroßer Mann von etwa dreißig Jahren erscheint, der seinen Gepäckwagen gemächlich, unorientiert vor sich herschiebt. Nur kurz treffen sich unsere Blicke. Doch…..
„Mein Name ist Hänschen, eigentlich bin ich auf Hans-Friedrich getauft worden“, so berichtet der Fremde. „Doch alle nennen mich nur Hänschen. Was blieb mir anderes, als sich mit der Zeit daran zu gewöhnen, wenn es doch alle sagen. Egal, also bleibe ich beim Hänschen.
Seit einiger Zeit hielt ich mich dort im Kurort Laax auf, um einerseits zu neuen Kräften zu gelangen, andererseits mich auf eine Herausforderung vorzubereiten, denn schon bald sollte ich im väterlichen Betrieb eine Vorstandsfunktion übernehmen. Und so sagten meine Eltern zu mir: „Junge erhol Dich, bevor Du in den nächsten Jahren keine Zeit mehr dazu finden wirst“, und meine Mutter setzte noch hinzu: „Guck Dir Vater an. Ich habe kaum etwas von ihm. Er kommt spät nach Hause und ist bereits in der Frühe auf dem Weg ins Büro. Außer an den Wochenenden, da finden wir Zeit füreinander! Ja, so wird es Dir auch bald ergehen, deshalb genieß die letzten Wochen, bevor diese Mühle für Dich beginnt!“ Ja, so sprachen sie zu mir und umarmten, küssten mich lebhaft wie bei einem unbestimmten Abschied, wobei immer etwas Wehmut, Quälendes in der Luft liegt, das möglicherweise aus der Ungewissheit geboren ist. Ich empfand es seinerzeit als ein wenig theatralisch, übertrieben und gespielt, handelte es sich doch zwar um einen schweren Job, jedoch nicht um etwas, was mich umzubringen drohte.
Also setzte ich mich ins Taxi, dann zum Flughafen und nur wenig später befand ich mich in Zürich-Kloten. Von dort aus ging es mit dem Auto weiter nach Laax. Wer diesen Ort nicht kennen sollte: Dieser liegt in der Region Surselva im Kanton Graubünden, zählt etwa eintausend Einwohner, liegt in etwa ebenso hoch über dem Meeresspiegel und besitzt gefühlt ebenfalls so viele Skipisten. Im Sommer lädt der Laaxer See und auch das nahe Wäldergrün zu sportlichen Aktivitäten ein. Und wer ein wenig Lust verspürt, kann leicht in eine Höhe von 2000 Metern laufen, um dort den Drachenseglern beim Fliegen zuzuschauen. Die Temperaturen steigen manchmal zu schwindeligen Graden an. Im Winter hingegen steht der Ski im Mittelpunkt, wobei andererseits für jede unterschiedliche Sportart ein großes Angebot vorhanden ist. Wie man sich leicht denken kann, ist es mit viel Rummel und Getümmel verbunden. Dazu stoßen die üblichen Hotels, private Vermietungen und ein klassisches Angebot an Kuren, heute eher Wellness genannt.
In einem solchen Wellnesstempel hatten meine Eltern mich untergebracht. Die Anhöhen zeigen einen wunderschönen Weitblick in die Gegend auf die schroffen und steilen Bergketten, den Bewuchs des saftigen Grüns, Waldwege, die zu Spaziergängen einladen und viel mehr… Im Winter verwandelt sich das eher beschauliche Bild zu einem tosenden, rauschenden Schneegetümmel, und auch die Einwohnerzahl steigt leicht auf das mehrfache an. Mit einem Wort: Selbst verordneter Wahnsinn!
Mein Augenmerk, jedenfalls das meiner Eltern, und ein braver Sohn beugt sich diesen Wünschen, lag auf Erholung und Entspannung. Die Tage glichen einander, waren mit teils langweilig, dann wieder mit aufregend zu bezeichnen, wenn es am Kaminfeuer spannende Geschichten zu erzählen gab, oder wenn auch wieder der Rettungsdienst oder die Bergwacht tätig werden mussten, weil der eine oder andere sich mit seinen Kräften übernommen hatte. Nach etwa 14 Tagen riss mich ein plötzlicher Einfall aus dieser gedanklichen Wohlfühleinöde heraus und „befahl“ mir, ein Wagnis einzugehen. Ich muss dazu bemerken, dass ich, auch wenn ich aus dem flachen Norden komme, ein geübter Skiläufer bin. Jedenfalls packte es mich, die Skier unterzuschnallen, jedoch nicht auf einer der stark frequentierten Pisten zu fahren, sondern abseits, dort wo ich bereits früher gelaufen beziehungsweise gewandert bin. Also machte ich mich auf meinen Ausflug ins Ungewisse.
Jedenfalls………………
schwebte ich auf meinen Kufen wie die vielen Flocken, die mich zu umgarnen schienen, so als wären sie augenblicklich zu meinen persönlichen Freunden geworden, zu schwebenden Freunden, weil sie sich leicht mit dem Wind bewegten und keine Schwere aufwiesen, weil sie federleicht von oben nach unten wogten wie aus einem Federbett hinaus geschüttelt, bis dennoch irgendwann nicht mehr festzustellen war, ob diese von oben nach unten oder umgekehrt sich fallen ließen, denn dieses oben und unten hatte sich bereits seit geraumer Zeit zu einem umgebenen Einheitsgrau verdichtet, welches noch nicht mit schwarz, aber eben auch nicht mehr mit durchsichtig zu bezeichnen war, und bei mir zu einer Orientierungslosigkeit geführt hatte, die, ja selbst, wenn ich im Augenblick den einen Handschuh abgestreift, ich die feuchten Finger in den seichten Wind gehalten hätte, es nicht zu einer Orientierung hätte beitragen können, nein, ab diesem Augenblick verhielt sich alles, anders als der Geist der Erfahrung es normalerweise als Indikator hätte aufzeigen müssen, es schien sich der physikalische, kosmologische und psychologische Erkenntnisbereich zu dem Unus Mundus, zu einem Einzigen, zu einem Weiß überführt zu haben, zudem ich offensichtlich ab sofort dazugehörte, und obgleich mich dieses neue Gefühl komplett vereinnahmt hatte, ließ ich die Kufen gleiten, dann bremsen, so als gäbe es in dieser