Der Totenflüsterer. Dietmar Kottisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dietmar Kottisch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847676713
Скачать книгу
sich träumen lässt<. Und das mit der wissenschaftlichen Schulweisheit kennt man ja: es darf nicht sein, was nicht ins Raster passt.

      Im tiefsten Winkel ihres Herzens jedoch reifte der Wunsch, mit Sarah in Verbindung zu treten, weil diese Stimmen vielleicht doch die Brücke dazu wären. Aber schnell verbannte sie ihre Absicht wieder.

      Paul hatte oft gesagt, dass er versuchen wird, mit der toten Sarah Kontakt aufzunehmen.

      Ihre Freundinnen und Verwandten würden denken, sie habe den Verstand verloren. Sie würden sie vielleicht mitleidig belächeln. Letztendlich könnte die Schulbehörde davon erfahren und ihre Reputation wäre im Eimer.

      Sie hatten sich geliebt, die beiden Schwestern. Sie waren viel auf sich alleine gestellt, denn ihr Vater wollte ein gut gehendes Hotel aufbauen. Und ihre Mutter hatte wenig Zeit, sich um ihre Töchter zu kümmern, weil sie beim Aufbau mithelfen musste.

      Klara konnte sich nicht konzentrieren, weil sie dauernd zur Türe des Arbeitszimmers schaute. Was würde passieren, wenn sie jetzt den Mut aufbrächte hineinzugehen, um ihren Mann aufzufordern, die Stimme abzuspielen? Die Stimme ihrer toten Schwester! Er hatte ein Kapitel aufgeschlagen, das sie eigentlich nie wieder lebendig werden lassen wollte, aber plötzlich trieb sie wieder die ungeheure Neugierde an; und die Vorstellung, ihre Schwester zu hören, raubte ihr schier den Verstand. Dann klappte sie das Buch zu, stand auf und ging hinüber in sein Arbeitszimmer.

      Er saß wie üblich wieder konzentriert an seinem Tisch, die beiden großen Kopfhörer an den Ohren und schaute auf die zwei Spulen am Tonbandgerät. Vor ihm lag ein Notizheft, in der Hand hielt er einen Kugelschreiber. Leise klopfte sie ihm auf die Schulter. Er drehte sich um und nahm die Kopfhörer ab.

      „Weißt du, ich hab mich doch entschlossen……“ brachte sie heraus und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Schreibtisch.

      „Bist du dir ganz sicher?“

      „Ich denke, ja.“ Das wäre das erste Mal seit ihrer Hochzeit vor sechs Jahren, dass sie so etwas hören würde.

      Er nickte wieder, blickte sie an. „Gut, Klara. Du wirst hören, dass die Stimmen nicht immer klar und deutlich sind. Manchmal kommen sie sehr schnell herein, manchmal singend oder sogar polyglott.“

      „Polyglott? In mehreren Sprachen?“

      „Ja.“

      Sie faltete die Hände auf ihrem Schoß zusammen. Aber die Angst wich nicht von ihr.

      „Ich spiele manchmal Stimmen ein, mit denen ich nichts anfangen kann. Vielleicht ist es jemand, der seine lebenden Verwandten anruft, die aber wissen nichts davon, weil sie keine Ahnung haben von den Tonbandstimmen. Zum Beispiel eine Kinderstimme: >was wär` ich geworden, wenn du mich geboren hättest?<“

      „Du meinst, eine Kinderstimme? Ein totes Kind spricht da?“ fragte sie und bekam eine Gänsehaut. „Ein Kind, das gar nicht erst geboren wurde? Oh Gott.“

      „Vermutlich ist es so. Die Mutter war schwanger und starb.“

      Sie rieb sich die Arme. „Und du weißt nicht, wer das Kind ist?“

      Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, ich hab nur die Stimme eingespielt.“

      Er trank einen Schluck Tee und stellte die Tasse wieder ab.

      „ Ich hab oft versucht, mit diesem Raudive Kontakt zu kriegen. Er ist neben Jürgenson der andere, der Tausende Stimmen katalogisiert und wissenschaftlich behandelt hat. Er sagte in einer Einspielung auf meine Frage, ob es nach dem Tode unsere Zeitbegriffe gibt, folgenden Satz: <Es ist vieles anders<.“

      Sie atmete tief durch, und hatte das Gefühl, in ihrem Kopf wirbelt alles durcheinander.

      „Oder manchmal eine junge Frauenstimme: < Ich will dir deinen Vater zeigen, Josua, hab Vertrauen>“.

      Sie nickte leicht, aber schaute ihn trotzdem fragend an.

      „Ich spiele dir erst mal ein paar andere Stimmen vor, damit du ein Gefühl dafür bekommst, nachher hörst du dann deine Schwester, o.k.?“

      „O.k.“ sagte sie etwas bange.

      Paul drehte an ein paar Knöpfen: „Du sagst mir, was du gehört hast.“

      „Sag du es mir vor….“

      „Nein, nein, das geht nicht, du selbst musst es hören. Die Hintergrundgeräusche sind sehr laut, sie müssen es sein, weil ich den Eingang auf die höchste Stufe stellen muss, lass dich nicht davon stören. Achtung!“

      Sie hörte ein Rauschen wie in einem Kino mit dem Dolby-surround-System.

      Dann plötzlich brach eine dunkle Männerstimme durch, und Klara hörte die Worte: >Such Welle – such Welle< wobei die Worte abgehackt und schnell klangen. Die Stimme war sehr gut hörbar, wirkte aber auf sie unheimlich. Sie zuckte erst einmal heftig zusammen.

      Er lächelte: „Und?“

      Sie atmete tief durch, dann sagte sie: „Such ..Welle.. such.. Welle, was heißt das?“

      „Meine Frage war, auf welcher Radiowelle die besten Einspielungen gemacht werden können. Raudive meint damit, dass es vielleicht für jeden Experimentator eine andere Radiowelle gibt, die ich noch suchen müsste. Aber ich habe meine Welle noch nicht gefunden und arbeite noch mit dem Mikrophon.“

      „ Und wer ist das jetzt gewesen? Wie heißt der Mann?“

      „Ich weiß es noch nicht. Jetzt hör bitte zu, die nächste Stimme.“

      Sie hörte ein dumpfes und nicht erklärbares Pfeifen im Hintergrund, dann plötzlich eine helle und singende Stimme: >Hier Esther.…..Paul will gute Tee.<

      Ihr Herz klopfte heftig. Diese weibliche Stimme klang so intensiv, als ob die Person im Raum wäre. „Esther…..“ sagte Klara und schaute Paul an, „und gute Tee. Wer ist das?“

      „Jeder kriegt eine Art Begleitperson von „drüben“ , die ihm behilflich ist. Ich hab dann auch mal nach so einer Kontaktperson gefragt, und es hat sich diese Esther sehr oft gemeldet. Vor zirka vier Jahren brach immer wieder diese schöne Frauenstimme durch. >Esther zeigt dir den Weg< sagte sie, oder sie nannte nur meinen Namen >Paul< >Paule< oder >Guten Abend Paule<. Mittlerweile kenne ich ihre Stimme genau. Ich hab dann gefragt, wo sie vor ihrem Tod einmal gewohnt hat.“

      „Und?“

      „Sie sagte: in Eltville am Rhein, Deutschland.“

      “Das gibt es nicht!…und Paul will gute Tee …., das ist ja so, als… schwebe sie über uns.“

      Sie umschlang ihre Arme. „Mir wird richtig kalt, mir läuft es den Rücken herunter, Paul.“

      Er legte den Zeigefinger erneut auf die Wiedergabetaste. „Was du jetzt hörst, ist fast typisch für alle Einspielungen, es hört sich an wie ein Männerchor, höre!“

      Erst kam das Rauschen, dann laute singende Bariton-Stimmen: >Wir sind daaaaaaaaaaa….< Die letzten Vokale klangen lang gezogen aus.

      „…wir sind da!“ sagte sie. Er legte seine Hand auf ihren Arm, über den sich eine Gänsehaut zog und streichelte ihn. Ihre Miene drückte jedoch noch immer Skepsis aus.

      „Wann kommt die Stimme von Sarah?“

      „Gleich.“

      Er drückte wieder auf Play. Eine schnelle, laute Stimme. >Mutter redet hier – e`Telefon<.

      „Wer war das?“

      „Meine Mutter…“ sagte er. Klara erstarrte.

      „Und jetzt wieder eine junge, helle Stimme. Hör bitte!“

      Aus dem Lautsprecher kamen schnelle, helle Worte: >Tobi …mir geht… .sehr gut<

      Paul sagte, dass er auch mit dieser Stimme nichts anfangen kann. Aber es ist eine paranormale Stimme wie die anderen auch.