Mörderische Schifffahrt. Charlie Meyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charlie Meyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847697503
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      12

      »... und ins Steuerhaus«, fuhr Eddie fort, reckte die Nase ein wenig höher, um Alice in die grauen Augen blicken zu können und zog den Bierbauch ein. »... kommen mir nur Weiber ohne Schlüpfer!«

      Du meine Güte, dachte Alice verblüfft. Was für ein gewaltiges Ego doch kleine, bierbäuchige Männer um die sechzig haben. Nicht mehr als einen Kranz weißer Haare rund um die altersfleckige Platte aber jede Menge Testosteron in einem anderen Körperteil.

      »Nur ohne Schlüpfer«, echote Chris, der Zweimetermann mit dem weißblonden Schopf neben ihm und starrte sie mit hellen Augen unter hellen Brauen neugierig an. Zum Wikinger fehlten ihm nur Axt, Schild und Helm. Er war etwa halb so alt wie Eddie.

      Ups, dachte Alice. Das klein und bierbäuchig vor den Männern nehme ich zurück, Wikinger sind auch nicht besser.

      »Ich hau euch gleich die eigenen Schlüpfer um die Ohren, wenn ihr euch nicht endlich umzieht.« Eine kleine Frau mit zu viel Schokolade auf den Hüften, etwa in ihrem Alter, kam vor der Theke die Treppe aus dem Bauch des Schiffes hoch geastet, ein schweres Tablett, voll beladen mit sauberem Kaffeegeschirr in Händen. »Du bist also die Neue aus dem Hofbräuhaus?«, keuchte sie und musterte Alice aus großen, leuchtend blauen Augen. Trotz des Keuchens hörte Alice ein unterschwelliges Das darf doch nicht wahr sein! heraus, während sich die Männer murrend verzogen. »Dann kannst du gleich mal das Geschirr einräumen. Wieso bist du nicht in Schwarz-weiß?«

      Alice straffte die Schultern und wappnete sich für den Kampf, obgleich sie noch immer mit ihren ersten Eindrücken vom Schiff kämpfte. Ein weißer Halbriese mit drei Decks und zwei aufgemalten blauschillernden Libellen rechts und links der Bugspitze. Kein Fünf-Sterne-Traumschiff, eher ein in die Jahre gekommener, etwas hausbackener Dampfer. Der Wind pfiff durch den offenen Spalt der Schiebetür, kleine Kräuselwellen schwappten an den Rumpf, und unter ihren Füßen schaukelte es sacht. Die Schiffsmotoren dröhnten dumpf, das Stromaggregat brummte durchdringend. Der Salon, in dem sie stand, war ganz in Blau gehalten und reichte, beeindruckend in seinen Ausmaßen, vom Bug bis zum Heck. Blaue Stuhlbezüge, blaue Vorhänge, blauer Teppichboden mit kleinen weißen Punkten. Sogar die Mitteldecker auf den Sechsertischen, die in drei Reihen standen, waren blau, was dem Salon ohne Frage ein eher düsteres Ambiente verlieh.

      Auf diesem Schiff also war der Mord geschehen. Alice schauderte erwartungsvoll und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Herausforderung prickelte sie vom Scheitel bis zum Zeh.

      »Was?«

      »Bist du taub? Wenn es dir keine Umstände macht, würde mich interessieren, warum du nicht schwarz-weiß gekleidet bist? Weißes Oberteil, schwarze Hose. Kellnerkluft. Und bind dir deine Mähne zurück. Ich dulde keine Haare in der Suppe, schon gar keine roten.« Inga, verantwortliche Servicekraft der Libelle, schob Alice mit dem Ellenbogen zur Seite und schleppte ihr Tablett hinter die lange Theke. Sie stemmte die Arme in die Seiten und blies die Backen auf. Ein Sternenhimmel an Sommersprossen überzog ihr blasses, rundes Gesicht, aus dem zwei bemerkenswert blaue Augen Alice gereizt anfunkelten. Wie zwei Bergseen so blau.

      »Was ist? Willst du arbeiten oder einfach nur rumstehen?«

      Du meine Güte, dachte Alice erschlagen. Wenn ich mir das man gefallen lasse. »Das nächste Mal komme ich als Pinguin«, versprach sie und mühte sich vergeblich um einen Ton, der Besserung versprach. Kaum spürten ihre Füße eins von Jansens schwankenden Schiffen unter den Sohlen, schon wütete sie in Gedanken gegen das blöde Büro, ohne auch nur im geringsten zu ahnen, dass es sich um einen Virus handelte, der jede Aushilfe befiel, sobald sie das erste Mal den Fuß auf ein Schiff der Schifffahrtsgesellschaft Okko Jansen setzte. Keine dieser blöden Tussis hatte etwas von Schwarz-weiß gesagt. Dabei war sie nach dem Vorstellungsgespräch sogar noch nach Hause gefahren, mit dem erklärten Ziel sich umzuziehen. Statt des Kostüms trug sie nun eine hellgelbe Leinenhose und statt der weißen High Heels flache Slipper. Nur nichts in Schwarz-weiß! Blödes Büro!

      Innerlich grummelnd grub sie hinter der Theke ein Gummiband aus und band sich die Haare zu einem strammen Pferdeschwanz zurück, der ihr in wilden Locken vom Hinterkopf abstand. Anschließend widmete sie sich den Schiebetüren der halbhohen Schränke unter den Fenstern und versuchte die Tassen und Teller auf dem Tablett zu ihresgleichen zu räumen.

      »Du bist wer?«, fragte sie beiläufig über das Klappern hinweg.

      »Inga. Verantwortliche Servicekraft«, antwortete Inga nach kurzem Zögern und runzelte die Stirn. Schon wieder einer dieser frechen Neulinge. Als ob das Büro es vorsätzlich darauf anlegte, sie zu ärgern. Eine Gutaussehende, Selbstbewusste und dazu noch Gelernte? Diese Kombination konnte nicht gut gehen. Warte nur, dachte sie, während sie die Neue beim Einräumen kritisch beäugte. Schnepfen wie dich verspeisen wir zum Frühstück.

      »Okay. Ich bin Alice. Die beiden Männer eben waren wohl die Matrosen?«

      »Schiffsführer«, knurrte Inga. Es widerstrebte ihr, Auskunft geben zu sollen, zumal sie gerade damit begann, einen Plan auszubrüten, wie sie die Frau auf schnellstem Weg wieder loswurde. Ein Blick in die grau funkelnden Augen genügte ihr – es würde Ärger geben.

      »Kapitäne?« Diese beiden Schlüpferheinis? Ach du liebes Lieschen. Alices romantische Pläne verpufften in einer Art Selbstentzündung zu etwas, das man auf einer Kehrschaufel zusammenfegen und im Ascheeimer entsorgen konnte.

      »Kapitäne gibt’s in der Binnenschifffahrt nicht. Nur Schiffsführer, und damit das von Anfang an klar ist. Eddie, Chris und ich haben hier das Sagen an Bord.« Ingas aschblonder Pony war zu lang und hing ihr in die blauen Augen. Sie strich sich die Haare mit einer unwilligen Geste aus dem sommersprossigen Gesicht. Ihre weiße Bluse zierten Fettflecken, und die schwarze Hose schien irgendwie mit einer Mehltüte kommuniziert zu haben. Dafür, Alice registrierte es mit einem verstörenden kleinen Anflug von Neid, trug sie dunkelblaue Schulterklappen mit zwei goldenen Streifen und einem goldenen Knopf, was die Wirkung von Fett und Mehl zumindest relativierte. »Wir dulden keine Faulen, keine Aufmüpfigen und keine Denunzianten. Was hier an Bord gesagt wird, bleibt auch an Bord. Wenn du ins Büro zitiert wirst oder Gott kommt, klappst du deinen Mund gefälligst zu«

      »Gott?«

      »Der Chef. Okko Jansen, Reeder, Inhaber und Geschäftsführer der Schifffahrtsgesellschaft Okko Jansen, kurz Gott genannt.«

      »Aha«. Gott passte zu ihm, wenn auch wahrscheinlich von den Schiffsleuten in anderem Sinne gedacht, als sie selbst assoziierte. Sie stellte ihn sich vor, wie er neptungleich mit seinem Kahlkopf das Wasser durchstieß und den Dreizack auf sein ungehorsames Schiffsvolk schleuderte. Alice sah sich neugierig um. Der blaue Salon, eine zweigeteilte Theke mit Durchgang, eine Treppe, die ins Unterdeck führte, dunkle Schiffsbohlen auf der Tanzfläche, zwei Schiebetüren an den Seiten zum Ein- und Aussteigen, hinten zwei Glastüren, die offenbar zu den Toiletten und aufs Oberdeck führten. Zwischen ihnen hing ein großes, mit bunten Filzstiften gemaltes Plakat: Fahrgäste und Besatzung haben den Anweisungen des Schiffsführers Folge zu leisten. Eine Zeile tiefer stand: Das Verzehren von mitgebrachten Speisen und Getränken ist nicht erlaubt. Und noch tiefer: Wer stänkert, geht über die Planke.

      Alice fuhr mit der Hand über die gemaserte Kirschholztheke. Das kabbelige Wasser ließ die über Kopf hängenden Biertulpen in den Gestellen oberhalb der Theke leise aneinander klirren. Jenseits des Durchgangs schwang eine blanke Schiffsglocke ohne Klöppel lautlos über einer Kuchenplatte mit durchsichtiger Abdeckhaube aus Plastik. Auf dem Sideboard hinter der Theke harrte eine Batterie unterschiedlichster Wein-, Schnaps- und Likörflaschen auf ihren Einsatz, und in dem deckenhohen Glasregal am Ende der Theke gab es die dazu passenden Gläser in allen Größen und Formen, mit Ausnahme der geeisten Schnapsgläser im Kühlschrank unter einem der Fenster. Der Platz hinter der Theke war so knapp bemessen, dass sich zwei dünne Servicekräfte gerade so eben aneinander vorbeiquetschen konnten. War eine der beiden dicker als die eher ausgemergelten Damen aus dem Büro, musste über Vorfahrtsregeln verhandelt werden. Unter der Theke kühlten Weizenbier, Cola, Orangensaft und andere alkoholfreie Getränke in überdimensionalen Edelstahlschubladen. Es gab zwei Zapfanlagen