Mörderische Schifffahrt. Charlie Meyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charlie Meyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847697503
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satt. An diesem Morgen zum Beispiel. Erst rief Malte, der Schiffsführer eben jener Seerose an, die in Holzminden Rundfahrten fuhr, und schiss sie, die Personalchefin, zusammen, weil das Büro für eine vorgebuchte Gruppe auf dem Schiff zehn Kaffeegedecke zu wenig nachgemeldet hatte. Gleich darauf heulte ihr Jan-Erik, die Nervensäge von der Neptun aus Minden, die Ohren voll, weil er sich von Jansen missverstanden fühlte, und anschließend rief der Bürgermeister von Kleinkleckersdorf an, der sich über die Besatzung der Libelle beschwerte. Eddie hatte in Fuhlen nicht angelegt, weil er vergessen hatte, dass eben jener Bürgermeister dort aussteigen wollte, um mit seiner Ehefrau im dortigen Gasthaus die silberne Hochzeit zu feiern. Auf seine Frage beim Aussteigen in Rinteln, wie er denn jetzt nach Fuhlen kommen sollte, hatte Eddie lapidar laufen geantwortet.

      Ich muss mit dem Chef über diesen verflixten Fuhlenanleger sprechen, dachte die Personalchefin, während sie mit wohlwollendem Lächeln die neue Kandidatin musterte.

      Sie schnappte sich einen Ordner aus dem Regal und suchte nach den Vertragsformularen. »Da ist es ja«, sagte sie zufrieden. »Wir fangen mit einem Vertrag auf vierhundertfünfzig Euro an, und wenn Sie sich in einem Monat bewährt haben, stelle ich Sie als verantwortliche Servicekraft für die Schrecke ein.« Wenn ein Wunder geschieht und Jansen einen neue Nautiker für die Schrecke findet, dachte sie fromm. Soweit würde es voraussichtlich nicht kommen, aber die Neue sah ehrgeizig aus und verantwortliche Servicekraft klang besser als Aushilfe. »Diesen einen Monat arbeiten Sie allerdings zur Eingewöhnung auf der Libelle.« Alles andere würde sich finden, und Ende der Saison würde sie, die Personalchefin, ohnehin kündigen. Allerdings schwebte ihr vor, bis dahin das Niveau auf den Schiffen dermaßen anzuheben, das man mit Respekt an sie zurückdachte.

      »Mädels«, wisperte sie händereibend im Büro, während die Neue im Nebenzimmer den Vertrag ausfüllte. »Wir haben gerade das große Los gezogen.«

      Nebenan beugte sich Alice mit einem Kugelschreiber in der Hand über den Vertrag und lauschte mit halbem Ohr dem Flüstern aus dem Büro. Die Büromäuse steckten die Köpfe zusammen und taten ganz aufgeregt.

      Tja, Leute, dachte sie selbstzufrieden. So was wie mich kriegt ihr nicht jeden Tag serviert. So sieht eine verdeckte Ermittlerin aus, auch wenn ihr nicht die geringste Ahnung davon habt.

      Der Zeit auf dem Schiff sah sie mit freudiger Spannung entgegen. Sie sah sich gern Das Traumschiff oder Love Boat im Fernsehen an, und vielleicht gab es ja an Bord den einen oder anderen feschen Steward, der willens war, ihren Romeo abzulösen. Ach was, Steward! Wer wollte einen Steward, wenn es auch Kapitäne mit Streifen und Sternen auf den Schulterklappen gab. Sie sah sich bereits eingehakt bei einem schnieken Herrn in Uniform durch Hamelns Fußgängerzone flanieren. Aber erst einmal galt es den Mord aufzuklären, dann kam die Geschichte mit den Fernsehkameras und anschließend, wer weiß ...

      Servicekraft, schrieb sie schwungvoll in die Spalte, vor der Beruf stand und grinste. Gib dem Pöbel, was er erwartet, und lass dir die Füße küssen. Außerdem konnte die Arbeit einer Servicekraft nicht so kompliziert sein wie der Job einer Detektivin. Man brachte die Getränke an die Tische, kassierte die Trinkgelder und das war es auch schon. Eine ruhige Hand, ein nettes Lächeln, einen kleinen Hüftschwung, was brauchte eine erstklassige Servicekraft mehr?

      Einen Moment lang sah sie sich und den Kapitän im mondbeschienenen Steuerhaus, hörte das leise Aneinanderklirren der Sektkelche, ein gehauchtes Ti amore, bella, falls er zufällig italienisch sprach ...

      »Fertig, Liebes?«, fragte die laute Stimme der Personalchefin direkt neben ihrem Ohr, und um ein Haar wäre Alice Hupe vor Schreck vom Stuhl gefallen. Ihr schien, im Büro blieb wenig Zeit zum Träumen. Die Telefone klingelten alle auf einmal, das Fax spuckte Seite um Seite aus, und die Stimmung schwankte zwischen betriebsam und hektisch.

      Ihr armen Luder, dachte Alice, während sie ihren Vertrag unterschrieb und die kleine, schmächtige Büromaus in der Ecke aus irgendeinem undefinierbaren Grund in Tränen ausbrach. Jede Menge Hektik die ganze Saison über und ein Gehalt, von dem ihr euch bestimmt keinen Schnorchelurlaub auf den Malediven leisten könnt.

      In diesem Moment flog die Bürotür auf, und alle drei Damen zuckten zusammen. Alice ebenfalls, auch wenn es bei ihr eher ein erotisches Schaudern war. Sekundenlang blieb die lichtüberflutete Gestalt in der Tür stehen, während über ihrem Kopf ein Frachtzug durch den Bahnhof donnerte und die Lampe wild zu schaukeln begann. Ein Mann, ein Meter neunzig schätzungsweise, braun gebrannt, keine Haare, aber einen derart formvollendeten Kopf, dass Alice ein zweites Mal schauderte. Schwarze Schatten auf der Kopfhaut zeigten an, wo Haare sein würden, wenn er es ihnen eines Tages gestattete zu wachsen. Ein schwarzer Bartschatten umgab sein Kinn. Er trug enge Jeans und ein blau-weißes Schifferhemd mit Stehkragen, das seine Muskeln bis in die letzte Naht ausfüllten. Sein Gesicht war ... Gott, es ließ sich nicht beschreiben. Männlich eben. Ein markantes Kinn, eine gerade Nase, dunkle Augen, dunkle Brauen. Ein Männermodel, das sich verlaufen hat, dachte Alice, die unwillkürlich aufgestanden war und hingerissen seufzte, den Vertrag gegen die Brust gedrückt. So einen findest du nur einmal auf dem Planeten.

      Gleich darauf holte sie die Erkenntnis ein, dass Männer, die so aussahen, unweigerlich schwul waren. Alice seufzte ein zweites Mal. Die Gaben dieser Welt waren einfach ungerecht verteilt. Mit dieser deprimierenden Feststellung drückte sie der Personalchefin den Vertrag in die Hand und schritt zugleich mit ihr auf die göttliche Erscheinung zu, die ein Ding in einer Hand hielt, das wie ein Anker aussah, der mindestens dreißig Kilo wog. Schweiß stand auf seiner Stirn, und dieser Schweiß – stand ihm so perfekt, wie sie es nie zuvor gesehen hatte. Mit dem unter die Decke und du bist für den Rest deines Lebens für andere Männer verdorben, schoss es ihr durch den Kopf. Egal ob schwul oder hetereo. Sie wollte sich eben wortlos an ihm vorbeischieben, als die Personalchefin Zähne zeigte und ihre Hand ausstreckte.

      »Herr Jansen, was für eine gelungene Überraschung. Wir haben Sie zwar wie immer nicht erwartet, aber gerade heute gibt es doch etliches, was wir gleich besprechen könnten, wenn Sie schon einmal hier sind. Was macht Holzminden? Steht noch, ja? Und auf den Schiffen alles okay? Prima, dann hätte ich heute zum Beispiel den Fuhlenanleger zur Debatte, beziehungsweise die Schiffe, die dort nicht anlegen können.« Oder wollen, fügte sie stumm hinzu. »Außerdem das Glühwürmchen als Charterschiff. Also ich muss Ihnen sagen, das ist ein Unding. Zu laut, zu klapprig, und wer länger als zehn Minuten die Dieseldämpfe aus dem Maschinenraum einatmet, ist high. Ach ja, noch etwas, wo wir gerade alle beisammen sind: Darf ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen unsere neue Mitarbeiterin vorzustellen.« Sie deutete auf Alice, die verblüfft, aber geschmeichelt beobachtete, wie sich Jansens Augen bei ihrem Anblick ebenso weiteten wie die ihren bei seinem Anblick.

      »Frau Hupe. – Herr Jansen, Reeder und Geschäftsführer der Schifffahrtsgesellschaft Okko Jansen. Frau Hupe kommt aus München und hat im Hofbräuhaus gelernt. Ich schicke sie auf die Libelle, damit das Niveau dort ...« Sie verzog den Mund. »Na ja, Sie wissen schon.«

      »Eine Gelernte?« Jansens Augenbrauen schnellten in die Höhe.

      »Eine Gelernte!«, bestätigte Alice. Für acht Euro die Stunde, du geiziger, gutaussehender Arsch.

      Er gab ihr nicht die Hand, was sie guthieß, da es ihr zuwider war, verschwitzte Hände zu schütteln, aber er ließ den Anker auf den Boden knallen und trat ein paar Schritte um sie herum, geradeso, als prüfe er das Frischfleisch, bevor er sich entschied, ob er es selbst verspeiste oder an die Hunde verfütterte. Das wiederum gefiel Alice ganz und gar nicht. Sie hatte während ihrer abgebrochenen Ausbildung für einen Chef gearbeitet, der es als sein gutes Recht ansah, ihren Po zu tätscheln oder versehentlich mit dem Arm ihre Brust zu streifen, und zwar solange, bis sie ihm ihr Knie in die Eier rammte. Und dieser Chef hatte sie bei der Einstellung auf dieselbe Weise betrachtet wie Jansen es gerade tat. Neugierig und hungrig.

      Sollte er doch nicht schwul sein?

      »Okko und Sie reicht«, sagte Okko Jansen und zeigte von einem Ohr zum anderen zwei Reihen perfekter Zähne. »Wir von der Christlichen Seefahrt nehmen es nicht so förmlich.«

      »Alice«, sagte Alice Hupe und lächelte zurück, obgleich ihr