Operativer Vorgang: Seetrift. Jo Hilmsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jo Hilmsen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847624295
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Ganz oben auf ihrer Krimiliste standen Krimis von Henning Mankell.

      Kinder hatten wir beide keine. Ich hatte irgendwann beschlossen, dass die Menschheit besser aussterben sollte und einen Nicht-Fortpflanzungs-Eid geschworen. Und Hannah ging derart in ihrer Arbeit auf, dass sie möglicherweise gar keine Zeit fand, sich mit dieser Frage zu beschäftigen.

      Im Grunde waren wir das perfekte Paar. Allerdings unterschied uns etwas grundsätzlich. Hannah ging auf jeden Menschen zu, und war dieser auch der größte Depp. Ich war wohl eher so etwas wie ein Misanthrop – ich war viel für mich, brauchte lange, bis ich Vertrauen fasste und mied Gespräche, wenn sie nicht unbedingt sein mussten.

      Als ich sechzehn Kreuze gezählt hatte, schlief ich ein.

      Ich erwachte, als der Wagen auf den Parkplatz des Baltic rollte. Inzwischen war es dunkel geworden. Ich fühlte mich ein bisschen benommen und Hannah war vom Landstraße fahren erschöpft.

      Kapitel 3

      Das Baltic war ein riesiger Klotz aus Beton und Glas. Ein aufpolierter ehemaliger Plattenbau.

      Das Foyer mit der Rezeption war allerdings geschmackvoll. Eine überdimensionale Theke aus polierter Buche schwang sich im Halbkreis um eine freundlich blickende junge Frau. Eine Reihe großer Palmen vermittelte einen Hauch südlichen Flairs und eine in Orange gehaltene Lichtkomposition strahlte Wärme und Gemütlichkeit aus.

      Ich war angenehm überrascht.

      Hannah hatte ein Zimmer mit Meerblick via Internet gebucht. Ich hatte bei diesen Transaktionen einige Vorbehalte, unter anderem wegen der möglichen darauffolgenden Spam-Flut, deshalb telefonierte ich lieber oder erschien persönlich in einem Reisebüro. Außerdem war ich mir nie sicher, ob das alles auch funktionierte. Hannahs Buchung war perfekt. Die junge Frau lächelte, nannte unsere Namen und hieß uns willkommen. Wir nahmen den Zimmerschlüssel in Empfang, gingen zum Fahrstuhl und fuhren in die fünfte Etage.

      Im Zimmer stand ein Doppelbett, ein kleiner Schreibtisch mit Minifernseher, darunter die Minibar und zwei große kompakte Schalensessel. Auf dem Schreibtisch lagen Broschüren von den Angeboten des Hotels, einigen Ausflugsmöglichkeiten per Schiff oder Bus und die Preisliste der Getränke aus der Minibar. Ich fand 3 Euro Zwanzig für eine 0,33 Liter Flasche Bier übertrieben und verzichtete. Neben dem Eingang zum Bad war ein Kleiderschrank in die Wand eingelassen. Als Willkommensgruß lag je eine kleine Tüte Goldbären von Haribo auf den Kopfkissen.

      Hinter den aufgeklappten großen Fenstern konnte man tatsächlich das Meer hören. Um es sehen zu können, war es draußen schon zu dunkel.

      Hannah warf ihre Reisetasche mit der gleichen Bewegung neben das rechte Bett, wie sie die Tasche Stunden zuvor auf die Rückbank meines Autos geworfen hatte. Dann verkündete sie:

      „Ich habe Hunger.“

      Wir fuhren mit dem Fahrstuhl wieder nach unten und gingen ins Hotelrestaurant. Ein Mann Mitte Dreißig saß an einem Tisch am Fenster, trank Rotwein und las einen Artikel im SPIEGEL. Ansonsten war das Restaurant von Gästen verschont. Die Köchin, die hinter einer Art Tresen mit allerlei Küchengerätschaften vor aller Augen ihre Speisen zubereitete, putzte die zuletzt benötigten Utensilien und überreichte dann die Verantwortung für die Küche ihrer Gehilfin. Offensichtlich hatte sie Feierabend.

      Bedient wurden wir von einem jungen polnischen Kellner, mit dem Hannah, wie nicht anders zu erwarten war, sofort ins Gespräch kam.

      Der Kellner besaß eine äußerst gepflegte Erscheinung, sprach ein wortgewandtes Deutsch und schien der geborene Gentleman zu sein. Während Hannah mit dem Kellner über seine Heimatstadt Swinemünde schwärmte, wählte ich mein Essen. Dorschfilet mit grünem Kartoffelpüree und süßen Erbsen und ließ mir dann von ihm einen Wein dazu empfehlen.

      Hannah überlegte eine lange Weile, was sie essen sollte und entschied sich ebenfalls für Fisch. Seezunge mit einer raffinierten Soße, wie der polnische Kellner versicherte und gesalzenen Kartoffeln.

      Das Essen und der Wein waren in der Tat vorzüglich.

      Nach dem Essen gingen wir kurz an den Strand, küssten uns, während die Ostsee leise vor sich hin plätscherte und beschlossen noch in der Therme zu baden. Es war zwar deutlich kühler geworden, aber für einen späten Novemberabend nach wie vor viel zu warm.

      Das Thermalbad besaß ein hübsches Ambiente. Das Wasser leuchtete smaragdgrün und an der Decke waren überall kleine Lichter installiert. Der Raum war farbig gefliest, aber nicht kitschig und das Außenbecken dezent beleuchtet, so dass man auf dem Rücken treibend die Sterne sehen konnte. Das Personal war aufmerksam und geduldig.

      Ich betrachtete eine Weile die Sterne. Das Wasser hatte einen hohen Salzgehalt, so dass der Körper mühelos Auftrieb bekam und man sich tatsächlich von der künstlichen Strömung problemlos herumtreiben lassen konnte. Mit mir planschte ein junges Pärchen. Auf den Liegen im Inneren des Thermalbades dösten oder schwatzen sechs andere Gäste. Eine etwa fünfzigjährige Frau fiel mir auf, die so dick war, dass ihre Knie beim Laufen zusammenstießen. Auf ihrem Rücken wölbten sich mehrere Schichten Fettpolster, die übereinander schlappten. Ihr Badeanzug wirkte wie ein Korsett, der die Körpermasse daran hinderte, sich im ganzen Becken auszubreiten. Kein schöner Anblick.

      Hannah war in der Sauna verschwunden und stieg nach zwei Stunden zu mir ins Außenbecken. Wir trieben drei Runden zusammen herum. Das junge Pärchen hatte sich wahrscheinlich inzwischen auf ihr Hotelzimmer verkrümelt.

      „Eine wirklich schöne Überraschung“, betonte ich noch einmal und Hannahs Augen leuchteten. Ein bezauberndes Leuchten.

      Eine angenehme Lautsprecherstimme bat uns und die anderen Gäste das Thermalbad langsam zu verlassen, da um 22.00 Uhr geschlossen werden würde und wünschte allen höflich einen guten Abend.

      Wir trockneten uns ab, zogen uns um und genehmigten uns noch je einen doppelten Tullamore Dew im Edvard´s, dem Hotelpub. Mit uns saßen ein Mann und eine Frau um die Dreißig an der Bar, die sich die ganze Zeit über einen Versicherungsabschluss stritten, den er aus einer Laune heraus unterschrieben hatte.

      Hannah erzählte von einem manisch-depressiven Mann, der in seiner manischen Phase jede Nacht ein paar Mal die Feuerwehr anrief, um ihnen einen schönen Dienst zu wünschen, aber ich hörte irgendwie nur mit halbem Ohr zu. Die verschiedenen Whiskyflaschenformen im Regal hinter dem Tresen hatten es mir angetan. Fast jede Marke besaß eine eigene Flaschenform, und ich fragte mich gerade, ob es wohl Whiskyflaschenagenten gab, die die neueste Flaschenform der Konkurrenz ausspionierten, um sich damit dann mit der eigenen Produktion zu distanzieren. Außerdem suchte ich verzweifelt nach einer neuen Idee für unsere Firma. Aber mir fiel nichts ein.

      Vorm Schlafen hatten wir Geschlechtsverkehr. Durch das geöffnete Fenster konnte man das Meer rauschen hören.

      Es war fast wie vor drei Jahren am Wutzsee. Und es sollte das letzte Mal sein.

      Das Frühstücks- Büffet war reichlich und berücksichtigte unterschiedliche Geschmäcker und Essgewohnheiten. Es gab verschiedene Wurstsorten, eine gute Auswahl Käse, frisch gebratene Speckstreifen, hart gekochte Eier, geräucherten Lachs und jede Menge Obst und Müsli. Mit uns frühstückten vielleicht zwanzig oder fünfundzwanzig Gäste. Die meisten waren um die Sechzig. Ich war überrascht, dass hier so viele Leute einquartiert waren. Waren die alle in der Nacht gekommen? Oder hatten die alle gestern Abend in ihren Zimmern Karten gespielt oder fern gesehen?

      Das Essen war gut, nur der Kaffee schmeckte grauenhaft. Der Kaffee erinnerte mich an meine ehrenamtliche Tätigkeit vor ein paar Jahren in einem Obdachlosenheim. Ich hatte fast drei Jahre im Obdachlosenheim gearbeitet. Unangenehm bei dieser Arbeit war der schlechte Kaffee, den wir austeilten, und der Gestank am Morgen, wenn alle erwachten.

      Hannah beschloss, sich nach dem Frühstück mit ein paar Massagen und einer neuartigen Geschichtscreme, die das Beautyland des Hotels anbot, zwei, drei Stunden verwöhnen zu lassen, und ich sagte, dass ich in dieser Zeit ein bisschen am Strand spazieren würde. Offengestanden überraschte es mich, dass