In dem kleinen Hinterzimmer am Spittelmarkt vibriert die Luft vor Spannung. Auch der zweite Angriff der Amerikaner 1958, bei dem mindestens zwei Atombomben eingesetzt wurden, endete einzig damit, dass sich nun ein riesiges Ozonloch in der Atmosphäre über den südlichsten Kontinent befindet. Doktor Schmidt-Zupf senkt den Kopf, als wäre er noch 51 Jahre später zutiefst über einen derartigen Frevel erschüttert. Eine kurze gespenstische Stille tritt ein. Dann hebt er den Kopf und zieht triumphierend ein Büchlein aus der Innentasche seines Jacketts.
Schmidt-Zupf wartet ein bisschen, dann verkündet er: Admiral Richard E. Byrd hat der Nachwelt ein großes Geschenk hinterlassen: Sein Tagebuch. Einer der beiden Männer neben dem Podium wackelt mit dem Kopf. Nun zitiert Schmidt-Zupf aus dem kleinen Büchlein und übersetzte es auch gleich.
Dieses Tagebuch werde ich im Geheimen und Verborgenen schreiben. Es enthält meine Aufzeichnungen über meinen Antarktis-Flug VOTA 19. Februar 1947. Ich bin sicher es kommt die Zeit, wo alle Mutmaßungen und Überlegungen des Menschen zur Bedeutungslosigkeit verkümmern, und jeder die Unumstößlichkeit der offensichtlichen Wahrheit anerkennen muss. Mir ist die Freiheit versagt, diese Aufzeichnungen zu veröffentlichen und vielleicht werden sie niemals ans Licht der Öffentlichkeit gelangen. Aber ich habe meine Aufgabe zu erfüllen, und das, was ich erlebt habe, werde ich niederschreiben. Ich bin zuversichtlich, dass dies alles gelesen werden kann, dass eine Zeit kommen wird, wo die Gier und die Macht einer Gruppe von Menschen die Wahrheit nicht mehr aufhalten kann.
Byrd, so erzählt Schmidt-Zupf, verliert gegen Mittag am 19. Februar 1947 die Kontrolle über sein Flugzeug und wird von fremden Händen zur Landung gezwungen. Man empfängt ihn freundlich. Bevor ihm befohlen wird, auszusteigen, bestaunt Byrd eine liebliche Landschaft – kleine bewachsene Hügel und eine Stadt, die in Regenbogenfarben schimmert. Schließlich spricht eine Stimme zu ihm. WILLKOMMEN IN UNSEREM GEBIET.
Geneigter Leser, wer jetzt an die Szene aus Jules Vernes´ 20 000 Meilen unter dem Meer denkt, als Professor Aronnax das erste Mal Kapitän Nemo in der Nautilus begegnet, liegt gar nicht so falsch. Denn so ähnlich mutet auch der Empfang des Amerikaners Byrd an – mit dem Unterschied von klarem Rassismus.
Schmidt-Zupfs Stimme wird nun dunkel und warm. Große, blonde Männer, die sich Arianni nennen, begrüßen den Admiral. Ihm wird erklärt, dass sie ihn damit beauftragen werden, eine Botschaft an die obere Welt zu bringen und schließlich erweist man ihm das Privileg, die das Reich der schwarzen Sonne per Fahrstuhl zu betreten.
Doktor Schmidt-Zupf holt tief Luft, dann sagt er: Admiral Richard E. Byrd ist die bekannteste Persönlichkeit, die das Reich der Arianni mit eigenen Augen gesehen hat.
Jetzt braust Beifall auf. Als wieder Ruhe einkehrt, fügt Schmidt-Zupf lächelnd hinzu: Byrd hat diese Begegnung in einem Interview bezeugt, er hat das Pentagon unterrichtet und wurde zum Schweigen gezwungen. Zuletzt gibt er Literaturhinweise und buchstabiert seine E-Mail-Adresse, unter der die Zeugnisse der Wahrheit bestellt werden können, wie er es nennt.
Doktor Schmidt-Zupf hat seinen Vortrag beendet. Abermals Beifall.
Der nächste Redner, Jens Weißkopf, berichtet von seinem Prozess wegen Volksverhetzung und dankt allen Spendern, die ihn bei diesem Kampf unterstützt haben. Stolz erzählt er, dass er sowohl schriftlich als auch mündlich dem Gericht erklärte, dass er das Gericht nicht anerkennt, da das Grundgesetz nach Artikel 146 mit der Vollendung der deutschen Einheit seine Gültigkeit verloren hat und durch eine Verfassung ersetzt werden muss. Und dies sei bis heute nicht geschehen. Beifall brandet hoch.
Parallelen zu Diktatoren drängen sich auf: Ceausescu erkannte das rumänische Militärtribunal nicht an, das ihn standrechtlich erschoss, Milosevic erkannte den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag nicht an und Göring und Saddam gebärdeten sich ähnlich. Über eine halbe Stunde beschimpft Weißkopf den verlogenen Staat mit seinen verlogenen Vasallen, bevor er ein schwarz-weiß-roten Ausweis zückt, auf dem mit schwarzen Buchstaben prangt: INTERREGNUM (Zeitraum ohne rechtmäßige Regierung) Staatsangehörigkeit: Deutsches Reich. Gedruckt in der Kommissarischen Reichsdruckerei-Saargebiet/Rheinprovinz 2008.
Er schwenkt sein Urteil und weist triumphierend auf eine kleine Zeile seiner Personalien. Staatsbürger des Deutschen Reiches, ledig. Ausgestellt vom Landgericht Koblenz.
„Sie erkennen uns an!“
Jubel im Raum.
Bevor Dr. Rudolph Hofmann, ein Mann mit schmalem Gesicht, auffallend blauen Augen und grauem Haar, über seine unverständlichen und absurden physikalischen Belege für den funktionierenden Antrieb der reichsdeutschen Untertassen referiert, berichtet Heise von seiner Reise zu den Externsteinen.
Die Externsteine befinden sich in Nordrhein-Westfalen im Teutoburger Wald in der Nähe von Detmold. Sie sind eine durch die sogenannte saxonische Rahmenfaltung bizarr geformte Steinformation, die möglicherweise einst eine germanische Kultstätte war.
Heinrich Himmler gründete die Externsteine-Stiftung und ließ das Territorium auf Anregung seines völkischen Mitstreiters Wilhelm Teudt zu einem heiligen Hain der Ahnen umgestalten.
Eigentlich müsste der Abend nun reichlich vollgestopft sein mit abstrusen Hirngespinsten, denkt man, doch Hermann Heise setzt dem Ganzen noch ein religiöses Sahnehäubchen auf. Seine Gestalt ist spindeldürr, das Haar in kleinen Strähnen über die Fast-Glatze drapiert. Er hat kleine Augen und seine Stimme überschlägt sich bisweilen.
Als Erstes brüllt er zwei Dutzend Zuhörer an. „Ich habe es gesehen! Das Gesicht Wotan-Luzifers – verewigt in den Felsen der Externsteine!“ Wieder herrscht gespannte Stille. (Wotan oder Odin ist einer der wichtigsten germanischen Götter, Luzifer – der gefallene Engel, auch Satan oder Teufel.)
Das Nibelungenlied wird bemüht. Siegfried, der den Drachen tötete, wurde durch eine Hirschkuh genährt. Und im oberen Teil an einer der Felssäulen befindet sich eine Abbildung einer Hirschkuh. Natürlich. Aber dieses heiligste Heiligtum hat noch mehr zu bieten. Am vierten Felsen erscheint der gekreuzigte Gott. Nicht Jesus, nein. Es ist Wotan, der an der Irminsul (der Baum des Schreckens oder Weltenbaum) hängt.
Wotan war der Suchende der germanischen Götter, er gab ein Auge als Pfand gegen einen Schluck aus Mimirs Brunnen, um seherische Kräfte zu erlangen. Wotan raubte der Riesin Gumlöd Skalden Met, um das Getränk den Göttern zu bringen und schließlich hing er als Opfer für die Menschen am Weltenbaum, verwundet durch seinen eigenen Speer. Von Asgard konnte er die Welt überschauen und in Walhall versammeln sich alle Auserwählten im germanischen Paradies.
Hitler, Schmidt-Zupf und möglicherweise auch Osama Bin Laden. So jedenfalls scheint die Realität des Hermann Heise auszusehen. Aber er ist noch nicht fertig am heutigen Abend im Hinterzimmer in der kleinen Berliner Kneipe am Spittelmarkt.
Heise schlägt einen schärferen Ton an. Wotan ist der Christus von Atlantis, sagt er.
Wotan ist runisch dargestellt, fährt er fort. Wotan ist die kriegerische Antwort auf den Demiurg – Jehova – der jüdisch-christlichen Verschwörung der Verräter.