Voller Misstrauen geliebt. Lara Greystone. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lara Greystone
Издательство: Bookwire
Серия: Unsterblich geliebt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742772114
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      Kapitel 8

      „Mama! Mama, wach endlich auf!“

      Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, war Jo plötzlich hellwach. Ihr Sohn hatte beide Hände an ihren Kopf gelegt und klang ebenso energisch wie besorgt – Letzteres war eher untypisch für ihren Sohn.

      Ein undefinierbares Gefühl der Panik machte sich bei ihr breit, ruckartig richtete sie sich im Bett auf.

      „Was ist passiert? Geht es dir gut? Ist alles in Ordnung?“

      „Das sollte ich dich fragen, Mama! Du hast deine Knarre in der Hand. Und ich habe schon ein paarmal versucht, dich zu wecken. Hättest du keinen Puls, hätt ich geglaubt, du wärst tot. Hast du was geschluckt?“

      „Nein“, antwortete Jo verwirrt und betrachtete die Pistole in ihrer Hand. Einem Geistesblitz folgend schlug sie die Decke zurück und lief zum Fenster.

      „Die Alarmanlage ist aus. Hast du sie ausgeschaltet und den Vorhang zugezogen?“

      „Nur den Vorhang zugezogen.“

      Jo hob die Waffe hoch, die sie immer noch in Händen hielt, und nahm das Magazin heraus.

      „Eine Patrone fehlt. Es muss jemand hier gewesen sein, als ich geschlafen habe.“

      „Ach Mama, du spinnst. Sicher hast du nur eine zu wenig ins Magazin gesteckt.“

      „Sie können dich in einen tiefen Schlaf versetzen und alles vergessen lassen! Das hab ich dir doch erzählt. Ist dir heute Morgen irgendwas Besonderes aufgefallen?“

      „Ne, da war nur ein Obdachloser, der in einen Müllcontainer gekrochen war, um Essen zu suchen. Aber das Fleisch da drin stank so barbarisch, dass ich mir die Nase zugehalten hab und in Lichtgeschwindigkeit ins Haus gestürmt bin.“

      „Ich merke schon, du glaubst mir mal wieder nicht. Aber riech mal hier dran, Samuel“, verlangte sie zornig und hielt ihm den Lauf ihrer Pistole hin. „Du hast die bessere Nase von uns beiden.“

      Normalerweise nannte sie ihn Sami, nur wenn sie sehr deutlich werden musste, sprach sie seinen Namen ganz aus.

      Er tat, was sie sagte, und verzog das Gesicht.

      „Hast recht, damit wurde vor Kurzem geschossen. Aber vielleicht hast du auch einfach im Schlaf das Ding genommen und aus dem Fenster geballert. Du denkst doch, sie lauern überall.“

      Sie spürte, dass in ihrem Sohn Angst aufkeimte, trotz seiner lapidaren Worte. Eine Mutter sollte ihrem Sohn aber keine Angst einjagen, oder?

      „Vielleicht hast du ja recht, Sami“, sagte sie schnell und ihr Sohn atmete sichtlich erleichtert auf. Das bewies, dass sie ihm wirklich Angst gemacht hatte. Das war falsch. Sie musste allein damit klarkommen. Für einen Moment schloss sie die Augen, atmete tief durch und versuchte ihm zuliebe ruhiger zu werden. Sami war zwar älter, als sein Teenageraussehen vermuten ließ, und handelte ab und zu auch schon entsprechend erwachsen, aber dennoch blinzelte gelegentlich ihr kleiner Sami durch. Ihr Sohn, den sie in besonderer Weise vor der Welt beschützen musste.

      „Mach dir einfach deinen morgendlichen Kaffee, Mama und geh dann in der Erde wühlen. Du sagst doch immer, das bringt dich wieder ins Lot.“

      Ja, das stimmte. Als ihr damals der Boden unter den Füßen wegbrach und sie sich nicht mehr sicher war, was real war und was nicht, tat es unendlich gut, Erde mit den bloßen Händen zu spüren. Bei der Arbeit als Gärtner stand man zwangsläufig mit beiden Beinen auf der Erde, hielt sie in Händen, arbeitete mit ihr – alles ganz real, zum Anfassen, im Tageslicht, keine Geheimnisse, keine Vampire …

      Sami hatte recht, nach der zweiten Tasse Kaffee fühlte sie sich besser. Das Gefühl hielt an, bis sie die Haustür öffnete, um zur angebauten Garage zu gehen.

      Den ersten roten Spritzer beachtete sie nicht, doch dann sah sie noch mehr davon. Ihre Hände begannen zu zittern, als sie einen Finger befeuchtete und über einen der trockenen Flecke fuhr. Rot – blutrot!

      In Panik lief sie wieder ins Haus, hinunter in den Keller.

      „Sami, wir müssen sofort hier weg!“

      Sie erzählte ihm von ihrer Entdeckung.

      „Mama, jetzt hör auf, Panik zu schieben! Ja, vielleicht hat vor deiner Tür ein blutiger Kampf stattgefunden, aber es waren sicher zwei streunende Katzen oder Hunde.“

      Jo war mit den Nerven völlig fertig und kochte sich einen Tee, um sich zu beruhigen, aber es half nichts. Als sie in den nostalgischen VW-Bus ihrer Eltern stieg, zitterte sie immer noch und zuckte bei jedem Geräusch zusammen. Doch leider war ein Teil des realen Lebens auch, Geld zu verdienen, und sie war bereits bezahlt worden, also riss sie sich zusammen und fuhr los.

      ***

      Der penetrante Geruch von vergammeltem Fleisch weckte Quint auf. Sofort blickte er auf seine Uhr.

      „Scheiße!“

      Er hatte den ganzen Tag in der Tiefgarage verschlafen.

      Wie vom Blitz getroffen, stand er auf und lief in sein Quartier. Wenigstens war sein Körper wieder topfit.

      Als er sich zum Duschen auszog, stellte er fest, dass er den Beutel mit den Proben von Jo verloren hatte, entweder während des Kampfes oder später im Müllcontainer.

      Er würde sich neue besorgen, gleich heute Nacht.

      Im Anschluss an die kurze Dusche sammelte er die Unterlagen über Jo zusammen und wollte zuerst in Agnus’ Büro. Dann wurde ihm bewusst, dass gleich die Sonne untergehen würde.

      „Scheiße, der Deal!“

      Er rannte durch die Flure und stürmte in Elias Büro. Gott sei Dank war der Schreiber auch da.

      „Elia, kannst du für mich eine Überweisung machen, jetzt sofort?“

      „Klar, gib mir die Daten.“

      “Die Summe muss aber bis Sonnenuntergang da sein.“

      „So eilig?“

      „Ja.“

      „Das wird knapp.“

      „Dann beeil dich!“, rief er, schickte aber geistesgegenwärtig noch ein „Bitte“ hinterher.

      „Mann du tust ja, als ginge es um Leben und Tod.“

       Wenn der wüsste!

      Er hielt dem stets gut gelaunten Schreiber mit den dunkelblonden Wuschelhaaren den Zettel mit der Zahlenreihe hin und sagte: „200.000.“

      Als Elia den Zettel entgegennahm und zu tippen begann, legte sich seine Stirn schnell in Falten.

      „Ist dir klar, dass das ein anonymes Nummernkonto ist?“

      Er nickte stumm.

      „Hast du Drogen oder Waffen dafür gekauft? Was Illegales?“

       Etwas Lebenswichtiges.

      „Privat.“

      Elia sah ihn an und merkte wohl, dass er keine ausführlichere Antwort bekommen würde.

      „Gut. Es ist dein Geld. Aber ich hoffe, du hast schon, was du da bezahlst, denn da, wo das hingeht, gibt es keinen Käuferschutz, wenn du verstehst, was ich meine.“

      Er nickte wieder, dann fiel ihm etwas ein.

      „Kannst du das Geld ohne meinen Namen versenden?“

      „Quint, in was bist du da reingeraten? Du wirst doch keine Geschäfte mit Gesetzlosen machen, oder?“

      Die Türen zu Agnus waren eigentlich schalldicht, dennoch hatte Elia geflüstert.

      Quint schenkte Elia einen eisigen Blick und aus seiner Kehle kam ein leises, aber mörderisches Knurren.

      „Hast du etwa Zweifel daran, auf welcher Seite ich stehe?“