BePolar. Martha Kindermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martha Kindermann
Издательство: Bookwire
Серия: BePolarTrilogie
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748590385
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Doch Fenja und Tarik kommen mit gesenkten Gesichtern zum Vorschein.

      »Roya«, Tarik hat sein lieblichstes Stimmchen aufgesetzt, »du Roya, wir haben heute aber gar keine Lust auf die Zukunft und wollen uns lieber an der Natur orientieren.« Wer kann diesen Hundeaugen widerstehen. Ich lasse mich also in den Bann der Faulheit und Trägheit ziehen und gehe mit den beiden in den Park. Auf zwei, drei Schüler mehr oder weniger wird es sicherlich nicht ankommen. Den ganzen Elevenkram erfahren wir schon noch früh genug.

      Tarik hat, wie immer, eine Decke im Rucksack, also legen wir uns gemeinsam auf den Boden und starren in den Himmel. Kein Wölkchen ist zu sehen. Die Luft riecht nach Nichtstun mit einer frischen Brise Langeweile. Doch gleich wird Tarik uns mit einem seiner Einfälle vertraut machen und den Nachmittag verplanen. Bis dahin schließe ich für einen winzigen Moment die Augen und hole auf, was in der vergangenen Nacht zu kurz gekommen ist.

      »Roya, fang!«

      Ein Hacky Sack landet direkt neben meinem Gesicht. Ich bin eingenickt und habe einen nassen Fleck auf Tariks Decke hinterlassen. Geschieht ihm nur recht, immerhin muss ich gerade seinen Hacky Sack verkosten.

      Ich öffne die Augen und will wütend aufstehen, als ich etwas entfernt zwei Gestalten erspähe. Ein Mann mit kurzem weißblondem Haar um die vierzig und ein Junge in unserem Alter, der mit hängendem Kopf hinterher dackelt. Sein Gesicht ist durch die dunklen Locken beinahe gänzlich verdeckt und macht den Anblick nur noch geheimnisvoller.

      »Roya, schieß den Hacky wieder zurück!« Tariks Stimme schallt durch den ganzen Park. Die Leute gaffen zu uns rüber und für eine Sekunde sehe ich dem fremden Jungen genau in die Augen. Mein Herz macht einen kleinen Satz. Nicht schwach werden, Roya. Diese mädchenhaften Gefühle hast du sonst nie! Möglicherweise ist es auch nur die Neugier. Ich muss wissen, warum in aller Welt er überhaupt etwas in mir auslöst! Wer ist er? Wo kommt er her? Ist er lediglich ein Tourist auf der Durchreise? Wir haben eine Gesamtschule, welche er definitiv nicht besucht und wenn doch, dann müsste er just in der Aula sitzen, um sich zu ›orientieren‹.

      Ich liege weiterhin in meinem Sabberfleck und muss ein skurriles Bild abgeben, wie ich zu ihnen hinüber glotze. Sie gehen weiter. Ich richte mich auf und schaue ihnen nach. Wer bist du? Meine innere Stimme sagt mir, dass ich es noch herausfinden werde. Schließlich sieht man sich immer zweimal im Leben.

      »Träumst du? Gib jetzt endlich den Hacky her, du Schlafmütze!« Tarik kommt etwas genervt auf mich zu und ich gebe ihm den Gegenstand seiner Begierde. Wir kicken noch eine Runde und bummeln dann gemütlich nach Hause.

      Meine Gedanken hängen an einem unbekannten Jungen aus dem Park. Hach, ein wenig Träumen ist ja wohl erlaubt. Immer nur das fünfte Rad an Fenjas Wagen zu markieren, kann nicht die Dauerlösung sein.

      Die Eltern sind unterwegs und Rhea sicherlich bei ihrem mystischen Lover. Keiner hat ihn je zu Gesicht bekommen. Ich weiß nur, er muss ein netter Typ sein, denn er raubt meiner Schwester jede freie Minute. Vielleicht schalte ich irgendwann einen Detektiv ein, um ihn aufzuspüren, bevor wir ihn am Hochzeitstag auf den südlichen Inseln kennenlernen.

      Ich hole einen Joghurt aus dem Kühlschrank und setze mich auf die Hollywoodschaukel in den Garten.

      Keine zwei Minuten später schaut Rhea zur Terrassentür hinaus und beendet die Einsamkeit.

      »Gute Idee«, sagt sie und setzt sich, ebenfalls mit einem Joghurt bewaffnet, zu mir. »Na, kleine Schwester, wie war deine erste Nacht? Bist du einem Prinzen begegnet und nun froher Erwartung, dass der Traum Wirklichkeit wird?« Sie blickt mich schelmisch von der Seite an. Ha, ha, Prinz, da muss schon noch ein bisschen mehr passieren als ein viel zu alter Lehrer in einer skurrilen Fantasieschule oder ein Unbekannter im Park.

      »Nein«, antworte ich, »es ist alles ruhig geblieben, leider.« Nach Fenja's Reaktion heute Morgen habe ich ehrlich gesagt keine Lust, meine Erinnerungen mit einem weiteren Lebewesen zu teilen, um danach aufgezogen zu werden. Also lenke ich vom Thema ab und drehe den Spieß um. »Warum bist du heute nicht bei Entin? Hat er dich versetzt?«

      »Na, hör mal!«, sagt meine Schwester mit künstlichem Entsetzen, »Darf ich nicht ein Mal eher nach Hause kommen, um Zeit mit dem Nesthäkchen zu verbringen?« Sie stellt ihren Joghurt ab und drückt mich fest an sich. Wir sind eigentlich beide zu alt dafür, aber ich habe diese Momente schon immer genossen. Es ist ein wahres Privileg, Rhea für mich zu haben. Sie ist elf Stunden täglich auf Arbeit und wenn sie nicht aus purer Bequemlichkeit noch zu Hause wohnen würde, käme sie vielleicht nur zu den Feierlichkeiten vorbei.

      Wir schaukeln eine Weile vor uns hin und dann hole ich tief Luft und frage mutig drauf los:

      »Entin, wie ist der so? Du hast ihn ja noch nie mitgebracht. Ich bin ehrlich gesagt ziemlich neugierig. Bist du so richtig in ihn verliebt? Wirst du ihn heiraten? Denn dann möchte ich ein grünes Brautjungfernkleid tragen, gut?« Rhea rutscht ein wenig zur Seite, dreht den Kopf zu mir und atmet tief durch.

      »Das waren jetzt verdammt viele Fragen auf einmal, Süße.« Wahrscheinlich hat sie recht. Die meisten meiner Freunde haben niemanden, mit dem sie offen über Jungs oder Liebe sprechen können, bei uns beiden hat das schon immer funktioniert. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum Rhea nicht auszieht. Ich würde es mir wünschen.

      Sie nimmt mir den Joghurt aus der Hand und stellt ihn neben ihrem ab. Dann schnappt sie sich meine Hand und schaut mir tief in die Augen.

      »Roya, ich werde nirgendwo hingehen und in den nächsten zwölf Monaten auch sicher nicht meine Umzugskartons packen, okay?«, sie wartet auf eine Reaktion. Was soll ich dazu sagen? »Ach Maus, Entin ist wirklich ein ganz, ganz lieber und ja, ich glaube, ich habe ihn sehr gern. Bis zum Ende der Assistenzzeit bin ich allerdings mit meiner Arbeit verheiratet und wahrscheinlich auch noch darüber hinaus. Du kannst also eine ruhige Kugel schieben. Das grüne Kleid werde ich schon nicht vergessen.«

      »Und wann schleppst du ihn endlich mal hier an? Vor Papa brauchst du doch keine Angst zu haben, der ist froh, dass du auf Männer stehst.« Wir kichern und sie nimmt mich erneut in den Arm.

      »Da kennst du Papa aber schlecht. Weißt du, was er mit Soto vor dem Abschlussball gemacht hat?« Ich schüttle nichtsahnend den Kopf. »Dann frag ihn bei Gelegenheit. Sollte er die Courage besitzen, dir die Wahrheit zu erzählen, wirst du meinen Entschluss verstehen, Entin, solange es geht, von ihm fernzuhalten.«

      »Manno, jetzt hast du mich noch neugieriger gemacht. Stell ihn mir wenigstens vor. Ich könnte nach der Schule rein zufällig im Krankenhaus auftauchen und dann…«

      »Dann wird er wie immer beschäftigt sein«, schneidet sie mir das Wort ab. »Er leitet ein Forschungsprojekt von unvorstellbarer Wichtigkeit und kann sich keine Auszeit erlauben.«

      »Nicht einmal für die liebreizende Schwester seiner gutaussehenden Assistenzärztin?« Wir erliegen einem Lachanfall und entwerfen Horrorszenarien, in denen Pa Entin in ein Bettlaken einnäht, Rheas Tür zumauert oder ihn anderweitig drangsaliert.

      Bis zum Abendbrot haben wir solch einen Muskelkater, dass aufrechtes Gehen oder Sitzen zu einer Zerreißprobe wird.

      Tag 2

      »Da ist sie, Ceyda Hammerschmidt – die ›Gute Fee‹.« Caris spricht sehr leise und ich habe zu tun, sie in dem Wirrwarr der anderen zu verstehen. Eine große, massige Frau steht in der Mitte des Ufos und gönnt sich eine kleine Auszeit. Sie ist um die vierzig, trägt ebenfalls einen Overall, Turnschuhe auf Rädern, einen riesigen Afro, passend zu ihrem dunklen Teint, und eine runde Sonnenbrille mit Klappvisieren. Ich weiß nicht, aus welchem Film sie gekrochen ist, aber ihre Aura ist überwältigend.

      »Schläft die?«, höre ich jemanden halblaut fragen. Er könnte recht haben. Möglicherweise ist sie gar nicht echt, immerhin rührt sie sich keinen Millimeter.

      »Das ist deine Chance, Kuno!« Ein hagerer Typ mit blonden Strubbelhaaren wird von zwei anderen nach vorn geschoben. Er schnipst dreimal lautlos mit erhobenen Händen, dreht sich lässig um die eigene Achse