„Wollen Sie damit andeuten, dass es den Menschen wie den Kutschen geht? Wer hier nicht geboren ist, geht unter?“
„Das haben Sie jetzt gesagt!“
Der Himmel war weiß vor Hitze, als sie aus dem gekühlten Auto stiegen. Heißer Wüstenwind wehte durch die ausgestorbenen Straßen. Sie betraten das pompöse Gebäude und setzten sich an die Bar. Ein paar Männer kannten Jeff, nickten ihm zu, schläfrig von Hitze und Bier.
„Na, gefällt es Ihnen? Ist im Stil der Zwanziger- und Dreißigerjahre restauriert worden“, erklärte Jeff.
„Also, hier hätte ich lieber ein Zimmer als in Coocooloora.“
„Kann ich mir vorstellen.“
„Zwei Bier vom Fass. Wenn sie einen Happen essen wollen, tun Sie sich keinen Zwang an.“
„Und was ist mit Ihnen? Sie sehen so aus, als fielen Sie bald vom Fleisch.“
„Ach, ich hab es nicht so mit dem Essen. Meatpie können Sie bestellen.“
„Alles außer Meatpie! Ich nehm die Chops“, entschied Shane. „Ist der Schnee da echt?“ Shane war aufgestanden und betrachtete die Fotos an den Wänden.
„Nein, das sind Hagelkörner. Im Sommer haben wir hier öfter mal Gewitter, Hagel und Windstürme. Neunzehnhundertsechzig gab es einen verrückten Sturm. Am dreiundzwanzigsten Oktober kamen große grüne Sturmwolken von Nordwesten auf die Stadt zu. Die Leute dachten, es gäbe einen normalen Sturm. Dann fiel der Hagel mit enormem Lärm auf die Blechdächer. Neunzehn Minuten lang! Größer als Golfbälle waren die Hagelkörner. Das berichteten diejenigen, die es wagten, aus dem Fenster zu sehen. Die Hagelkörner haben Fenster und Dächer durchschlagen. Viele Haustiere und Ziegen sind umgekommen. Vierhundert Hühner sind allein auf einer einzigen Hühnerfarm erschlagen worden. Dreißig Zentimeter dick soll die Schicht Hagelkörner gewesen sein. Glaser und Dachdecker konnten sich eine goldene Nase verdienen.“
Shane betrachtete eines der Fotos.
„Ja, das ist ein schönes Foto. Die kleinen Schwarzen sehen lieb aus“, sagte Jeff und nahm einen Schluck Bier. „Das ist übrigens da, wo die Leiche verbuddelt wurde.“
„Dann stehen die Kinder also auf dem heutigen Parkplatz.“
„Exakt. Der da lebt noch.“ Jeff zeigte auf einen kleinen Jungen, der ein Blechspielzeug in der Hand hielt. Er hatte dunkle, traurige Augen. „Moodroo wohnt immer noch in Coocooloora. Steht meistens am Pub rum. Seine Schwester hat sich vor kurzem die Pulsadern aufgeschnitten. Er nahm einen weitern Schluck Bier. „Wie das eben so geht manchmal im Leben.“
„Sprechen Sie von Betty Williams?“
„Ja, kennen Sie sie?“
„Hab zufällig ihre Akte gelesen.“ Warum quälst du mich, ich habe dir nichts getan. Wenn man um die Liebe gebracht wird, ist es aus.
Er kannte noch den Wortlaut des Abschiedsbriefs. Jeff zeigte auf das Foto daneben. Zwei Arbeiter auf altmodischen Bulldozern lachten ins Objektiv des Fotografen.
„Da hat man gedacht, hier gibt es Bodenschätze, tja, wenn sie was gefunden hätten, wäre Coocooloora jetzt so was wie Broken Hill.“
Shane hörte jemanden sagen: „Miller’s Bottle Shop haben sie heute Morgen überfallen. Und keiner hat was beobachtet.“ Shane interessierte sich nicht dafür, das war nicht sein Revier. Plötzlich fiel ihm etwas ein.
„Ach, Jeff, warum ist eigentlich Billy Henderson nicht gut auf die Morgans zu sprechen? Er hat eine alte Geschichte erwähnt.“
„Da hab ich keine Ahnung“, antwortete Jeff.
Auf der Rückfahrt nach Coocooloora musste Shane an den Aborigine denken, der mit einer Tüte durch die Wüste gewandert war.
Moodroo
Einst war die Erde flach und ohne besondere Gestalt, und es gab keine Blumen, keine Nahrung, keine Menschen. Dann irgendwann, irgendwie, aus der Erde, oder aus dem Meer kamen die Schöpfer. Sie wanderten über den Rand der Erde, oder sie stiegen vom Himmel hinab und berieten, was existieren sollte. Wo sie gruben, sprangen Bäche aus der Erde, und dort, wo sie urinierten flossen Flüsse.
Die Schöpfer waren veränderlich in ihrer Gestalt. Manchmal waren sie Mensch, ein andermal Tier, manchmal männlich, dann wieder weiblich. Sie schufen den Menschen und die anderen Kreaturen. Sie verwandelten sich gegenseitig in Bäume und Gebirge. Sie schleuderten einen von ihnen in den Himmel, der dort zum Mond wurde. Oder sie formten eine Frau und warfen sie hoch, um die Süßkartoffeln zu ernten, die dort als Sterne strahlten. Alles auf der Erde, alles, was wuchs, alles, was sich bewegte, und alle Form war von diesen Wesen erschaffen worden. Sie bestimmten Gesetze für Menschen und Tiere und die Zeremonien, die jeder Stamm befolgen musste.
Und schließlich verschwanden sie, manchmal, indem sie sich selbst in geheiligte Dinge verwandelten, indem sie in der Oberfläche eines Steins versanken und einen Abdruck hinterließen, den die Menschen sehen konnten und mit Farbe nachzeichneten.
Moodroo wanderte über das Land, barfuß, mit einer Tüte Bierdosen und lächelte, wenn er auf einem Felsen den Fußabdruck eines Vorfahren erkannte. Lange bevor die Weißen kamen, führte ihr Weg hier vorbei. Der Weg der Ahnen. Die Welt haben die Ahnen gemacht und sind zu den Felsen und zu Flüssen geworden. Früher spielte er unten im Fluss mit den anderen Kindern. Und die Mütter und Tanten fischten. Manchmal sammelten sie auch Wurzeln und Knollen und Beeren und Blätter. Als die weißen Männer mit ihren Bulldozern kamen, kehrten die Frauen mit den Kindern gerade zurück vom Buschnahrungssammeln.
Die Männer mit den großen Hüten und den erhitzten Gesichtern brauchten nicht lange. Sie walzten die Hütten in die rote Erde. Dann war nichts mehr übrig, was an das Leben seiner Familie erinnerte. Die Frauen sahen zu und hielten die Kinder fest. Ihre Männer waren auf der Jagd oder arbeiteten auf den Stations der Weißen als Viehtreiber. Sie kamen nur manchmal nach Hause. Die Frauen waren froh, dass die Weißen mit den Maschinen ihnen wenigstens nicht die Kinder wegnahmen. Aber andere kamen und nahmen ihnen die Kinder mit der helleren Haut weg.
Sie sagten, das seien Mischlinge und sie sollten aufwachsen und erzogen werden wie Weiße. Aber sie logen. Die Jungen wurden Viehtreiber und die Mädchen Dienstmädchen bei den Weißen. Er war froh, dass er ganz schwarz war, obwohl Lily, seine Mutter, hellere Haut gehabt hatte. Aber sein Vater war schwarz gewesen. Besser ganz das eine – oder ganz das andere. Und nichts dazwischen. Da gab es nur Probleme. Er hatte einen Auftrag.
Kapitel 4
Shane
Um sieben Uhr abends rollte er endlich vor die Polizeistation in Coocooloora. Er rechnete damit, dass er eine Stunde brauchen würde, um seinen Bericht zu schreiben und wunderte sich, als er Paddy am Schreibtisch sitzen sah.
„Haben Sie heute etwa auch Dienst?“, fragte Shane und schaltete den Computer an. Paddy knurrte etwas Unverständliches. Shane richtete seinen Ordner und die Datei ein.
„Wissen Sie, wer neulich die dreitausend Dollar bei der Pferdewette in Charleville gewonnen hat?“
Paddy zuckte die Schultern.
„Kommen Sie, Paddy, ich denke, Sie kennen hier jeden!“
„Na ja, die meisten kenn ich auch, also“, er kratzte sich am Kopf, „soweit ich weiß, war das ein Schafscherer aus Augathella, Herb ... Herb Richards.“
„Wissen Sie, ob er noch lebt?“
„Herb?“ Paddy lachte donnernd. „Den hab ich letzte Woche im Pub gesehen. Da war er noch quietschfidel.“
Es wäre auch zu einfach gewesen, wenn sich Herb als der unbekannte Tote herausgestellt hätte.
„Sind Sie eigentlich