Wie arbeiten die verschiedenen Anteile des Gehirns zusammen? Wenn Sie z. B. nach der Uhrzeit gefragt werden, senden Teile Ihres Großhirns einen Impuls an die linke Hand, sich so zu drehen, dass Sie einen Blick auf die Armbanduhr werfen können. Bevor diese Bewegung durchgeführt wird, muss dieser »Befehl« an den bewussten Teil des Gehirns erst einmal mehrere Prüfinstanzen in den unbewussten Bereichen des Gehirns durchlaufen, die feststellen, ob der Ausführung des »Befehls« nichts entgegensteht. Vielleicht stellt sich bei dieser Prüfung heraus, dass Ihre linke Hand in diesem Moment nicht frei und gerade mit einer anderen Aufgabe beschäftigt ist, z. B. eine Kaffeetasse festhält. Würde in diesem Fall die Prüfinstanz den Impuls des Großhirns nicht abwehren, würden Sie den Kaffee verschütten und müssten evtl. Ihre Kleidung wechseln. Also wird der Impuls mit dem Hinweis: »Annahme verweigert« wieder zurückgeschickt und der Auftrag an andere Dienststellen im Gehirn weitergeleitet, die schon auf angemessene Zwischen- oder Alternativlösungen vorbereitet sind, z. B. den Kaffee auf einem Tisch abzustellen oder mit der rechten Hand das Käsebrötchen wegzulegen, um die linke vom Kaffee zu befreien. Diese in Sekundenbruchteilen ablaufenden Kontrollchecks und Koordinationsaufgaben verschiedener, unabhängig voneinander arbeitender Gehirnanteile werden in aller Regel unbewusst erledigt, ohne einen Gedanken von uns zu bemühen.
Das Wechselspiel von bewussten und unbewussten Gehirnaktionen in diesem Beispiel geschieht auch in Situationen mit komplexen Sachverhalten, wenn ich z. B. mit Menschen zusammentreffe, die oder deren Verhalten mich an frühere Begegnungen erinnern und entsprechende positive oder negative Gefühle in mir auslösen. Damit steuern die unbewussten Anteile in mir blitzschnell meine Reaktionsweisen im weiteren Verlauf dieser Begegnung.
Das Nervensystem besteht zum einen aus dem Großhirn, dem entwicklungsgeschichtlich jüngsten Teil, das als der Ort des Bewusstseins bezeichnet wird. Direkt darunter liegen ältere Gehirnanteile, die bereits vor den Säugern bzw. bei den Reptilien zu finden sind: das Zwischen- und das Stammhirn. Hier hat die neurophysiologische Forschung verschiedene Zentren lokalisiert, z. B. den Hypothalamus und das Limbische System, die dem unbewussten Nervensystem zugeordnet werden und die unbewussten Abläufe von der Atmung bis zur Verdauung im Organismus steuern.
Ein schönes Bild findet der Neurowissenschaftler Henning Beck (2015) in seinem Buch Hirnrissig, in dem er das Nervensystem des Menschen wie das Versorgungsleitungssystem in einem Wohnhaus beschreibt: Oben liegt die Wohnung, die dem bewussten Teil des Nervensystems entspricht, alles klar und übersichtlich geordnet, Wohnraum, Arbeitszimmer, Küche, Bad usw., technisch perfekt ausgestattet und ohne störende Installationsleitungen. Sobald man aber den Keller betritt, also in die Tiefen des Unbewussten kommt, wird es schnell unübersichtlich. Da gibt es ein Gewirr an Wasserleitungen und Heizungsrohren, Zu- und Abwasser-, Gas-, Elektro-, Telefonleitungen und vieles mehr, daneben möglicherweise noch »zwischengelagerte« Kisten vom letzten Umzug und andere Erinnerungsstücke oder »Wertsachen«, von denen wir uns nur ungern trennen wollen, die nun aber vollends zu Unübersichtlichkeit beitragen.
Wenn ein Neurowissenschaftler die Vorgänge in unserem Hirn so komplex betrachtet, könnte uns ein klareres Modell von Nutzen sein, mit dem wir der Funktion des Unbewussten bei der Verbesserung unserer Kommunikationsfähigkeiten näherkommen. Es hilft uns dabei, die uns unbekannten – die »unbewussten« – Anteile des Gehirns ein Stück weit besser kennenzulernen, indem wir sie als verschiedene Teile unserer Persönlichkeit ansehen. Damit gelingt es uns leichter, den Weg durch den Dschungel des Lebens und die Tücken kommunikativer Verflechtungen zu finden, um aufkommende Verständigungsprobleme früher zu erkennen, Lösungsstrategien erfolgreicher zu entwickeln und dadurch die Ladestationen zu finden, die uns mit Lebensenergie, Freude und Gesundheit versorgen.
So stellen sich zwei wichtige Fragen: Wer bin ich, und wie viele?
Die erste ist sehr philosophisch und sicher zu komplex, um an dieser Stelle näher darauf einzugehen. Das würde den Rahmen dieser Abhandlung sprengen. Mit der zweiten Frage, wie viele bin ich, sind die verschiedenen Anteile unseres unbewussten Nervensystems gemeint, genauer die vegetativen Systeme. Sie agieren in uns wie innere Berater·innen und haben genau festgelegte Aufgaben auszuführen, je nach aktueller Anforderung, ohne dass wir auch nur einen Hauch von dieser Aktivität mitbekommen.
Wenn wir z. B. nach einem opulenten Mahl müde sind oder nach einem starken Espresso verlangen, dann können wir einen Ausschnitt der Arbeit eines unserer vegetativen Systeme kennenlernen, das sonst in aller Stille unbemerkt fleißig seine Aufgaben erledigt. Gemeint ist in diesem Fall die spezielle innere Berater·in für Stoffwechselangelegenheiten samt seiner Helfer, Teile des unbewussten Nervensystems, Steuerzentren, die sich unter anderem um alle Anforderungen rund um die Verdauung kümmern. Sie gehören zu den vegetativen Systemen der Mittenorgane. Sind nun die Anforderungen bei einer kalorienreichen Mahlzeit einmal ungewöhnlich hoch, vielleicht nach einer größeren Portion Schweinekrustenbraten oder einer besonders großen köstlichen Sahneschnitte, dann kann sich das vegetative unbewusste System der Mitte schon einmal bemerkbar machen. Zeichen für seine Überlastung ist typischerweise eine Trübung der ansonsten klaren Körperenergie, was sich in einer Reduktion der geistigen Leistungsfähigkeit, fehlender Konzentration, in Müdigkeit oder Gleichgültigkeit bemerkbar machen kann. Dadurch werden wiederum andere Steuerzentralen aktiviert, die Zwischenlösungen in Gang setzen und vielleicht eine ursprünglich zu diesem Zeitpunkt geplante Besprechung absagen, die Möglichkeit zu einem Mittagsschlaf schaffen oder eine Extraportion Koffein einfordern.
Es wird deutlich, dass konstruktive Kommunikation besser gelingt, wenn ich eine ungefähre Ahnung habe von meinen aktuellen Gefühlen und Bedürfnissen. Erst wenn ich weiß, was ich wirklich will, wie es mir geht, wenn ich meine Bedürfnisse und Wünsche kenne und realisieren möchte, d. h., meine in mir agierenden inneren Berater·innen kenne, ihre Schwächen und Stärken, und wenn es mir gelingt, Einfluss auf diese Anteile nehmen zu können, dann werde ich auch in der Lage sein, in konstruktive und freudvolle Kommunikation mit anderen Menschen zu kommen. Meditationsrituale verschiedenster Heilkulturen haben das Ziel, »gesunde« Kommunikationswege herzustellen, indem sie den Übenden dabei helfen, zu sich zu finden, in sich selbst »nach Hause« zu kommen, was bedeutet, sich selbst zu erkennen, zu akzeptieren und sich von negativen Gefühlen wie Angst und Ärger so weit lösen zu können, dass sie im Kontakt zu anderen nicht stören.
1.3 Begegnung mit anderen
Das Wort Kommunikation ist verwandt mit dem Wort Kommune, z. B. als Stadt- oder Dorfgemeinschaft, aber auch als Wohn- oder Lebensgemeinschaft. Eine Gemeinschaft lebt vom Austausch von Informationen, wenn ein Individuum dem anderen etwas mitteilen will. Die menschliche Sprache bietet dafür die Voraussetzungen, sofern die Kommunizierenden die gleiche Sprache sprechen. Wir kennen aber auch zu gut den Fall, dass die Gesprächspartner·innen die gleiche Muttersprache haben und trotzdem nicht die gleiche Sprache sprechen. Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse. Woran könnte es liegen, wenn Kommunikation schwierig wird?
Wir gehen davon aus, dass der Mensch mit individueller Grundkonstitution, individuellen Erbanlagen, seelischen und körperlichen Stärken und Schwächen auf die Welt kommt. Danach wird er durch seine Lebensumstände geprägt, in seiner Entwicklung im besten Fall gefördert, im schlechtesten vernachlässigt oder behindert. Wesentlichen Einfluss hat die verbale und nonverbale Kommunikation mit der Umgebung, die bereits im Mutterleib beginnt und dann bis zum Lebensende fortgeführt wird und wirkt.
Der bekannte Psychotherapeut Paul Watzlawick sagt: »Man kann nicht nicht kommunizieren«, was bedeutet, dass wir in jedem Moment unseres Lebens von den Auswirkungen der mitunter gar nicht