© 2022 danube books Verlag e. K., Ulm
Umschlaggestaltung Hans Karl Zeisel, Korb bei Stuttgart
Verlag danube books Verlag e. K., Ulm
ISBN 978-3-946046-32-5
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Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.
Inhalt
Weiß ohne Schatten und Weiß mit schmutzigweißen Schatten. Und Weiß auf Weiß, hochgetürmt, blendend. Wenn der Himmel verhangen war, brach das Weiß des Schnees durch und erhellte Hof und Garten, leuchtete hinter dem Zaun im Nachbargarten und in der anderen Straße.
Ich wartete immer lange, bis der Schnee ganz hoch war. Er rundete alle Kanten ab, den Dachfirst, die Zaunpfähle und die Spitzen der Heuschober auf dem Anwesen des Bauern in der Nachbarschaft. Mein Vater nahm die ganz große Leiter, stellte sie ans Hausdach, wanderte mit ihr rund ums Haus und schlug mit einer langen Stange den Schnee vom Dach. Auch vom Holzschuppen, von der Waschküche und dem Gänsestall. Die Dächer wurden entzaubert. Ich hatte lange warten müssen, bis alles flaumig und rund war, er aber schlug den Schnee vom Dach. Der Dachschnee fiel ab, klatschte dumpf auf und grub tiefe Löcher mit zerfransten Rändern in den Schnee, der im Hof lag.
Im Garten blieb der Schnee lange heil und unberührt: Es war kein Weg mehr zu sehen. Ich stapfte durch und warf mich dann auf die flaumige, an der Oberfläche glitzernde Decke, die vor mir lag. Sie sank ein, und ich sank mit, immer tiefer, es knirschte unter meinem Gewicht, wenn sich die lockeren Schneekristalle ineinanderdrückten und zerbrachen. Ich warf mich wieder und wieder in den über den Beeten abgerundeten Schnee und wälzte mich darin. Die Beete im Garten sahen aus wie Gräber in einem verschneiten Friedhof. Ich ließ mich immer wieder in die Daunenbetten der verschneiten Gräber fallen, mit einer Leidenschaftlichkeit, die ich später nie wieder aufgebracht habe. Dann baute ich den Weg durch den Garten neu, genau da, wo er vorher gewesen war, bevor der Schnee kam.
Jetzt liege ich unter einer weißen Decke, die mir bis zum Kinn reicht. Die Wände sind von einem anderen, nicht kristallinen Weiß, genauso andersweiß ist die Zimmerdecke. Ein anderes Weiß als der unberührte Schnee in jenem Garten, als jenes Mädchen, das mir inzwischen fremd geworden ist, sich in die Beete geworfen hatte, die aussahen wie verschneite Gräber. Dieses Weiß der Zimmerdecke kenne ich auch, das Zugedecktsein bis zum Kinn. Ich habe schon einmal hier gelegen. Damals war ich freiwillig hierhergekommen. Nach meiner Ankunft hängte ich mein Straßenkleid auf einen Bügel und den Bügel mit dem leblos hängenden Kleid in den Schrank. Nahm einen zweiten Bügel für die Jacke, überlegte es mir dann anders, hängte den leeren Bügel wieder in den Schrank und die Jacke über das leblos hängende Kleid. Die steife Jacke konnte die Leblosigkeit des Kleids jedoch weder verbergen noch mildern, und beide zusammen wirkten auf dem Bügel im Kleiderschrank furchtbar resigniert und verbittert. Der Schrank war auch weiß, wie fast alles in jenem Zimmer, man hätte ihn leicht übersehen können. Er verschluckte noch hintereinander meine Schuhe, die Handtasche und die Reisetasche.
Hier gibt es bestimmt auch einen weißen Schrank, ich müsste nur den Kopf ein bisschen nach links drehen, rechts ist die Fensterfront, daher kommt das Licht, das mir heute morgen ins Gesicht gesprungen ist. Ich kann jetzt meinen Kopf so weit drehen, dass ich die Fenster sehe, die Hausdächer jenseits der Fensterscheiben und hinter den roten, schiefen, regenfeuchten dichtgedrängten Hausdächern frische, saubergewaschene Baumkronen. Es muss lange geregnet haben, wie lange, kann ich nicht beurteilen. Draußen ist alles flüssig, in den drei Fensterrahmen zerrinnen die Bilder des Hausdächer- und Baumkronen-Triptychons, die ich mir so mühsam, durch schmerzhaftes Kopfdrehen, erkämpft hatte. Sobald sie für meine Blicke erreichbar geworden sind, beginnen sie sich schon aufzulösen und werden weggeschwemmt. Ich schaue trotzdem immer wieder hin, um die weiße Zimmerdecke, die mich von oben bedroht, zu verscheuchen. Hier ist alles gewollt weiß, es gibt sich Mühe, weiß zu sein. Nur der Fußboden bleibt grau, obwohl er morgens nach dem Aufwaschen wie Glatteis