Sinclair Lewis: Die großen Romane . Sinclair Lewis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sinclair Lewis
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4066338121196
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konnte sie sich jeden Abend den Hut aufsetzen und in drei Minuten im Kino sein und hübsche Burschen im Smoking sehen und Bill Hart und alles!

      Wie konnten sie nur so viel Läden haben? Herrgott! Da war ja einer nur für Tabak, und einer (ein reizender – der Kunstladen) für Bilder und Vasen und so Sachen, mit der blendendsten Vase, die man sich denken konnte, wie ein Baumstumpf!

      Bea stand an der Ecke der Hauptstraße und der Washington Avenue. Der Lärm der Stadt begann ihr Angst zu machen. Fünf Automobile waren auf der Straße, und alle auf einmal – und eines davon war ein großer, großer Wagen, der mußte zweitausend Dollar gekostet haben – und der Bus fuhr zur Bahn mit fünf elegant angezogenen Männern; und ein Mann klebte rote Zettel an, auf denen hübsche Bilder von Waschmaschinen waren, und der Juwelier legte Armbänder und Armbanduhren aus, alle auf echten Samt.

      Was lag ihr daran, ob sie sechs Dollar in der Woche bekäme? Oder zwei? Es wäre ja wert, umsonst zu arbeiten, wenn man nur hierbleiben darf. Und wie es am Abend sein würde, alles beleuchtet – und nicht mit Lampen, mit Elektrizität! Und vielleicht ein Freund, der einen ins Kino führt und einem Erdbeergefrorenes mit Soda kauft!

      Bea schleppte sich zurück.

      »Also? Gefällt's dir?« fragte Tina.

      »Ja. 's gefällt mir. Ich glaub', ich werd' dableiben«, sagte Bea.

      3

      Das neuerbaute Haus Sam Clarks, in dem die Gesellschaft zur Begrüßung Carolas gegeben wurde, war eines der größten Gebäude in Gopher Prairie. Es war mit sauberen Schindeln gedeckt, es hatte einen Turm und eine große gedeckte Veranda. Drinnen war es so schimmernd, so hart und so munter wie ein neues Eichenpianino.

      Carola blickte Sam Clark flehend an, als dieser die Tür öffnete und brüllte: »Willkommen, kleine Dame! Die Schlüssel der Stadt gehören Ihnen!«

      Hinter ihm, in der Diele und im Wohnzimmer sah sie die Gäste in einem weiten, steifen Kreis sitzen, als wohnten sie einem Begräbnis bei. Sie warteten so! Sie warteten auf sie! Ihr Entschluß, ganz zierlich bescheidenes Blümchen zu sein, verflüchtigte sich. Sie bat Sam: »Ich trau' mich nicht hineinzugehen! Sie erwarten so viel! Mit einem Schluck werden sie mich verschlingen!«

      »Aber, Schwester, sie werden Sie alle lieben, genau so wie ich, wenn ich nicht Angst davor hätte, daß mich der Doktor da verhaut!«

      »A–aber – ich trau' mich nicht! überall Gesichter rechts, links, vor mir, und alle so neugierig!«

      Sie kam sich hysterisch vor, Sam mußte sie für wahnsinnig halten. Der aber kicherte: »Jetzt kuscheln Sie sich ganz einfach unter Sams Flügel, und wenn einer einen zu langen Hals nach Ihnen macht, jag' ich ihn weg. Da sind wir!«

      Den Arm um sie, führte er sie hinein und rief schallend: »Meine Damen und schlechteren Hälften, die junge Frau! Wir wollen sie noch nicht ringsherum vorstellen, weil sie eure blöden Namen doch nicht richtig verstehen würde. Und jetzt Schluß mit der Gerichtsfeierlichkeit!«

      Sie kicherten höflich, bewegten sich aber nicht aus der Sicherheit heraus, die ihnen ihr Kreis gab, und hörten nicht auf zu glotzen.

      Carola hatte viel Mühe darauf verwendet, sich für das Ereignis anzuziehen. Ihre Frisur war züchtig, das Haar niedrig in die Stirn gekämmt, mit einem Scheitel und eingerollten Flechten. Jetzt wollte sie, sie hätte es hoch aufgetürmt. Ihr Kleid war unschuldig fallender Batist, mit einer breiten Goldschärpe und einem kleinen viereckigen Halsausschnitt, der den Halsansatz und schöne Schultern ahnen ließ. Während sie aber gemustert wurde, war sie überzeugt, das alles sei falsch. Einmal wünschte sie, sie hätte ein altjüngferliches hochgeschlossenes Kleid an, dann wieder, sie hätte den Mut gehabt, die Leute mit einem grellen, leuchtend roten Schal, den sie in Chicago gekauft hatte, in Empörung zu versetzen.

      Sie wurde im Kreis herumgeführt. Ihre Stimme produzierte mechanisch Worte:

      »Ach, sicher wird es mir hier ausgezeichnet gefallen.« »Ja, wir haben es wunderschön in den Colorado-Bergen gehabt« und »Ja, ich war einige Jahre in St. Paul. Euclid P. Tinker? Nein, ich kann mich nicht erinnern, ihn kennengelernt zu haben. Aber ich glaube ganz bestimmt, ich habe von ihm gehört.«

      Kennicott nahm sie beiseite und flüsterte: »Jetzt werd' ich sie dir vorstellen, jeden einzeln.«

      »Erzähl mir zuerst von ihnen.«

      »Also, das hübsche Paar dort drüben sind Harry Haydock und seine Frau Juanita. Harrys Vater gehört der Bon Ton zum größten Teil, aber Harry leitet ihn und bringt Schwung in die Sache. Er ist ein flotter Geschäftsmann. Neben ihm ist Dave Dyer, der Drogist – du hast ihn am Nachmittag kennengelernt – ein fabelhafter Entenschütze. Der Riese neben ihm ist Jack Elder – Jackson Elder – dem gehört die Hobelwerkstatt, das Minniemashie-Hotel und 'n ziemlich großer Anteil an der Bauern-Nationalbank. Er und seine Frau sind feine Kerle – er und Sam und ich gehen viel miteinander jagen. Der alte Käse dort ist Luke Dawson, der reichste Mann in der Stadt. Neben ihm sitzt Nat Hicks, der Schneider.«

      »Wirklich, ein Schneider?«

      »Freilich, warum nicht? Vielleicht sind wir nicht ganz modern, aber demokratisch sind wir. Ich geh mit Nat ebenso gern jagen wie mit Jack Elder.«

      »Das ist nett. Ich habe noch nie einen Schneider in Gesellschaft kennengelernt. Es muß angenehm sein, einen Schneider zu sehen und nicht immer daran denken zu müssen, was man ihm schuldig ist. Und gehst du – Würdest du mit deinem Friseur auch auf die Jagd gehen?«

      »Nein, aber – Es hat doch keinen Sinn, diese demokratischen Sachen zu übertreiben. Übrigens, ich kenn' Nat seit Jahren und außerdem ist er ein ausgezeichneter Schütze, und – Also, so ist die Sache, verstehst du? Neben Nat ist Chet Dashaway. Ein großer Redner vor dem Herrn. Der redet dir ein Loch, über Religion und Politik und Bücher und alles.«

      Carola warf einen höflichen, nahezu interessierten Blick auf Herrn Dashaway, einen braungebrannten Menschen mit großem Mund. »Oh, ich weiß! Er ist der Mann vom Möbelladen!« Sie war sehr zufrieden mit sich.

      »Ja, und er ist auch der Leichenbestatter. Er wird dir gefallen. Komm, gib ihm mal die Hand.«

      »Ach nein, nein! Er macht doch – er macht doch nicht das Einbalsamieren und alle die Sachen selber? Ich könnt' einem Leichenbestatter nicht die Hand geben!«

      »Warum denn nicht? Du wärst stolz darauf, einem großen Chirurgen die Hand zu geben, gleich nachdem er jemand den Bauch aufgeschnitten hat!«

      Sie suchte ihre reife Besonnenheit vom Nachmittag wiederzugewinnen. »Ja. Du hast recht. Ich möchte, ach, Lieber, weißt du, wie ich mir wünsche, die Leute gern zu haben, die du gern hast? Ich möchte die Leute so sehen, wie sie sind.«

      »Schön, dann denk' aber auch daran, in den Menschen dasselbe zu sehen wie andere Leute! Sie haben was los. Weißt du, daß Percy Bresnahan von hier ist? Hier geboren und aufgewachsen!«

      »Bresnahan?«

      »Ja – du weißt – der Generaldirektor von der Velvet Motor Company in Boston – die den Velvet-Zwölf-Zylinder macht – die größte Automobilfabrik in Neu-England!«

      »Ich glaube, ich hab' von ihm gehört.«

      »Aber sicher. Ja, der ist vielfacher Millionär! Also, Percy kommt fast jeden Sommer zum Fischen her, und er sagt, wenn ihn das Geschäft freigäbe, würd' er lieber hier leben als in Boston oder New York oder sonstwo. Er macht sich nichts draus, daß Chet Leichenbestatter ist.«

      »Bitte! Ich will – ich will alle gern haben! Ich will zu der ganzen Gesellschaft nett sein!«

      Er führte sie zu den Dawsons.

      Luke Dawson, der Geld auf Hypotheken verlieh und neugerodetes Land im Norden besaß, war ein unsicherer Mann in einem ungebügelten taubengrauen Anzug, er hatte vorquellende Augen in einem milchweißen Gesicht. Die Wangen seiner Frau waren farblos, farblos waren ihr Haar, ihre Stimme und ihr Benehmen. Sie trug ihr