Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Imperativ in der didaktischen Diskussion als eines mehrerer Sprachmittel zum Ausdruck von Aufforderungen betrachtet wird. Darüber hinaus stehen die Funktionsweise sowie der situative Kontext im Vordergrund. Allerdings wird die Vermittlung des Imperativs für Anfänger außer Acht gelassen, wobei das Thema im Unterricht relativ früh (z. B. in Aufgabenstellungen) vorkommt. Daher wird im Folgenden ein Blick in die Lehrwerke und Übungsgrammatiken für das Sprachniveau A1 geworfen.
4.4. Der Imperativ in didaktischen Grammatiken
Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Grammatiken wird in didaktischen auf ausgewählte Aspekte fokussiert. Im Folgenden liegt der Fokus auf der Darstellung des Imperativs und der Aufforderung in verschiedenen didaktischen Grammatiken. Dabei handelt es sich um Übungsgrammatiken, da für die Konzeption der Interaktiven Grammatik nicht nur die Präsentation der grammatischen Struktur, sondern auch Übungen dazu relevant waren.
Eine umfassende Übersicht über die Aufforderung ist in der Grammatik in Feldern1 zu finden, die ein onomasiologisches Konzept darstellt (vgl. Buscha et al. 1998). Die Autoren zählen zum Feld der Aufforderung „sowohl die einzelnen semantischen Funktionen des Aufforderns als auch die Gesamtheit der ihr zugeordneten grammatischen und lexikalischen Sprachmittel“ (ebd.: 239) [Hervorhebung im Original]. Die erste Annäherung an das Feld der Aufforderung geschieht, indem jedem Imperativsatz eine Funktion zugeordnet wird (vgl. ebd.: 239-240). Der Imperativ stellt die Grundform der Aufforderung dar, dabei können Partikeln, Modalwörter, Satzstrukturen dem Imperativ eine der einzelnen Funktionen des Aufforderns zuweisen. Darüber hinaus steht die Aufforderung im engen Zusammenhang mit der konkreten Situation, dem Verhältnis zwischen Sprecher und Adressaten sowie der Intonation (vgl. ebd.: 240). Die Autoren bieten eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Funktionen der Aufforderung an, die in Abbildung 4-2 als Teilfelder dargestellt sind:
Teilfelder des Feldes Aufforderung (nach Buscha et al. 1998: 241)
Der Imperativ wird zwar als Grundform des Feldes betrachtet, kann aber in vielen Situationen als nicht angemessen gelten. Daher werden auch weitere sprachliche Ausdrucksmittel zu jedem einzelnen Teilfeld ausgearbeitet. Dabei wird die Semantik der jeweiligen Teilfelder skizziert, anschließend werden einzelne Sprachmittel vorgestellt sowie Übungen dazu angeboten. Bei einigen Teilfeldern, wie z. B. Anordnung, Appell und Warnung, wird zusätzlich zwischen den Aufforderungen in der offiziellen und privaten Kommunikation unterschieden. Da Grammatik in Feldern für Fortgeschrittene konzipiert ist, wird die Bildung des Imperativs sehr kurz dargestellt. Infinitive und Imperativformen sind aus einem Kästchenrätsel in eine Tabelle zu übertragen. Anschließend wird angeboten, die Regelmäßigkeiten zu erschließen und sie in „Merksätzen“ zusammenzufassen (vgl. ebd.: 241-242). Interessanterweise werden dabei drei Formen des Imperativs behandelt. Jedoch kommt noch die wir-Form in den Teilfeldern Appell und Vorschlag vor. Auch wenn der Imperativ nicht in allen Situationen angemessen ist, wird er in einem Teilfeld als ein mögliches Ausdrucksmittel mit Beispielen erwähnt (vgl. ebd.: 243 ff.). Dabei spielen Partikeln, wie z. B. doch, mal, bitte, ja, bloß etc., eine wichtige Rolle, um eine Aussage zu verstärken oder den befehlenden Charakter des Imperativs abzuschwächen.
Eine weitere Grammatik, die die Funktionen der Aufforderungen zum Ausgangspunkt macht, ist Grammatik mit Sinn und Verstand (Rug und Tomaszewski 2006). Zum Einstieg werden vier verschiedene Textsorten (Gedicht, Spielbeschreibung, Rezept und Witz) angeboten, die unterschiedliche Sprachmittel von Aufforderungen beinhalten. Anschließend werden sie aufgelistet, dabei liegt der Fokus auf Dialogen bzw. gesprochener Sprache. Auch die Formen des Imperativs sowie die Wortstellung werden kurz zusammengefasst. Im Übungsteil wird die Form kaum geübt, es gilt lediglich verschiedene Aufforderungen in unterschiedlichen Kontexten zu formulieren (vgl. ebd.: 114-115). So kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die beschriebenen Grammatiken einen starken Fokus auf der pragmatischen Dimension des Imperativs haben. Eine Erklärung dafür könnte die Zielgruppe der Grammatiken sein: fortgeschrittene Lernende, von denen das Vorhandensein der Kenntnisse über die Bildung des Imperativs erwartet wird. Daher konzentrieren sich die Grammatiken auf eine differenzierte Vertiefung in der Funktionsweise des Imperativs bzw. der Aufforderung.
Die Darstellung des Imperativs in den Übungsgrammatiken für Anfänger unterscheidet sich im Hinblick auf die Gewichtung pragmatischer, syntaktischer und morphologischer Aspekte des Imperativs. In Anhang 1 sind Informationen zur Imperativvermittlung in vier analysierten Übungsgrammatiken für die Grundstufe zusammengefasst.2 In allen vier Grammatiken wird eine Doppelseite dem Imperativ gewidmet, dabei beinhalten sie die ausgewählten Aspekte des Imperativs sowie vier bis sechs Übungen zum Thema.
In den Übungsgrammatiken (s. Anhang 1) werden die Funktionen des Imperativs mithilfe von Beispielen präsentiert. Während in Einfach Grammatik nur eine Funktion, Aufforderung, in der Regelformulierung thematisiert wird (vgl. Rusch und Schmitz 2007: 36), sind in drei weiteren Grammatikbüchern folgende Funktionen zu finden: Aufforderung, Bitte, Ratschlag, Tipp, Anweisung (Fandrych und Tallowitz 2008: 36; Gottstein-Schramm et al. 2010: 82; Jin und Voß 2011: 20). Auch wenn sich die Autoren von Einfach Grammatik für eine Funktion in der Regeldarstellung entschieden, lassen sie die anderen Funktionen nicht außer Acht, so sind im Übungsteil auch Bitten zu formulieren.
In Einfach Grammatik wird versucht, das Thema nach dem S-O-S-Prinzip (s. Kap. 4.1.2) entdecken zu lassen. Dafür muss man zuerst Sätze zuordnen und danach die Imperativsätze in der Tabelle ergänzen, somit wird die Position des Verbs in Aufforderungssätzen hervorgehoben. Anschließend ist der Regelsatz auszufüllen. Die Formen des Imperativs sind zwar in der Tabelle zusammengefasst, dennoch wird der Lernende aufgefordert, die Präsens- und Imperativformen zu vergleichen und eine weitere Regel zu ergänzen (vgl. Rusch und Schmitz 2007: 36). Schritte Übungsgrammatik und Klipp und klar bieten Beispielsätze mit farbig bzw. durch Fettschrift hervorgehobenen Imperativformen. Direkt darunter sind kurze Regelsätze formuliert. In Klipp und klar wird zuerst auf die syntaktische Ebene der Imperativsätze und gleichzeitig die Funktionen, dann auf die Bildung eingegangen (vgl. Fandrych und Tallowitz 2008: 20). In Schritte Übungsgrammatik werden, wie oben bereits erwähnt, die Funktionen anhand von Beispielen gezeigt (vgl. Gottstein-Schramm et al. 2010: 82). Die farbig markierten Imperativformen in den Beispielsätzen sollten vielleicht die Aufmerksamkeit auf die Verbstellung im Satz lenken. Die syntaktische Ebene der Imperativsätze wird in Übungsgrammatik Deutsch als Fremdsprache mit einem Regelsatz explizit formuliert: „Der Imperativ mit du und ihr hat kein Subjekt“ (Jin und Voß 2011: 20).
Im Hinblick auf die verwendete Terminologie lassen sich Unterschiede in den analysierten Grammatiken feststellen. Während in Übungsgrammatik Deutsch als Fremdsprache für die Bezeichnung der Imperativformen „formell“ und „informell“ benutzt wird (Jin und Voß 2011: 20), bietet Klipp und klar „familiär“ und „formell“ (Fandrych und Tallowitz 2008: 20). Zwei weitere Grammatikbücher verzichten auf die Bezeichnung und verwenden nur Pronomen (vgl. Rusch und Schmitz 2007: 36; Gottstein-Schramm et al. 2010: 82). Die Bezeichnungen von regelmäßigen und unregelmäßigen Verben sind ebenso nicht einheitlich. So steht z. B. „normale Verben“ für regelmäßige Verben in Schritte Übungsgrammatik und Übungsgrammatik Deutsch als Fremdsprache. Der Begriff regelmäßige Verben mag den Autorinnen zu kompliziert für Anfänger erschienen zu sein. Dann stellt sich die Frage, warum sich die Autorinnen der Übungsgrammatik Deutsch als Fremdsprache für den Begriff unregelmäßige Verben unmittelbar neben normalen Verben entschieden. Die Veranschaulichung grammatischer Strukturen, die für didaktische Grammatiken üblich ist (s. Kap. 4.1.3), wird in allen vier Grammatikbüchern durch die drucktechnischen