Achtsam durch den Tag. Jan Chozen Bays. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Chozen Bays
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783864103612
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unsere Sinne bewusst öffnen und uns dessen bewusst werden, was sowohl innerhalb unseres Körpers und Herz-Geistes als auch draußen, in unserer Umgebung, passiert.

      Achtsamkeit ist ein erstaunlich einfaches Werkzeug für jemanden, der bewusst werden möchte. Sie ist eine Übung, die uns hilft, aufzuwachen, präsent zu sein und das Leben in vollen Zügen zu genießen. Sie hilft uns, die Lücken in unserem Tagesablauf zu schließen, sodass wir nicht mehr so oft unbewusst werden und für große Teile unseres Lebens nicht gegenwärtig sind. Sie ist auch eine Übung, die uns helfen wird, die frustrierende Kluft zu schließen und das unsichtbare Schutzschild zu entfernen, die zwischen uns und anderen Menschen zu stehen scheinen.

      5. Achtsamkeit beendet den Kampf und besiegt die Furcht

      Achtsamkeit hilft uns, auch in Erfahrungen, die unangenehm sind, präsent zu bleiben. Gewöhnlich neigen wir dazu, die Welt und andere Menschen so arrangieren zu wollen, dass wir uns behaglich fühlen. Wir verwenden viel Energie auf den Versuch, die Temperatur in unserer Umgebung genau richtig zu machen, die Beleuchtung genau richtig, den Duft in unserer Wohnung genau richtig, den Geschmack unseres Essens genau richtig, unser Bett und unsere Sessel weich genug, die Farbe unserer Zimmerwände genau richtig, den Grund um unser Haus herum genau richtig und die Menschen um uns herum – unsere Kinder, unsere Partner, unsere Freunde, unsere Mitarbeiter und sogar unsere Haustiere – genau richtig.

      Doch sosehr wir uns auch bemühen, die Dinge bleiben einfach nicht so, wie wir es gern hätten. Früher oder später bekommt unser Kind einen Wutanfall, brennt unser Abendessen an, fällt die Heizung aus oder werden wir krank. Sind wir in der Lage, präsent und offen zu bleiben und sogar Erfahrungen und Menschen willkommen zu heißen, die uns nicht angenehm sind, dann verlieren sie die Macht, uns zu ängstigen und die „Kampf-oder-Flucht“-Reaktion in uns auszulösen. Gelingt uns dies immer und immer wieder, dann haben wir eine erstaunliche Stärke erlangt, die in der Menschenwelt nur selten anzutreffen ist – nämlich die Fähigkeit, trotz sich ständig verändernder Bedingungen glücklich zu sein.

      6. Achtsamkeit fördert unser spirituelles Leben

      Die Hilfsmittel der Achtsamkeit sind eine Einladung, den vielen kleinen Aktivitäten des Lebens mit Aufmerksamkeit zu begegnen. Sie sind besonders für Menschen nützlich, die inmitten all der Ablenkungen des modernen Lebens Spiritualität kultivieren möchten. Der Zen-Meister Shunryu Suzuki Roshi sagte einmal: „Das Zen ist nichts besonders Aufregendes, sondern die Sammlung auf unsere gewöhnliche Alltagsroutine.“ Die Achtsamkeitsübung richtet unsere Aufmerksamkeit wieder auf diesen Körper, diese Zeit und diesen Ort. Und genau dort können wir mit der ewigen Präsenz, die wir das Göttliche nennen, in Berührung kommen. Wenn wir achtsam sind, dann wissen wir jeden Augenblick des einzigartigen Lebens, das uns gegeben wurde, zu schätzen. Achtsamkeit ist eine Weise, unsere Dankbarkeit für ein Geschenk, das wir niemals zurückzahlen können, zum Ausdruck zu bringen. Achtsamkeit kann zu einem fortlaufenden Gebet der Dankbarkeit werden.

      Christliche Mystiker sprechen von einem „Leben unablässigen Gebets“. Was mag das bedeuten? Wie könnte so etwas möglich sein, wo wir doch ständig eilig in dem rasenden Verkehr des modernen Lebens unterwegs sind und die Kurve kratzen, ohne genug Zeit zu finden, mit unserer Familie, geschweige denn mit Gott zu sprechen?

      Wahres Gebet ist kein Bitten um etwas, sondern ein Lauschen. Tiefes Lauschen. Wenn wir ganz tief lauschen, bemerken wir, dass selbst das „Geräusch“ unserer eigenen Gedanken störend, ja sogar lästig ist. Wenn wir von den Gedanken ablassen, treten wir in eine tiefere innere Stille und Empfänglichkeit ein. Ist es uns möglich, diese offene Stille in unserem Kern, ja als unseren Kern zu bewahren, dann lassen wir uns nicht mehr verwirren in dem Versuch, die unzähligen einander widersprechenden inneren Stimmen auf die Reihe zu bekommen und unter ihnen zu wählen. Unsere Aufmerksamkeit ist nicht mehr in das emotionale Dickicht in unserem Inneren verstrickt. Sie ist nach außen gerichtet. Wir suchen nach dem Göttlichen in allen Erscheinungen, hören auf das Göttliche in allen Klängen, werden in allen Berührungen vom Göttlichen gestreift. Wenn Dinge auf uns zukommen, reagieren wir angemessen und kehren dann dazu zurück, in der inneren Stille zu ruhen. Dies ist ein im Glauben gelebtes Leben, im Glauben an den Einen Geist, ein Leben des unablässigen Gebets.

      Wenn wir Achtsamkeit nach und nach in unsere Routineaktivitäten einfließen lassen, dann erwachen wir zum Mysterium eines jeden Augenblicks, um das wir nicht wissen können, bis der Augenblick eintritt. Wenn die Dinge sich zeigen, sind wir bereit, sie anzunehmen und zu antworten. Wir sind empfänglich für das, was uns von Moment zu Moment von der Großen Gegenwart geschenkt wird. Es sind einfache Geschenke: die Wärme, die sich auf unsere Hände überträgt, während wir eine Schale Tee halten, Tausende von winzigen Liebkosungen durch die Kleidung auf unserer Haut, die komplexe Musik der Regentropfen und ein weiterer Atemzug. Wenn wir unsere volle Aufmerksamkeit auf die lebendige Wahrheit jedes einzelnen Augenblicks zu richten vermögen, dann durchschreiten wir das Tor zu einem Leben des unablässigen Gebets.

      Missverständnisse über Achtsamkeit

      Auch wenn sehr viel Reklame für Achtsamkeit gemacht wird, missverstehen die Leute sie oft. Zuerst einmal mögen sie fälschlicherweise annehmen, Achtsamkeit zu üben bedeute, angestrengt über etwas nachzudenken. Bei der Übung von Achtsamkeit benutzen wir das Denkvermögen des Geistes jedoch nur, um die Übung anzustoßen („Sei dir heute deiner Körperhaltung bewusst“) und um uns daran zu erinnern, zu der Übung zurückzukehren, wenn unser Geist während des Tages unvermeidlich abschweift („Richte deine Aufmerksamkeit wieder auf deine Körperhaltung“). Haben wir jedoch begonnen, den Anweisungen des Geistes zu folgen und die Methode anzuwenden, können wir unsere Gedanken fahren lassen. Wenn der denkende Geist sich beruhigt, dann geht er über in offenes Gewahrsein. Dann sind wir im Körper verankert, wach und präsent.

      Ein zweites Missverständnis besteht darin, zu glauben, achtsam zu sein bedeute, alles ganz langsam zu machen. Es geht hier nicht um die Geschwindigkeit, mit der wir Dinge tun. Wir können eine Aufgabe langsam erledigen und trotzdem unaufmerksam sein. Tatsächlich müssen wir dann, wenn wir schneller vorgehen, oft aufmerksamer werden, um Fehler zu vermeiden. Wenn Sie einige der Achtsamkeitswerkzeuge in diesem Buch anwenden wollen, kann es sein, dass Sie langsamer werden müssen – zum Beispiel wenn Sie achtsames Essen üben. Bei anderen Übungen werden Sie aufgefordert, kurzfristig langsamer zu werden, um Geist und Körper zusammenzuführen, bevor Sie sich Ihren regulären Aktivitäten widmen – wenn Sie zum Beispiel den Geist während dreier Atemzüge ruhen lassen. Andere Aufgaben kann man in jeder beliebigen Geschwindigkeit ausführen, zum Beispiel die Übung, bei der Sie auf die Fußsohlen achten, während Sie sitzen, gehen oder laufen.

      Ein drittes häufiges Missverständnis besteht darin, Achtsamkeit für ein zeitlich begrenztes Übungsprogramm zu halten, wie etwa eine 30-minütige Sitzmeditation. Achtsamkeit ist in dem Maße für uns hilfreich, wie sie sich in allen Aktivitäten unseres Lebens ausbreitet und das Licht einer höheren Bewusstheit sowie Neugier und ein Gefühl der Entdeckungsfreude in die weltlichen Aktivitäten des Lebens hineinträgt – etwa in das morgendliche Aufstehen, das Zähneputzen, das Durchschreiten einer Tür, das Annehmen eines Anrufs oder das Zuhören.

      Eine Gebrauchsanweisung für dieses Buch

      Dieses Buch bietet Ihnen eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden, Achtsamkeit in Ihr tägliches Leben zu bringen. Wir nennen sie „Achtsamkeitsübungen“. Sie könnten diese auch als „Samen“ der Achtsamkeit ansehen, Samen, mit denen Sie in den vielen Furchen und Winkeln Ihres Lebens Achtsamkeit pflanzen und aufziehen, wobei Sie zusehen können, wie sie jeden Tag wachsen und Früchte tragen.

      Jede Übung besteht aus mehreren Abschnitten. Zuerst einmal wird die Aufgabe beschrieben und Sie bekommen einige Anregungen, auf welche Weise Sie sich selbst daran erinnern können, diese Übung während des Tages und über eine Woche auszuführen. Es folgt ein Abschnitt, der mit „Entdeckungen“ überschrieben ist. Hierzu gehören die Beobachtungen der Übenden, Erkenntnisse oder Schwierigkeiten mit der Aufgabe sowie alle