Wo lag die Straßenkarte?
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KAPITEL 07
Der versteckte Mann
Lilli genügte ein kurzer Blick auf die Straßenkarte, die sie hinter dem alten Grammofon gefunden hatte. Sie prägte sich ein, was sie sah.
Doch jetzt war es zu spät, um die Wohnung noch zu verlassen. Das Bandenmitglied stapfte bereits die Treppe zu unserer Etage hinauf.
Möglichst schnell und lautlos schloss ich die Eingangstür. Lilli platzierte die Karte auffällig mitten im Raum, damit der Dieb sie sofort finden würde, wenn er die Wohnung betrat.
Hastig versteckten wir uns im Schlafzimmer.
Wir hörten, wie sich die Tür öffnete und der Mann in die Wohnung stürmte. Er blieb unvermittelt stehen, murmelte etwas zu sich selbst und machte postwendend wieder kehrt. Gleich darauf wurde die Wohnungstür geschlossen.
Wie sich herausstellte, hatte er die Straßenkarte gefunden, denn als wir unser Versteck verließen, war sie weg. Anschließend durchsuchten wir weiter die Diebeshöhle, während wir auf die Rückkehr der beiden Polizisten warteten, fanden aber keine neuen Hinweise. Als die Beamten schließlich die Wohnung betraten, konnten auch sie nichts Gutes berichten. Leider hatten sie Herrn Hut im Gewirr des Marktplatzes aus den Augen verloren. Sie nahmen uns mit auf ihr Polizeirevier, um unsere Aussagen aufzunehmen.
„Und du bist sicher, dass auf der Straßenkarte Bloodhound Castle verzeichnet war?“, fragte Kommissarin Well zum wiederholten Male.
„Ganz sicher,“ grummelte Lilli erschöpft.
Das Polizeirevier glich einem Backofen. Draußen war es schon heiß, aber wenigstens wehte dort ein angenehmes Lüftchen. Hier drinnen stand die Luft und alle schwitzten. Wir hatten die Kommissarin überzeugt, eine Streife nach Bloodhound Castle zu schicken, da wir vermuteten, die Bande würde dort bald zuschlagen. Die Polizisten hatten bereits vor über einer Stunde Stellung bezogen.
Zwischenzeitlich hatte Kommissarin Well einiges über Bloodhound Castle herausgefunden. Es handelte sich um ein altes burgähnliches Gemäuer, mitten in einem Sumpfgebiet. Den Namen verdankte das Gebäude der Legende, dass sich angeblich riesige wilde Hunde in den Sümpfen herumtrieben. Kommissarin Well hielt dies jedoch für ein Ammenmärchen, das Fremde vom Schloss und dem durchaus gefährlichen Feuchtgebiet fernhalten sollte.
Die größte Überraschung ihrer Recherche bestand jedoch in der Erkenntnis, dass Bloodhound Castle vor einigen Jahren von James Eckles gekauft worden war. Derselbe James Eckles, der hinter der Schatzsuche steckte, auf der wir uns seit heute Morgen befanden. Das konnte kein Zufall sein. Die im Museum gestohlene Flagge musste Hinweise enthalten, die auf Bloodhound Castle verwiesen. Bestimmt hatte die Bande deswegen das alte Gemäuer auf der Straßenkarte markiert und befand sich mittlerweile wahrscheinlich auf dem Weg dorthin.
„Funk doch nochmal die Streife an,“ sagte die Kommissarin zu einer Kollegin, die vor einer großen Apparatur mit allerlei Knöpfen und Skalen saß. Diese seufzte und drehte an einem Regler, bis auf einem Display die Frequenz 103.2 erschien.
„Revier Nummer zwei hier. Wie sieht es aus, Kollegen?“, sprach sie in ein Mikrofon.
„Streife fünf hier. Weiter alles ruhig. Wie lange sollen wir hier noch rumsitzen?“, krächzte es aus einem der Lautsprecher.
Kommissarin Well atmete tief durch, während sie uns musterte. „Er soll noch zwei Stunden durchhalten“, sagte sie ihrer Kollegin, die die Anweisung weiterreichte.
Ein junger Polizist eilte uns entgegen und wedelte mit einem großen Papierumschlag. „Hier sind die Bilder der Überwachungskameras“, rief er.
„Vom Museum? Auf den Tisch da!“, sagte die Kommissarin.
Die Aufnahmen zeigten allesamt Herrn Hut. Herr Hut, wie er das Museum betritt, wie er durch die Ausstellung schlendert, wie er das Diadem an sich nimmt und damit den Alarm auslöst, wie er die Flagge in seine Tasche steckt und schlussendlich auch wie er die Tasche im Kinderwagen platziert.
„Ich glaube das einfach nicht“, sagte die Kommissarin.
„Was genau?“, fragte der junge Polizist.
„Auf keinem der Fotos sieht man sein Gesicht. Ihr habt mir zwar von dem Tattoo auf seinem Handrücken berichtet, aber ein Bild von seinem Gesicht wäre wirklich hilfreich.“
Wir alle schauten uns die Aufnahmen nochmal genau an.
„Stimmt“, sagte ich.
„Er wusste, wo die Überwachungskameras waren“, überlegte die Kommissarin.
„Und nutzte seinen Hut als Deckung“, ergänzte ihr Kollege.
„Wir haben zwar die Beschreibung seines Aussehens von unterschiedlichen Personen, euch eingeschlossen. Aber ein richtiges Foto ersetzt das nicht“, sagte Kommissarin Well und blickte zu uns. „Es existiert nicht eine einzige Aufnahme, die sein Gesicht zeigt.“
„Sind Sie sich sicher?“, fragte Marvin zu unser aller Erstaunen.
Warum dachte Marvin, das Gesicht des Herrn Hut wurde womöglich doch fotografiert?
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KAPITEL 08
Die Geisterstrecke
Wenn der Museumswärter die Frau mit dem Baby wirklich in dem Moment fotografiert haben sollte, in dem Herr Hut im Hintergrund durch das Bild lief, dann war sicher auch sein Gesicht darauf zu erkennen. Wir verabschiedeten uns von der Kommissarin, die zuversichtlich war, dieses Foto auf der Kamera besorgen zu können.
Doch Lilli dachte gar nicht daran, nach Hause zu gehen. Sie wollte unbedingt nach Bloodhound Castle. Das alte Gemäuer sei nur eine Stunde zu Fuß entfernt, wenn wir querfeldein gingen. Sie kenne den Weg. Die dort wartenden Polizisten könnten uns bestimmt wieder mit zurücknehmen. Kurzum: Sie war nicht von ihrem Plan abzubringen.
Die Sonne brannte weiterhin unerbittlich, als wir uns an diesem mittlerweile späten Nachmittag auf den Weg nach Bloodhound Castle machten. Wir folgten den stillgelegten Gleisen einer alten Bahnstrecke, die längst von der ungebremst wachsenden Pflanzenwelt verschluckt worden waren. Anfangs führte uns die Strecke durch Wiesen und Felder, doch mit der Zeit änderte sich die Umgebung: Es wurde immer sumpfiger. Dabei kamen wir bei Weitem nicht so schnell voran wie gedacht. Das lag vor allem an Marvin, der ständig neue Tiere entdeckte und unbedingt zeichnen musste. Tiere waren bekanntlich seine große Liebe. Jetzt konnte er diese alte große Liebe mit seiner neuen großen Liebe, dem Zeichnen, verbinden. Schließlich konnten wir ihn überzeugen, dass uns die Zeit davonlief und er seinem Zeichendrang vorerst besser nicht nachgab. Von da an trottete mein bester Freund bedröppelt hinter uns her.
„In der Zeitungsanzeige, dem Aufruf zur Schatzsuche, erwähnt James Eckles ein Elixier“, sagte er. „Was, glaubt ihr, bewirkt es?“
„Es muss etwas wirklich Bedeutendes sein“, sagte Lilli. „Warum sonst sollte James Eckles, der größte Erfinder der Welt, sich damit beschäftigen? Warum sollte ein solches Genie spurlos verschwinden und dann aus einem Versteck heraus so einen Aufwand mit einer Schatzsuche betreiben? Warum sollte eine Bande von Profidieben hinter dem Elixier her sein?“
„Vielleicht