Mein Ausgangspunkt sind nicht die erneuerbaren Energien, sondern ist die Gesellschaft – aus der Erkenntnis, welche elementare Bedeutung der Energiewechsel für deren Zukunftsfähigkeit hat. Ich bin nicht von den erneuerbaren Energien zur Politik für diese gekommen, sondern aus meiner Problemsicht und von meinem Verständnis politischer Verantwortung zu den erneuerbaren Energien. Der Wechsel zu erneuerbaren Energien hat eine zivilisationsgeschichtliche Bedeutung. Deshalb müssen wir wissen, wie wir ihn beschleunigen können. Knapp sind nicht die erneuerbaren Energien, knapp ist die Zeit.
1. KEINE ALTERNATIVE ZU ERNEUERBAREN ENERGIEN: Der lange verdrängte naturgesetzliche Imperativ
Wie konnte es zu der dramatischen Zuspitzung auf eine Entscheidungssituation kommen, in der der Wechsel zu erneuerbaren Energien unter einem existenziellen Zeitdruck steht? Warum wurden erneuerbare Energien so lange negiert oder gering geschätzt? Diese Fragen müssen gestellt werden, trotz des Satzes von Albert Einstein: »Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.« Um jedoch auf das richtige Zukunftsgleis zu kommen, ist das Diktum des Philosophen Sören Kierkegaard zu beachten: »Leben muss man das Leben vorwärts, verstehen kann man es nur rückwärts.« Der Rückblick hilft, die geistigen und strukturellen Widerstände, die der Zukunftsentwicklung im Wege stehen, klar genug zu erfassen. Jede Vergangenheit hinterlässt ihre gedanklichen, realen und psychologischen Spuren, ob sie uns bewusst sind oder nicht. Bemerkenswert ist nicht die in den letzten Jahren sprunghaft gewachsene Erkenntnis des grundlegenden Stellenwerts der erneuerbaren Energien, sondern vielmehr, wie lange dieser Erkenntnisprozess gedauert hat und dass es nicht längst viel mehr erprobte Technologien und konkrete Initiativen dafür gibt.
Naturgesetzlich war immer schon vorgegeben, dass die Nutzung fossiler Energien nur ein Übergangsstadium sein konnte. Kristallklar und unwiderlegbar hat Wilhelm Ostwald, der 1909 den Nobelpreis für Chemie erhielt, in seinem 1912 publizierten Buch »Der energetische Imperativ« darauf hingewiesen, dass die »unverhoffte Erbschaft der fossilen Brennmaterialien« dazu verführt, »die Grundsätze einer dauerhaften Wirtschaft vorläufig aus dem Auge zu verlieren und in den Tag hinein zu leben«. Da sich diese Brennmaterialien unweigerlich aufbrauchen würden, ergebe sich daraus zwingend die Erkenntnis, dass eine »dauerhafte Wirtschaft ausschließlich auf die regelmäßige Energiezufuhr der Sonnenstrahlung gegründet werden kann.« So kam er zu seinem Imperativ: »Vergeude keine Energie, verwerte sie.« Mit Vergeudung meinte er die Verbrennung der fossilen Energien, die ein zerstörender Vorgang ist, weil die verwendeten Ressourcen dadurch für den Energieeinsatz unwiederbringlich verloren sind. Dagegen setzt er die Verwertung der immer vorhandenen Energie, die wir heute erneuerbare Energie nennen und die in Dänemark treffender »bleibende Energie« genannt wird. Dem »energetischen Imperativ« räumt Ostwald einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert ein als dem »kategorischen Imperativ« des Philosophen Immanuel Kant: »Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«[3]
Einfacher ausgedrückt, in einem alten Sprichwort: »Was du nicht willst, das man dir tu, das füge keinem andern zu.« Jeder will in sauberer Luft leben, weshalb auch keiner die Luft anderer verschmutzen dürfte. Jeder Mensch braucht Energieressourcen, weshalb keiner so viel Energie beanspruchen darf, dass für andere nichts mehr übrig bleibt. Fest steht: Schon bisher reichte die fossile und die atomare Energie nicht aus, um die Energiebedürfnisse der gesamten Menschheit zu befriedigen. In naher Zukunft wird dies, angesichts der sich erschöpfenden Reserven bei gleichzeitig wachsendem Energiebedarf, immer weniger möglich sein. Ostwald sieht in Kants Imperativ ein Sittengesetz, während sein Imperativ naturgesetzlich ist. Ob ein Sittengesetz beachtet wird oder nicht, ist eine moralische Frage. Sie entscheidet über die Qualität des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ein Naturgesetz lässt uns dagegen keine Wahl. Seine Nichtbeachtung hat für die Gesellschaft so schwerwiegende Folgen, dass sie auch eine Verwirklichung der ethischen Grundsätze Kants letztlich unmöglich machen würde.
Ostwalds elementare Warnungen wurden überhört, obwohl er zu den weltweit anerkannten Wissenschaftlern seiner Zeit zählte. Dabei war der Energieverbrauch am Beginn des 20. Jahrhunderts noch vergleichsweise gering. Es gab nur 1,5 Milliarden Menschen auf der Erde statt 6,5 wie heute. Die Elektrifizierung steckte noch in den Anfängen, ebenso der Automobilverkehr. Es gab noch keinen Flugverkehr und ein deutlich geringeres Handels- und damit Transportvolumen, nur wenige energieverbrauchende Haushaltsgeräte und weder Radio noch Fernsehen. Die elementaren Warnungen Ostwalds kamen, je nach Blickwinkel, zu früh oder zu spät. Zu früh, weil das Problem noch nicht unter den Nägeln brannte. Und zu spät, weil die fossile Energiewirtschaft schon fest etabliert war und auf die Politik, die Industrieunternehmen und nicht zuletzt auf die technologische Entwicklung entscheidenden Einfluss ausübte.
Die fossile Energiewirtschaft hatte schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine über hundert Jahre lange Geschichte, beginnend mit einer technologischen Revolution: der Dampfmaschine von James Watt. 1769 patentiert, wurde sie anfangs mit Holzkohle und dann mehr und mehr mit Steinkohle befeuert. Sie wurde zum Motor der industriellen Revolution, eingesetzt in der Industrieproduktion, dann in der Dampfschifffahrt und in Dampflokomotiven für die aufkommenden Eisenbahnen, und schließlich in Dampfkraftwerken, die noch heute die Technologie der meisten Großkraftwerke darstellen, von Kohle- bis zu Atomkraftwerken. Die Dampfmaschine begründete das Entstehen der modernen Energiewirtschaft, die zunächst eine Kohlewirtschaft war und sich dann zu einer Öl- und Gaswirtschaft ausweitete: zu einer Energieverbrennungswirtschaft. Nur eine zweite energietechnische Entwicklung hatte eine ebenso tief greifende Bedeutung: der Verbrennungsmotor, mit dem die Automobil-Revolution ausgelöst und der Flugverkehr möglich wurde. Aber auch diese Revolution richtete sich in ihrer technologischen Ausformung und Spezialisierung an den fossilen Energien aus, die bereits das Energieangebot stellten, was der fossilen Energiewirtschaft einen noch größeren Auftrieb gab. So gesehen hat eine Technologie für nunmehr zwei Jahrhunderte die Weichen gestellt, zufällig und in bester Absicht, jedoch mit unvorhergesehenen Kettenwirkungen.
Die Büchse der Pandora war geöffnet. Die Figur der Pandora symbolisiert in der griechischen Mythologie zusammen mit Prometheus das Energiedrama der Menschheit. Prometheus steht für einen neuen Energieentwurf oder die Suche danach, als derjenige, der das Feuer vom Himmel stahl und die Menschen lehrte, es zu gebrauchen. Der Göttervater Zeus betrachtete das als Frevel, weil den Menschen damit ein großes Unglück beschert wurde, ohne dass sie es in ihrer Begeisterung ahnten, und kettete Prometheus an einen Felsen. Da es aber nicht mehr möglich war, den Menschen das Feuer wieder wegzunehmen, wollte Zeus auch sie bestrafen. Er schuf die Figur der Pandora und schenkte ihr eine verschlossene Büchse, in der alle bösartigen Versuchungen enthalten waren. Diese verstreuten sich über die ganze Welt, als Pandora die Büchse neugierig öffnete. In der Büchse blieb nur die Hoffnung auf eine bessere Welt. Prometheus steht also für das vermessene Streben nach Möglichkeiten, die das menschliche Maß überschreiten, Pandora für die Verlockung, die sich daraus ergebenden Übel leichtsinnig freizusetzen.
Alle Sorgen, dass sich die Energieversorgung in umfassender und alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringender Weise auf endliche fossile Energievorkommen eingelassen hatte, wurden in den 1950er Jahren durch die Atomenergie zerstreut. Diese wurde als saubere und tendenziell spottbillige Alternative zu den versiegenden fossilen Energien gepriesen. Sie erschien als ein neues, menschengemachtes prometheisches