Eine außergewöhnliche Kraftanstrengung ist auch geboten, um den faktisch stattfindenden atomar-fossilen Krieg gegen die Lebenschancen der menschlichen Zivilisation zu beenden. Doch ist dies die einzige Analogie zu Roosevelts militärtechnischer Mobilmachung. Die Mobilisierung für den Energiewechsel bedarf gänzlich anderer Ansätze als des von Roosevelt gewählten, denn sie richtet sich gegen völlig andere Kontrahenten. Sie zielt auch auf die Produktion neuer Technologien, auf einen umfassenden wirtschaftlichen Strukturwandel, eine neue Kultur des Wirtschaftens unter neuartigen Rahmenbedingungen – und nicht auf staatsdirigistische Eingriffe in Unternehmensentscheidungen. Stattdessen zielt sie darauf, den strukturellen Dirigismus der konventionellen Energieversorgung außer Kraft zu setzen.
Vorbildlich ist Roosevelt jedoch mit dem Konzept der zielbewussten Bündelung aller notwendigen Kräfte mit unkonventionellen Methoden. Er wollte keine Situation zulassen, in der er hätte sagen müssen: »Leider können wir die Kriegsführung Japans und Hitler-Deutschlands nicht angemessen durchkreuzen, weil dies den bestehenden Wirtschaftsstrukturen zu viel abverlangt.« Genauso wenig dürfen wir die strategische Mobilisierung für den Energiewechsel davon abhängig machen, ob diese mit den der konventionellen Energieversorgung verhafteten Interessen und Strukturen vereinbar ist. Die nächste Generation, die mit den katastrophalen Folgen fossiler und atomarer Energien zurechtkommen muss, wird sich nicht mit der Entschuldigung besänftigen lassen: »Wir hätten sie durch den konsequenten Wechsel zu erneuerbaren Energien abwenden können, aber wir mussten auf entgegenstehende Interessen Rücksicht nehmen. Das war wichtiger. Wir bitten um Verständnis.«
Jede Strategie für den Energiewechsel verlangt, Hindernisse zu beseitigen, die jedoch von Land zu Land unterschiedlich sind. Aufgrund des jeweils unterschiedlichen natürlichen Angebots erneuerbarer Energien können die Gestaltungsschwerpunkte des Energiewechsels nicht weltweit die gleichen sein. Aus den Monokulturen der konventionellen Energieversorgung, die sich im internationalen Vergleich stark ähneln, entstehen verschiedenartige Multikulturen erneuerbarer Energien. Die strategische Mobilisierung erneuerbarer Energien muss schon deshalb vor allem eine einzelstaatliche sein – nicht aus engen nationalistischen Gründen, sondern weil sie sich auf das jeweilige natürliche Angebot erneuerbarer Energien sowie auf die jeweiligen Wirtschaftsstrukturen und Rechtsordnungen beziehen muss, die mit der konventionellen Energieversorgung vielfältig verquickt sind.
Hinzu kommen die sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstadien: Es gibt Entwicklungsländer, Schwellenländer und Industrieländer, Länder mit einem durchstrukturierten Strommarkt und solche, in denen nur spärliche Netze existieren. Es gibt Energieexport- und Energieimportländer, großflächige Länder mit geringer und kleinflächige mit hoher Siedlungsdichte. Für den durchgehenden Energiewechsel kann es also nicht eine Strategie geben, die auf alle übertragbar ist. Erfolgreiche Konzepte, wie etwa das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz, können zwar vielen Ländern zum Vorbild werden. Aber auch dies ist nur möglich, wo Netzinfrastrukturen bestehen – und nur, wenn es um Strom- oder Gaslieferungen geht. Einflächendeckender Ausbau eines Stromnetzes, woran es in vielen Entwicklungsländern fehlt, ist aber dort für die Mobilisierung der erneuerbaren Energien gar nicht mehr nötig und würde sie erheblich verzögern. Überdies geht es nicht allein um die Stromversorgung und um den Strommarkt, sondern auch um Fragen der Wärme- und Kraftstoffversorgung, um Marktordnung, Raumordnung, um das Bau- oder Steuerrecht, und nicht zuletzt um Fragen der jeweiligen politischen Handlungskompetenzen in unterschiedlichen Verfassungsordnungen.
Für jede politische Mobilisierungsstrategie zu erneuerbaren Energien sind zwei Handlungsgrundsätze von maßgeblicher Bedeutung:
– Zum einen muss über den konventionellen energiewirtschaftlichen Kalkulationsrahmen hinausgegangen werden, der sich nur auf aktuelle Kostenvergleiche zwischen konventionellen und erneuerbaren Energietechniken bezieht. Die größten volkswirtschaftlichen Kostenfaktoren der konventionellen Energieversorgung bleiben dabei in der Regel unbeachtet und tauchen in den Energiepreisen nicht auf, nämlich die Belastung der Zahlungsbilanz durch Energieimporte sowie Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschäden. Unberücksichtigt bleiben auch die über die Kraftwerks- oder Raffineriekosten hinausgehenden Infrastrukturkosten der konventionellen Energielieferkette. Das Maß der Dinge sind die volkswirtschaftlichen Vorteile, die sich durch erneuerbare Energien ergeben. Sie gelten jedoch nicht für alle Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen. Politische Konzepte zur Mobilisierung erneuerbarer Energien müssen deshalb die volkswirtschaftlichen Vorteile in einzelwirtschaftliche Anreize übersetzen. Diese Vorteile – und damit die eigenen volkswirtschaftlichen Spielräume für einen Energiewechsel – gehen aber verloren, wenn erneuerbare Energien aus anderen Ländern importiert würden, wo sie kostengünstiger produziert werden können. Volks- und regionalwirtschaftliche statt isolierter betriebswirtschaftlicher Kalkulationen müssen deshalb der Maßstab für Transformationsstrategien sein.
– Zum anderen muss durch eindeutige, vom höheren gesellschaftlichen Wert der erneuerbaren Energien legitimierte Vorrangregelungen gewährleistet sein, dass die konventionellen Energieangebote in dem Maße verdrängt werden, in dem der Beitrag der erneuerbaren Energien zur Energieversorgung wächst. Die Anpassung der Systemfunktionen der überkommenen Energieversorgung an die erneuerbaren Energien muss politisch sichergestellt werden. Für die etablierte Energiewirtschaft ist dies eine Zumutung, weil ihr diese Unterordnung schon abverlangt werden muss, wenn sie noch den überwiegenden Beitrag zur Energieversorgung leistet. Das Maß der Dinge darf nicht länger sein, wie viel erneuerbare Energien das konventionelle Energiesystem verträgt. Konkret bedeutet das, für die konventionelle Energieversorgung keine Neuinvestitionen mehr zu genehmigen, die eine mehrere Jahrzehnte dauernde Amortisationszeit erfordern. Nur dadurch kann verhindert werden, dass die Mobilisierung erneuerbarer Energien immer wieder von den Systemfunktionen der konventionellen Energieversorgung durchkreuzt wird. Deshalb passen weder neue Kohlegroßkraftwerke noch neue Atomkraftwerke oder verlängerte Laufzeiten in eine Strategie des Energiewechsels.
Beide Handlungsgrundsätze können nur mithilfe ordnungspolitischer Entscheidungen durchgesetzt werden. Die erste Grundsatzentscheidung sprengt den bisherigen energiewirtschaftlichen Betrachtungs- und Handlungsrahmen und macht aus einem geschlossenen Energieversorgungssystem ein offenes, das Spielräume für viele Initiatoren eröffnet. Die zweite ist auf das strukturkonservierende Interesse der Energiewirtschaft gerichtet. Sie zwingt diese, innerhalb des Energiewechsels selbst eine konstruktive Rolle zu übernehmen. Sie stellt diese vor die Frage, ob sie weiter um ihre Bestandserhaltung – noch ein paar Jahrzehnte bzw. eine Generation von Großanlagen mehr – kämpfen will, statt sich auf völlig neue Unternehmensperspektiven einzustellen, in anderem Format und mit anderen Schwerpunkten, auch jenseits ihres bisherigen Kerngeschäfts.
Der politische Raum ist der Hauptkampfplatz dieses strukturellen Energiekonflikts, was nicht zu trennen ist von dem Kampf um die öffentliche Meinung. Jeder Ruf nach einem Energiekonsens, in dem alle Energien ihren »berechtigten« Platz haben beziehungsweise zugewiesen bekommen, läuft auf einen quotierten und damit begrenzten Beitrag der erneuerbaren Energien hinaus. Die Träger des konventionellen Energiesystems wie auch seine Protektoren in politischen Institutionen und Parteien übersehen jedoch, dass es eine Entwicklungsdynamik zu erneuerbaren Energien gibt, die ab einem bestimmten Punkt der Verfügbarkeit der dafür erforderlichen Technologien weder von den Strukturen der konventionellen Energieversorgung noch von politischen Institutionen aufzuhalten ist, sondern allenfalls gebremst werden kann. Dies gilt zumindest für demokratische und marktwirtschaftliche Ordnungen.
Diese Dynamik bezieht sich vor allem auf solche Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien, die netzunabhängig sind und deshalb autonom eingesetzt werden können. Das herausragendste und bedeutsamste Beispiel dafür sind Gebäude, die sich selbst aus der natürlichen Umgebungsenergie mit Energie versorgen können. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine technologische Entwicklung etablierte Strukturen und politische Hindernisse unterminiert oder überrollt. Dies ist in der Energieversorgung allein mit erneuerbaren Energien möglich. Jede Strategie