1.4 Maxwells Theorie des Elektromagnetismus
Als James Clerk Maxwell mit der Arbeit an seiner Theorie des Elektromagnetismus begann, hatten Michael Faraday und andere bereits viele einzelne Aspekte der zugrunde liegenden Physik verstanden. Bei seinem Versuch, die zahlreichen bekannten Gesetze in einem Formalismus zu vereinen, entdeckte Maxwell eine mathematische Inkonsistenz zwischen den Gleichungen. Er löste das Problem, indem er seinen Gleichungen einen neuen mathematischen Term hinzufügte, der heute als Verschiebungsstrom bezeichnet wird. Dieser Term war im Labor schwer zu messen und daher bis zu diesem Zeitpunkt nicht entdeckt worden. Maxwell bemerkte schnell, dass seine um diesen Term vervollständigten Gleichungen die Existenz von Wellen aus elektrischen und magnetischen Feldern implizierten, die sich mit einer Geschwindigkeit bewegen sollten, die in etwa der zu diesem Zeitpunkt vermuteten Lichtgeschwindigkeit entsprach. Dies inspirierte Maxwell zu der Annahme, dass Licht nichts anderes als eine elektromagnetische Welle ist!3) Dies war ein weiterer schlagender Beweis für die Fähigkeit der mathematischen Logik, neue physikalische Phänomene vorherzusagen: Maxwells Korrektur ergab sich eher aus mathematischen als aus physikalischen Überlegungen. Seine Entdeckung einer einfachen mathematischen Inkonsistenz führte ihn zu der Schlussfolgerung, dass Licht aus elektrischen und magnetischen Störungen besteht, die sich durch den Raum ausbreiten – ein Triumph des menschlichen Denkens! Dies ist eines von unzähligen Beispielen, die zeigen, dass mathematische Prinzipien ausreichen können, um neue physikalische Gesetze zu begründen.
Die maxwellschen Gleichungen im Vakuum führen zu Gleichungen der Form
wobei F entweder das Magnetfeld B oder das elektrische Feld E bezeichnet. Die Lösungen dieser Gleichung sind elektromagnetische Wellen, die sich mit der Geschwindigkeit c, der Lichtgeschwindigkeit, ausbreiten.
Das war aber noch nicht das Ende der Geschichte, denn schnell tauchten neue Fragen auf. Wenn man die Maxwell-Gleichungen verwendet, stellt man fest, dass sich die von ihnen beschriebenen Wellen tatsächlich mit der Geschwindigkeit c ausbreiten. Aber wie muss c gemessen werden? Ist es die Geschwindigkeit relativ zur Erde? Oder zur Sonne? Und auf welche Art von Beobachter bezieht sich die Gleichung – nur auf ruhende oder auch auf bewegte? Wenn wir uns mit konstanter Geschwindigkeit relativ zu einem Inertialsystem bewegen, gelten weiterhin die newtonschen Gesetze, aber ein Beobachter, der sich in dieser Weise bewegt, würde selbstverständlich eine andere Geschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen messen. Zunächst glaubte man, dass c nicht für alle Inertialsysteme gleich sein könne, weil dies ganz offensichtlich dem Additionsgesetz für Geschwindigkeiten aus der newtonschen Mechanik widerspräche. Anders ausgedrückt fehlte den maxwellschen Gleichungen die Symmetrie der newtonschen Mechanik (ausgedrückt durch die Galilei-Transformation), welche besagt, dass sich die gemessenen Geschwindigkeiten entsprechend der Relativgeschwindigkeit zweier Inertialsysteme ändern, wenn man das Inertialsystem wechselt. Maxwells Gedankenblitz schien damit zumindest auf den ersten Blick zu einem Widerspruch zu führen.
Glücklicherweise betrat bald Hendrik Lorentz die Bühne und zeigte einen mathematischen Weg auf, bestimmte Symmetrien der Maxwell-Gleichungen aufzudecken, die sich von denen unterschieden, die man aufgrund der newtonschen Mechanik erwartetet hatte. Die Lorentz-Transformationen lehren uns, wie sich die elektrischen und magnetischen Felder sowie der Ort (x, y, z) und die Zeit t ändern, wenn wir das Bezugssystem wechseln. Das wiederum sorgte dafür, dass die maxwellschen Gleichungen für alle Inertialsysteme gleich aussahen. Mit anderen Worten, er entwickelte die Lorentz-Transformation, im Gegensatz zu der Galilei-Transformation aus der newtonschen Mechanik. Seine Formulierung hatte jedoch bizarre physikalische Implikationen wie beispielsweise die Lorentz-Kontraktion, die Schrumpfung von Längen beim Wechsel zwischen verschiedenen Inertialsystemen. Lorentz stellte insbesondere fest, dass die Schrumpfung der Längen notwendig war, damit die maxwellschen Gleichungen unabhängig von der Geschwindigkeit eines Beobachters relativ zu einem Inertialsystem funktionierten. Er hatte jedoch große Schwierigkeiten, diesen Befund zu erklären, da er erfolglos versuchte, den Effekt auf elektrische Kräfte und andere Begriffe zurückzuführen. Obwohl seine mathematische Theorie wunderbar funktionierte, war er nicht in der Lage, eine schlüssige physikalische Rechtfertigung zu liefern und dachte, sein Konstrukt sei nur auf die elektromagnetische Theorie anwendbar. Eine korrekte Interpretation dessen, was er gefunden hatte, konnte erst Albert Einstein liefern, der auf dieser Grundlage seine spezielle Relativitätstheorie entwickelte.
1.5 Aufbruch in die vierte Dimension: Relativitätstheorie
Auftritt Einstein. Albert Einstein schlug vor, dass das von Lorentz und anderen entdeckte Phänomen nicht spezifisch für den Elektromagnetismus war, sondern ganz allgemein galt. Eine der Konsequenzen dieses radikalen Gedankens war eine kompakte Beziehung zwischen Masse und Energie, die zu einer der bekanntesten Gleichungen in der Geschichte der Wissenschaft wurde:
Einsteins Theorie besagt, dass der Raum und insbesondere die Zeit, die stets als absolut und voneinander verschieden angesehen worden waren, in Wirklichkeit von der Geschwindigkeit des Beobachters abhängen. Darüber hinaus stellte er fest, dass die Lorentz-Transformation eine physikalische Transformation der Raumzeit ist und keinesfalls nur ein mathematischer Trick, der die Maxwell-Gleichungen konsistent macht. Dieser Gedanke stieß anfänglich auf einigen Widerstand unter Physikern, wurde aber inzwischen unwiderlegbar bestätigt. Einsteins spezielle Relativitätstheorie enthielt lineare Transformationen für den Wechsel von einem Inertialsystem zu einem anderen. Insofern war die spezielle Relativitätstheorie mathematisch recht einfach und vielleicht für den Geschmack mancher Physiker – zumindest was ihre mathematische Komplexität betraf – sogar ein wenig langweilig, da sie nur elementare lineare Algebra verwendete. Dies veranschaulicht die Tatsache, dass tiefe physikalische Ideen nicht notwendigerweise mit einem tiefen oder komplizierten mathematischen Formalismus einhergehen müssen; sie müssen nur auf einer selbstkonsistenten Mathematik beruhen.
Abb. 1.4 Nichteuklidische Geometrie: Wenn man Euklids Parallelenaxiom nicht voraussetzt, müssen sich die Innenwinkel von Dreiecken nicht unbedingt zu 180° addieren.
Einstein ging dann noch weiter und begann mit einer erneuten Untersuchung der newtonschen Gravitationstheorie. Georg Friedrich Bernhard Riemann hatte bereits einige Jahrzehnte zuvor eine neue, nach ihm benannte Form der Geometrie eingeführt. Die riemannsche Geometrie, wie der Ansatz genannt wurde, baut nicht auf Euklids fünftem Postulat (dem Parallelenaxiom) auf und lässt dadurch beispielsweise Dreiecke zu, deren Winkelsumme nicht 180° beträgt, sofern nur der Raum, in dem sie sich befinden, gekrümmt ist (siehe Abb. 1.4). Riemanns Doktorvater Johann Carl Friedrich Gauß hatte schon zuvor vermutet, dass solche Phänomene in der realen Welt auftreten und messbar sein könnten. Interessanterweise soll Gauß vorgeschlagen haben, dass unser Universum gekrümmt sei. Einer Legende (deren Wahrheitsgehalt unklar ist) zufolge versuchte er in seiner Zeit als Leiter der Hannoverschen Landesvermessung, die Krümmung des Raums zu messen, indem er drei Winkel eines Dreiecks bestimmte, dessen Scheitelpunkte die Gipfel dreier Berge waren (siehe Abb. 1.5). Er nahm dabei an, dass die Lichtstrahlen, die die Kanten des Dreiecks bildeten, gerade Linien waren, und untersuchte, ob die Winkel zwischen ihnen sich zu 180° addierten.