Panoramablick vom Torre Tavira über Cádiz
In Cádiz ist – abgesehen von freundlich grinsenden, mit Sonnenbrillen und Bongos bewaffneten afrikanischen Straßenhändlern – noch nicht viel vom Migrationsdrama zu sehen. So halte ich mich in Cádiz konsequent an meinen Plan, genieße das milde Klima nach dem deutschen Winter, esse zu viele Tapas und trinke den guten Wein. Solange es das alles noch gibt, bevor ich wirklich „in die Bütt“ muss.
Karnevalsständchen in der Altstadt
CEUTA/SPANIEN
Schon in Afrika – noch in Spanien
Nur eine Stunde braucht die Fähre vom spanischen Algeciras für die vierzehn Kilometer zum afrikanischen Festland. Ein Lidl-Werbebanner am Hafen von Ceuta ist der erste lesbare Gruß, mit dem mich Afrika empfängt. Nur noch 3.278 Kilometer nach Dakar/Senegal, 4.193 nach Conakry/Guinea, meine beiden grob anvisierten realistischen Fernziele.
In Sichtweite des Felsens von Gibraltar – dem britischen Stachel im spanischen Fleisch – besitzt auch Spanien zwei Exklaven auf dem afrikanischen Kontinent: Ceuta und Melilla. Einst kamen verfolgte Juden und Christen hierher. Heute steht hier eine Mauer, um die „Festung Europa“ zu sichern: Ein überdimensionierter Zaun macht den alten Kontinent schon auf afrikanischem Boden zum Bollwerk vor dem Ansturm afrikanischer Flüchtlinge.
Auch andere Skurrilitäten fristen hier ihr Dasein. Ceuta besitzt einen Freihafen, viele Dinge, wie Sprit oder Alkohol, sind subventioniert oder zollfrei. Das verleitet manchen marokkanischen Jugendlichen dazu, hier Party zu machen. Die Bewohner der angrenzenden marokkanischen Dörfer dürfen außerdem zollfrei Waren über die Grenze schaffen – so viel ein geschundener Körper tragen kann. Jegliches Fahrzeug ist verboten. Eine Butterfahrt ohne Schiff sozusagen. Meist erledigen die Frauen diesen harten Job. „Maultierfrauen“ werden sie genannt. Ich sehe gebeugte, ärmlich gekleidete Gestalten, die palettenweise Joghurt über die Grenze schleppen. Bis zu fünfzig Kilogramm Alkohol, Lebensmittel oder Beauty-Lotion sind eine normale Last im kleinen Grenzverkehr. Orthopäden oder Arbeitsschützer haben hier Pause. Die Spanier freuen sich derweil über die zusätzliche marokkanische Kaufkraft. Marokko entgehen zwar Zolleinnahmen in Millionenhöhe, die Bevölkerung freut sich jedoch über die günstige Schmuggelware. Warum das Ganze ewig so weiterlaufen kann? Wahrscheinlich, weil die „richtigen“ Leute mitverdienen, vielleicht weil dieses Geschäft eine Art Ventil ist? Wie überall auf der Welt bleibt nur der kleinste Teil des Profits bei den Lastenträgern selbst hängen. Das große Geld machen andere.
Heute, an einem Sonntag, ist wenig los im kleinen Grenzverkehr. Europa gibt sich keine Mühe ein einladendes Ambiente zu bieten. Ein verlotterter, mit Stacheldraht gekrönter Drahtzaun zieht sich in Doppelreihe bis ins Meer. Die landzugewandte Seite lässt sich auch nicht lumpen. Hinter weiteren Zäunen prägt ein steiniger, vegetationsloser Hügel das trostlose Bild. Fahrstraße und freies Schussfeld inklusive, wie es aussieht. Die ehemals innerdeutsche Grenze lässt grüßen. Auf dem Hügel finden sich alle paar Meter Militärposten. Von oben blicken hier und da neugierige Augen ins „gelobte Land“. Manchmal treffen sich an diesem Bollwerk mehrere hundert Menschen und versuchen die Grenzbefestigung zu stürmen. „Ceuta. Bienvenidos. Welcome. Bienvenue“. Dieser Gruß der EU gilt nur den Menschen mit dem richtigen Pass. Hunderte von Metern laufe ich in der Mittagshitze durch einen vergitterten Korridor, der mich an einen Hundezwinger erinnert, dahinter Afrika. Hier endet die Zone des Wohlstands. Als wäre die scharfe Abgrenzung noch nicht anschaulich genug, sammelt direkt hinter dem Zaun eine Afrikanerin in Lumpen lethargisch alte Pappen. Ein Bild der Hoffnungslosigkeit. Nach langen schattenlosen Metern Fußmarsch passiere ich endlich die Grenze, den marokkanischen Stempel im Pass.
Hier endet die EU: Altpapiersammlerin am Grenzzaun
TÉTOUAN & CHEFCHAOUEN/MAROKKO
Endlich Afrika
Gleich hinter den Kontrollen ist alles gut organisiert. Sammeltaxen, sogenannte „Grands Taxis“, warten auf die Grenzgänger. Für 1,70 € geht es zügig die knapp fünfzig Kilometer an der Mittelmeerküste entlang Richtung Tétouan. Komfortabel über breite palmengesäumte Boulevards, vorbei an endlosen weiß getünchten Resorts für marokkanische Sommerfrischler. In den anmutigen Pinienwäldern entlang der Küste leben seit vielen Jahren gestrandete Afrikaner fast unsichtbar, praktisch vogelfrei. Bis nach Europa haben sie es nicht geschafft, können aber nicht in ihre Heimat zurückkehren. Entweder weil das Geld fehlt, oft auch, weil die Schande zu groß ist, daheim als Versager angesehen zu werden. Wovon sie leben, ist mir schleierhaft. Die Staatsmacht lässt sie in Ruhe, solange sie sich nichts zuschulden kommen lassen, erzählt Ahmed, unser Chauffeur. In wilden Camps fristen kleine Gemeinschaften, fast unbemerkt von der marokkanischen Gesellschaft, ihr Dasein. Dort werden Kinder geboren, die ohne Schule aufwachsen, berichtet er.
Nichts davon sieht man auf der Fahrt an der Küste entlang. Links das Meer, rechts die eindrucksvolle Silhouette des Rif-Gebirges am Horizont. Bis in die Neuzeit war die Küste berüchtigt für ihre Seeräubernester. Nach der Vertreibung der letzten Muslime aus Spanien machten Korsaren von dieser Küste aus das Mittelmeer unsicher, erpressten Lösegelder und mischten im Sklavenhandel mit. Die Rif-Berge sind heute die Heimat der marokkanischen Drogenbarone. Marokko ist einer der größten Exporteure von Haschisch. Angeblich siebzig Prozent des in Europa verkauften Cannabis sollen aus dieser Gegend stammen. Jede Grünfläche, die nicht von einer Straße eingesehen werden kann, soll als Anbaufläche für Hanfpflanzen dienen, behaupten böse Zungen. Aus Publicity-Gründen steckt der marokkanische Staat ab und zu ein paar Felder in Brand, hat aber wohl den Kampf gegen die rebellischen Berber im Großen und Ganzen aufgegeben. Vor Nachtfahrten in den Bergen wird dringend gewarnt! Denn dann muss der Stoff irgendwie zur Küste, transportiert von rauen Gesellen, mit denen wohl nicht gut Kirschen essen ist. Dort wird die entspannende Droge in Boote nach Europa verladen. Nicht nur Flüchtlinge sind an dieser Küste illegal unterwegs.
Tétouans gute Stube: Pflasterornamente an der Place Feddan, im Hintergrund Teile der Medina
Spätestens in Tétouan habe ich Europa hinter mir gelassen. Die verwinkelten Gassen der Medina sind vollgestopft mit Menschen. Viele Männer tragen die Djellaba, den traditionellen Kapuzenmantel der Berber. Geschäftstüchtige Händler rufen Passanten im Souk ihre Angebote zu. Der männliche Teil der Bürger bevölkert Tee trinkend die Cafés und der Muezzin versucht sich Gehör zu verschaffen – hier besteht kein Zweifel mehr, dass diese Stadt eine nordafrikanische ist, der Maghreb erreicht ist.
„Es riecht so gut! Pass auf, dass du nicht geschnappt wirst, sie sind nämlich hinter dir her, du alter Kiffer!“, war in den 1980ern Nina Hagens fürsorglicher Rat. Nun ja, ernste Sorgen muss sich diesbezüglich in Chefchaouen, nur knapp siebzig Kilometer südlich von Tétouan, wohl