Im Eissturm der Amsel. Kerstin Groeper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kerstin Groeper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783941485976
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Trapper. Nur der Anführer mit seinen Soldaten hatte sich von Bord begeben. Währenddessen erreichte die Prozession das Dorf und wurde dort von Kleine-Krähe, dem Kriegshäuptling, begrüßt. Er freute sich sichtlich, einen so angesehen Krieger wiederzusehen. Alle verschwanden in der großen Behausung des Anführers, die von dessen jüngerem Bruder gehütet worden war. Auch der lächelte, obwohl ihm anzusehen war, dass er nicht ganz daran geglaubt hatte, seinen Bruder je wiederzusehen. Mit natürlicher Autorität forderte Sheke shote seine Rolle als Führer und angesehener Sprecher des Dorfes zurück. Der Anführer der Weißen trat mit einigen Männern hinein, während die anderen Männer draußen warteten. Es gefiel Mato-wea nicht, wie diese die Frauen und Kinder mit unverschämten Blicken musterten. Hatten sie denn nicht gelernt, den Blick höflich zu senken?

      Einige Kinder kletterten auf das Dach der Hütte und versuchten durch den Rauchabzug zu erhaschen, was da vor sich ging. „Sie rauchen die Pfeife!“, signalisierten sie. Dann hieß es: „Sie essen!“

      Geduldig warteten die Menschen darauf, dass der Heimkehrer zu ihnen sprechen würde. Es dauerte eine ganze Weile, doch dann trat Sheheke shote aus dem Erdhaus und richtete seine Worte an die Umstehenden. „Ich habe den Großen Weißen Vater im Osten des Landes besucht! Er sieht uns als seine Kinder, die er vor allem Bösen beschützen will. Ich habe viele Dinge gesehen, die so erstaunlich sind, dass ich sie kaum zu beschreiben vermag. Es kommen neue Zeiten auf uns zu, und es ist gut, wenn wir starke Verbündete haben. Ich verlasse mich auf das Wort des Großen Weißen Vaters, der Jefferson heißt. Er hat dafür gesorgt, dass ich wohlbehalten wieder zu meinem Volk zurückkehren konnte. Seht! All diese Krieger wurden geschickt, damit ich den langen Weg durch das Gebiet unserer Feinde machen kann. Einmal mussten wir schon umkehren, und viele ihrer Männer sind gefallen, als sie mich verteidigten. Ich sage euch: Das sind gute Menschen! Sie haben ihr Wort gehalten. Jean Chouteau und Andrew Henry sind nun meine Freunde, denn sie haben die Reise hierher geleitet. Es wird gut sein, in Zukunft mit ihnen Handel zu treiben.“

      Beifälliges Gemurmel antwortete ihm. Die Augen der Menschen blitzten erwartungsvoll, denn sie hofften auf interessante Geschichten. Sheheke shote winkte seine Frau heran, die einen seltsamen Behälter herbeischleppte. „Seht, was die Weißen mir gegeben haben!“

      Unter den staunenden Augen packte der Häuptling die seltsamsten Dinge aus: eine flache Scheibe, so klar wie das Wasser des Sees, in der man sein Antlitz sehen konnte; ein seltsamer Gegenstand, in dem ein kleiner Pfeil tickend auf Wanderschaft ging; Ketten aus seltsamem Material, die wunderschön glitzerten; eine Dose, aus der eine fremde Melodie erklang, wenn man sie öffnete. Stolz zeigte der Häuptling ihnen Decken, Stoffe, Kleidung, scharfe Messer und Beile; aber auch seltsame Mokassins – und ein Rohr, das immer länger wurde, wenn man daran zog.

      Einige Menschen wichen zurück, denn es erschien ihnen wohl wie Zauberei. Der Häuptling schien sich darüber zu amüsieren, denn er schwenkte den Gegenstand vor ihren Augen hin und her. „Das ist keine schlechte Medizin! Die Weißen vermögen Dinge zu vollbringen, die auch uns helfen werden. Sie schmieden Waffen in heißem Feuer, und sie haben Boote, die so groß sind wie ein ganzes Dorf!“

      Ungläubiges Gemurmel war zu hören, dann lachten einige Männer und schüttelten die Köpfe. Boote, so groß wie ein Dorf! So etwas konnten sie sich einfach nicht vorstellen. Alle warteten darauf, dass der Häuptling die Geschenke verteilen würde, doch Sheheke shote packte die Dinge wieder ein und ließ sie in die Hütte zurücktragen. Eisige Stille breitete sich aus, denn das war gegen die Tradition. Viele waren entsetzt, wie der Häuptling sich verändert hatte und schlugen einen Umhang vor ihr Gesicht.

      „Er wurde von den Weißen vergiftet!“, flüsterte die Tante. „Er weiß nicht mehr, was unsere Vorfahren uns gelehrt haben.“ Sie nickte ihrer Nichte zu, ihr zu folgen, und Mato-wea gehorchte schweigend.

      Auf dem Rückweg zu ihrer Hütte schloss sich auch Sisohe-wea an. „Hast du die Weißen gesehen?“, fragte sie aufgeregt.

      Mato-wea nickte leicht. „Ich habe sie gesehen. Warum?“ Sisohe-wea kicherte. „Ihre Kleidung!“

      Mato-wea fiel in das Lachen ein. „Ja, ich habe auch schon lachen müssen. Aber es ist nicht an uns, darüber zu urteilen. Wir sollten lieber zu den Feldern zurückgehen und den Mais ernten. Kommst du mit?“

      Sisohe-wea schüttelte den Kopf „Die Kleinen sind zuhause. Ich muss zurück!“ Hurtig machte sie sich auf den Weg und rannte ihrer Mutter voraus, als würde ihr mit Schrecken einfallen, dass sie vielleicht ihre Aufgaben vernachlässigt hatte. Die Mutter folgte ihr und erreichte fast gleichzeitig mit der Tochter das Erdhaus. Dort saßen die beiden Kinder brav auf ihren Schlafdecken und sahen ihnen mit großen Augen entgegen. Sie hatten wohl geschlafen und waren gerade eben erst wieder aufgewacht. Matowea setzte sich zu ihnen und ließ sich ebenfalls etwas zu essen geben. Sie hatte Hunger und wollte erst etwas essen, ehe sie auf das Feld ging.

      Die Großmutter setzte sich hinzu und nickte dem älteren Enkelkind auffordernd zu. „Ich achte auf die Kleinen, dann könnt ihr alle den Mais ernten.“

      Sisohe-wea nickte gehorsam, obwohl sie sichtlich zögerte. Sie war nicht faul, aber nach dem Angriff der Tituwan hatte sie Angst, das Dorf zu verlassen.

      Mato-wea drückte sie tröstend an sich. „Die Wächter passen doch auf. Keine Sorge!“

      „Ach, ich möchte so gern hören, was der Häuptling zu erzählen hat!“

      „Das wirst du! Heute Abend, wenn die Feuer brennen, wirst du die Geschichten hören. Sicherlich hat seine Frau auch viel zu erzählen. Warte nur, bis die Frauen zusammensitzen.“

      Schon leuchteten die Augen von Sisohe-wea wieder. „Ob sie auch von diesen riesigen Booten erzählt?“

      Mato-wea sah sie unsicher an. „Glaubst du, dass es so etwas gibt?“

      „Warum sollte er es sonst erzählen?“ Sisohe-wea blickte die Cousine verblüfft an. „Niemand denkt sich so etwas aus.“ Sie wedelte aufgeregt mit der Hand. „Stell dir vor, wir hätten solche Boote. Oder so eins, mit dem die Weißen hierhergekommen sind. Da wäre es leichter, das Treibholz aus dem Fluss zu ziehen.“

      Da musste ihr Mato-wea recht geben. Es war nicht ungefährlich, im Frühjahr, wenn das Hochwasser die entwurzelten Stämme brachte, mit ihren runden Bullbooten in den Fluss zu paddeln, um die Stämme ans Ufer zu ziehen und als Feuerholz zu trocknen. Ihre Boote waren ein Gerüst aus stabilen Zweigen, über die ein Bisonfell gezogen wurde. Sie waren weder wendig noch besonders sicher. Wenn eine größere Welle kam, kippten sie manchmal um oder liefen voll. Für die Jungen war es ein großer Spaß, doch immer wieder kam es vor, dass ein Junge in das Treibgut geriet und ertrank.

      Mato-wea schwieg, als sie an einem Stück Fleisch kaute. Ja, so ein großes Boot wäre keine schlechte Sache! Sie stand auf und folgte den beiden wieder auf das Feld. Jede Familie hatte ihr eigenes Feld, und so hatten sie bis zum Abend allen Mais abgeerntet und in das Erdhaus zurückgetragen. Ein Teil wurde am Kolben gelassen und getrocknet. Andere Körner wurden getrocknet und zu Mehl gemahlen. Das war schwere Arbeit, denn die Körner auf einem flachen Stein zu mahlen erforderte Geduld. All diese Arbeiten aber waren notwendig und wurden ohne zu klagen getan.

      Manchmal schlenderte einer der Soldaten oder Trapper vorbei, doch die Frauen ignorierten die Fremden. Die Männer blieben auf Abstand, denn offensichtlich hatte Jean Chouteau ihnen untersagt, die Frauen zu belästigen. Der Anführer der Soldaten begleitete den Häuptling, als dieser am Nachmittag die anderen Dörfer besuchte. Die Krieger hatten dem Häuptling sein bestes Pferd gebracht, und Sheheke shote hatte es mit wertvollem Zaumzeug und prächtigen Satteldecken geschmückt. Er sah aus wie bei einer Parade, als er all die Häuptlinge zu den bevorstehenden Verhandlungen einlud. Selbst Pose-cop-sa-he, was übersetzt ungefähr „Schwarze-Katze“ bedeutete, der Häuptling des Dorfes auf der anderen Seite des Missouri, war zugegen, um über die Handelsbeziehungen zu sprechen. Das Dorf hieß Roop-tarhee, und Lewis und Clark hatten es bereits vor Jahren besucht. Wahrscheinlich stammte der Name „Schwarze-Katze“ von einem Übersetzungsfehler, und sollte eher „Schwarzer-Puma“ heißen, oder irgendein Händler hatte schon früher den Mandan ein Kätzchen geschenkt.

      Die beiden Häuptlinge stritten um die Vormachtstellung