Im Eissturm der Amsel. Kerstin Groeper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kerstin Groeper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783941485976
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Ufer des schmalen Baches. Pierre atmete tief durch. Dort hatte er noch keine Spuren hinterlassen! Er war über den Hügel gekommen und hatte den Bach, eigentlich ein kleiner Nebenarm des breiten Yellowstone-Flusses, noch nicht erreicht. Das war vielleicht sein Glück, denn im Schnee konnte man seine Spuren nicht verwischen. Unter der Fichte lag kaum Schnee, sodass die ledernen Leggins und der warme Mantel aus dem Wollstoff der Hudson‘s Bay Company ihn etwas vor dem Frost schützten, der vom Boden aufstieg. Der Mantel war weiß und hatte im unteren Bereich und an den Ärmeln einen breiten roten Streifen. Er hatte ihn von einem französischen Trapper eingetauscht, der sonst weiter im Norden Handel mit den Assiniboine trieb. Im Moment wurden der untere Streifen verdeckt, weil er auf ihm lag, aber die Ärmel hätten ihn verraten können. Er hielt die Arme tief und hoffte, dass die Injuns das Rot nicht sahen. Mit seinen dunkelbraunen Augen beobachtete er die Indianer, dabei flogen seine Gedanken. Als fast mittelloser Sohn eines französischen Farmers in St. Louis hatte er mit sechzehn die Chance ergriffen, sich einer Brigade Trapper anzuschließen. Anfangs war ihm alles wie ein großes Abenteuer erschienen, doch das Leben hatte ihm gezeigt, dass das Fallenstellen seine Tücken hatte: Indianer und unberechenbare Wildnis. Inzwischen war er vierundzwanzig, und irgendwie hatte er noch immer keine Reichtümer ansammeln können. Er war ein Voyageur, ein Angestellter, der vertragsmäßig für einen Pelzhandelsposten arbeitete. Dieses Mal war er von Manuel Lisa, einem spanischen Bourgeois, wie die Bosse genannt wurden, angeheuert worden, der den Pelzhandel am Oberen Missouri etablieren wollte. Lisa finanzierte das Unternehmen und hatte Voyageure, Führer, aber auch erfahrene Soldaten angeworben, um in der Wildnis Handelsposten zu errichten. Der Pelzhandel brachte viel ein! Pierre schickte das meiste Geld seinen Eltern, die inzwischen außerhalb von St. Louis eine größere Farm bewirtschafteten, die er mal übernehmen sollte. Im Moment hoffte er nur, dass er hier lebend wieder rauskam. Vielleicht hätte er doch auf seine Mutter hören sollen, die ihn gebeten hatte, endlich sesshaft zu werden.

      Die Stimmen kamen wieder näher, und Pierre wusste, dass er dem Kampf nicht ausweichen konnte. Mit seiner Hand tastete er an die Seite seines Gürtels und zog das Beil hervor. Er hatte vielleicht noch den Vorteil der Überraschung! Er legte das Beil griffbereit und schob vorsichtig das Gewehr an seine Schulter. Wenn er mit dem ersten Schuss traf, hätte er gegen den zweiten Mann eine Chance. Zum Laden der Pistole blieb keine Zeit mehr. Jede weitere Bewegung, jedes Aufblitzen des Metalls oder Spannen würde ihn nur verraten. Merde! Wo kamen die beiden überhaupt her? Waren vielleicht noch mehr Rothäute in der Umgebung? Dann stand es schlecht um ihn. Die Pekuni waren nicht zimperlich, wenn sie einen weißen Trapper erwischten. Oft genug wurde aus den armen Kerlen Wolfsfutter gemacht. Pierre knirschte mit den Zähnen, als er kurz die Lage einschätzte. War das Pulver trocken? Würde das Gewehr schießen? Bisher hatte er sich auf seine „Dicky“, wie er seine Dickert Rifle liebevoll nannte, verlassen können. Es regnete nicht, und es blies auch kein heftiger Wind, der den Schuss hätte beeinflussen können. Die Waffe war in gutem Zustand. Er brauchte nur ein wenig Glück!

      Die beiden Indianer näherten sich langsam den Fichten, unter denen Pierre in Deckung gegangen war. Spätestens jetzt würden sie seine Spuren sehen! Er wusste, dass der Moment der Überraschung gleich vorbei wäre. Mit einem Satz richtete er sich in eine kniende Stellung auf, spannte den Hahn und drückte den Abzug. Der Hahn schlug auf die Pfanne, Funken stoben und in die Stille dröhnte ein ohrenbetäubender Knall. Rauch stieg auf, und für einen winzigen Moment konnte Pierre nichts mehr erkennen. Er ließ das Gewehr fallen, das ihm nun nichts mehr nützte, griff nach dem Beil, rollte sich zur Seite und sprang auf. Erst jetzt konnte er erkennen, dass er einen der Indianer getroffen hatte. Stöhnend wälzte sich dieser im Schnee, während der andere überrascht, aber durchaus schnell, zu seinen Waffen griff. Auch er hatte ein Gewehr in den Händen, das er nun zum Schuss anhob. Pierre hechtete zur Seite, fühlte einen Luftzug an seinem Kopf, dann rollte bereits das Echo des zweiten Schusses durch das Tal. Ehe der Indianer zum Denken kam, ging Pierre mit erhobenen Beil auf ihn los. Rücksichtslos hieb er auf den Kopf des Mannes ein und spaltete ihm den Schädel. Blut spritzte in den Schnee und traf auch Pierre, der mitleidlos zusah, wie der Mann zusammenbrach. Das Beil steckte so fest, dass er es stecken ließ und lieber seinen Dolch zog. Mit gezückter Klinge ging er zu dem verletzten Indianer, setzte ihm das blanke Metall an die Kehle und schnitt sie durch. Der Mann gurgelte und fasste sich mit den Händen an den Hals, während sein Blick die Augen von Pierre traf. Er erwartete kein Mitleid, so wie er selbst kein Mitleid empfunden hätte. Der weiße Trapper hatte ihm den Tod gebracht. Seine Augen brachen, als der Körper kraftlos in den Schnee sackte.

      Pierre richtete sich auf, zog das Tuch von seinem Mund und atmete tief durch. Sein Blut rauschte, und er hörte das Herz in seiner Brust pochen. Kurz ließ er seinen Blick durch das Tal schweifen, doch bis auf ein paar aufgeschreckte Krähen blieb es still. Er wartete, bis die schwarzen Vögel sich wieder in den Wipfeln der Bäume niedergelassen hatten, dann sammelte er seine Waffen ein und wischte das Blut ab. Er nahm sich die Zeit, sein Gewehr nachzuladen, ehe er sich den beiden Körpern zuwandte, die regungslos im Schnee lagen. Dieses Mal zog er sein Messer und nahm ihnen die Skalpe. Dann schleifte er die Körper unter die Zweige der Fichten, brach einige Äste ab und legte sie über die Leichen. Wolfsfutter!

      Zufrieden barg er das Gewehr des Indianers und sammelte die anderen Habseligkeiten ein. Er fand einen Köcher mit Pfeilen und einem Bogen, zwei schöne Messerscheiden samt Messern, Proviantbeutel und eine kleine Tasche mit Munition. Kaltblütig kehrte er zu den Leichen zurück und holte sich noch das Pulverhorn des einen Mannes. Er konnte sich Verschwendung nicht leisten. Dann überlegte er, wie die beiden hierhergekommen waren. Vielleicht fand er Pferde, wenn er die Spuren zurückverfolgte? Er musste vorsichtig sein, denn die alte Regel hieß: Wo ein Indianer war, konnten die anderen nicht weit sein!

      Wachsam machte er sich an die Verfolgung der Spuren. Es beunruhigte ihn, dass die Rothäute aus der Richtung des Forts gekommen waren. Es stand an der Mündung des Bighorn in den Yellowstone-Fluss, wo es von Manuel Lisa, erbaut worden war. Sie trieben dort Handel mit den Apsalooke, den Crow-Indianern, die den Weißen gegenüber wohlgesonnen waren, doch die Pekuni-Blackfeet machten ihnen das Leben schwer. Sie hatten schon mehrmals das Fort angegriffen und lauerten den Trappern auf, die in der einsamen Wildnis ihre Fallen aufstellten. Lisa zahlte die Männer nicht schlecht, wobei ein großer Teil des Verdienstes dazu verwendet wurde, die Schulden zu tilgen und neue Ausrüstung zu überhöhten Preisen einzukaufen. Pierre liebte das Abenteuer, aber irgendwann wollte er als gemachter Mann in die Zivilisation zurückkehren. Auf jeden Fall wollte er sich nicht von Indianern massakrieren lassen. Es war nur eine Gruppe von dreißig Männern über den Winter im Fort geblieben. Doch nach den vielen Angriffen waren die Männer mürbe geworden und hofften auf die Verstärkung im Frühjahr.

      Vorsichtig stapfte Pierre durch den Schnee und fluchte über die Schneeverwehungen, die manchmal über ruhendem Wasser lagen, sodass man plötzlich in eiskaltes Wasser trat. Das war gut für die Jagd, weil man Biber nur jagen konnte, solange die Flüsse nicht zugefroren waren, aber schlecht für die Ausrüstung. Es dauerte ewig, Stiefel oder gefütterte Mokassins zu trocknen. Der Blick über das Tal war frei, und Pierre erkannte, dass die beiden Indianer wohl allein gekommen waren. Er fand auch keine weiteren Spuren. Er selbst musste sich darüber keine Gedanken mehr machen, denn die Lage des Forts war bekannt. Es hatte keinen Sinn, etwa zu verbergen, was alle Welt inzwischen kannte. Abgesehen davon, dass das Fort ja gerade diesen Zweck hatte: mit den hiesigen Indianern Handel zu treiben. Pierre verließ die Spur, die die Pekuni hinterlassen hatten, und kürzte den Weg zum Fort ab. Aus der Ferne war leichtes Donnergrollen zu hören, ganz wie ein entferntes Gewitter, doch Pierre wusste, dass es sich um Gewehrfeuer handelte. Das Fort lag unter Beschuss!

      Er hastete über den sanften Hügel und warf sich zu Boden, um sich einen Überblick zu verschaffen. Der Handelsposten, auch Factory genannt, lag in einer Biegung des Bighorn-Flusses, kurz ehe er in den Yellowstone mündete. Auf einigen sanften Anhöhen wuchsen dunkle Fichten, doch im weiteren Umkreis um die Gebäude bis zum Ufer des Flusses standen nur wenige dürre Laubbäume, deren kahle Zweige sich gespenstisch in den Himmel erhoben. Der Handelsposten stand somit auf der großen Lichtung, die durch das Abholzen der Bäume zum Bau der Gebäude und Palisaden entstanden war. Ein größeres Gebäude diente als Handelsraum; die anderen Hütten waren für die Trapper und Händler bestimmt. Die Lage war günstig, weil der Posten von fast drei Seiten durch den Fluss geschützt war, der sich dort wie eine Schlange durch das Land wand. Jetzt