3. Inhalt des Sicherungsvertrags zwischen Gläubiger und Schuldner oder Interzessionar
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Ausgangspunkt der Willensübereinstimmung unter den Parteien (Gläubiger und Schuldner, aber auch ein Dritter und der Gläubiger, vorst. Rn. 66) ist es, die Verpflichtung zur Stellung der Sicherheit zu begründen, die causa des Bestellungsgeschäfts ist (vorst. Rn. 61, 69).
a) Der Sicherungszweck
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Umfang und Ausgestaltung dieser Verpflichtung, welcher der Anspruch des Gläubigers entspricht, richten sich nach dem Zweck, den die Parteien mit der Sicherheitenbestellung erreichen wollen. Vertragszweck ist nicht die Bestellung der Sicherheit schlechthin, sondern die Sicherung der Forderung, die der Schuldner noch nicht erfüllt hat. Die zu sichernde und nach Vollzug gesicherte Forderung ist das Maß des Vertragsinhalts und der Auslegung des Vertrags. Dieser Forderung dient die Sicherheit. Keine Sicherheit hat Bestand ohne Forderung. Der Zweck des Sicherungsvertrags ist der Sicherungszweck. Dieser begründet die treuhänderische Bindung nicht-akzessorischer Sicherheiten (vorst. Rn. 26, Buchholz, AcP 203 (2003), 786, 812).
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Der Sicherungszweck erschließt sich zuvörderst aus der Identität der gesicherten Forderung oder auch einer Mehrzahl davon. Nur wenn feststeht, welche Forderung es ist, die gesichert werden soll, kann beurteilt werden, ob sie erfüllt oder noch offen ist, so dass der Sicherungsfall eintreten könnte (nachf. Rn. 74). Der Sicherungszweck bestimmt die Rücksichtnahmen, die einen Gläubiger im Schuldverhältnis treffen. Aus ihm folgt die Entstehung, Veränderung und Beendigung von Vertragspflichten im Zeitablauf des Sicherungsverhältnisses. Ist der Sicherungsvertrag allerdings zugleich ein Verbrauchervertrag (§§ 13, 14, 310 Abs. 3 BGB) und wurde er in einer Haustür-(Außergeschäftsraum-)situation nach § 312b BGB abgeschlossen, hat der Verbraucher richtiger Ansicht nach das Widerrufsrecht aus § 355 BGB, durch dessen Ausübung die Bindung an die Vertragserklärung endet (unten Rn. 187).
b) Zeitablauf und Sicherungsfall
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Das Sicherungsverhältnis teilt sich in aufeinander folgende zeitliche Phasen, die der Dauer des Kreditverhältnisses, in dem die gesicherte Forderung begründet ist, folgen (Becker-Eberhard, Die Forderungsgebundenheit der Sicherungsrechte, S. 252). Das Sicherungsverhältnis beginnt mit der Begründung der Sicherheit (Begründungsphase). Solange die gesicherte Forderung nicht fällig ist, ruht das Sicherungsverhältnis im Hintergrund (vorst. Rn. 1) und erledigt sich, wenn der Schuldner erfüllt (Latenzphase). Die Erledigung des Sicherungszwecks begründet die Notwendigkeit, den Sicherungsgegenstand von der Last der Sicherungsfunktion zu befreien, ihn insbesondere wieder zurückzuführen (Abwicklungsphase). Im Nachhinein hatte sich gezeigt, dass der Gläubiger auf die Sicherheit nicht zurückzugreifen brauchte (vorst. Rn. 1). Erfüllt der Schuldner die gesicherte Forderung aber nicht, obwohl er sie erfüllen müsste, wird der latent gewesene Sicherungszweck virulent. Der Gläubiger darf auf die Sicherheit zugreifen, weil und soweit der Schuldner nicht leistet (Ausübungsphase). Der Sicherungsfall ist eingetreten. Der Gläubiger kann sich nun überlegen, ob er von seinem Recht auf Zugriff auf die Sicherheit Gebrauch macht, d.h. zur Verwertung des Sicherungsgegenstandes schreitet (Verwertungsphase). Sie kann bei einer als Sicherheit bestellten beweglichen Sache in deren freihändiger Veräußerung oder öffentlicher Versteigerung liegen, bei einer zur Sicherheit abgetretenen Forderung in deren Einziehung beim Schuldner dieser Forderung, bei einer Personalsicherheit in der, vielleicht klageweisen, Inanspruchnahme des Interzessionars. Sofern der Gläubiger aufgrund der Verwertung Leistungen erlangte, hat er mit dem Schuldner abzurechnen. Wie sich die Rechtsbeziehungen unter den Parteien in all diesen Phasen gestalten, kann dem Sicherungszweck entnommen werden (nachf. Rn. 92).
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Die Parteien können die sich aus dem Sicherungszweck ergebenden Rechtsverhältnisse ausdrücklich bestimmen, so dass sich allenfalls die Frage stellen kann, ob ein Sitten- oder Treueverstoß (§§ 138, 307 BGB) darin liegt, dass die ausbedungenen Vertragsbedingungen in unerträglicher Weise den Sicherungszweck missachten. Wo die Parteien keine ausdrücklichen Regelungen treffen, ist ihr rechtsgeschäftlicher Wille auf die Erreichung des Vertragszwecks gerichtet, was zugleich bedeutet, dass der Sicherungszweck dem Vertrag – mangels etwaiger entgegenstehender Anhaltspunkte im Einzelfall – konkludent zugrunde liegt und deshalb die Auslegung über Umfang und Ausgestaltung der Vertragspflichten in jeder seiner zeitlichen Phasen bestimmt.
aa) Rechtsverhältnisse bis zur Fälligkeit der gesicherten Forderung – Begründungsphase und Latenzphase
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In der Begründungsphase hat der Schuldner die Pflicht, das Pfandrecht zu bestellen resp. dem Gläubiger den Sicherungsgegenstand zu übertragen, also das Verfügungsgeschäft abzuschließen, z.B. eine bewegliche Sache nach § 929 BGB zu übereignen (s. auch unten Rn. 1261 a.E.) oder eine Forderung gemäß § 398 BGB abzutreten resp. für den Abschluss eines Personalsicherungsvertrags zu sorgen (vorst. Rn. 69). Der Gläubiger hat in dieser Phase keine Hauptpflicht, wohl aber die Nebenpflicht alles zu unterlassen, was gegen die Erreichung des Vertragszwecks gerichtet ist (nachf. Rn. 80). Erst im weiteren Verlauf des Sicherungsverhältnisses können den Gläubiger Rücksichtnahme- und Handlungspflichten treffen, z.B. bei nichtakzessorischen Realsicherheiten zur Rückgewährung des Sicherungsgegenstandes nach Wegfall des Sicherungszwecks (nachf. Rn. 82), zur bestmöglichen Verwertung (nachf. Rn. 92). Der Sicherungsvertrag ist mithin kein gegenseitiger Vertrag, auf den die Regelungen von §§ 320 ff. BGB anwendbar wären, aber im Falle nichtakzessorischer Sicherheiten auch nicht ein schlicht einseitig verpflichtender, sondern ein unvollkommen zweiseitiger Vertrag (aber kein Gesellschaftsvertrag nach § 705 BGB, weil der Sicherungszweck dem Interesse des Kreditgebers, aber nicht gemeinsamem Zweck dient, anders Wiegand, Die Sicherungsgesellschaft, 2006, S. 102). Bei akzessorischen Sicherheiten, wo nach Erledigung des Sicherungszwecks die Zuordnung des Sicherungsgegenstandes oder das Ende der Haftung aus dem Gesetz und ohne die Notwendigkeit rechtsgeschäftlichen Handelns folgt, ist der Sicherungsvertrag im Allgemeinen einseitig verpflichtend.
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(1) Da die Sicherheitenbestellung zweckgebunden ist, muss im Sicherungsvertrag zugleich der Sicherungszweck, also bestimmt werden, welche Forderung mit der Sicherheit gesichert werden soll. Die Parteien können den der Forderung unterworfenen Sicherungszweck stillschweigend oder durch ausdrückliche Sicherungszweckerklärung