Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.. Udo Schnelle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Udo Schnelle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846352298
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Norm jüdischen Lebens verteidigten (vgl. Sir 48,2; 1Makk 2,54.58). Der Eifer für die Tora als das hervorstechende Kennzeichen jüdischer Lebensweise war nicht nur militanten Zeloten zu eigen, sondern bestimmte auch die Essener (vgl. 1QS 4,5f.17f) und radikale Pharisäer wie Paulus. Die Art und Weise seines Vorgehens gegen die Christusgläubigen kennzeichnet Paulus mit dem Verb images (‚zerstören‘ Gal 1,13.23; Apg 9,21), das gewaltsame Aktionen vermuten lässt (vgl. Josephus, Bellum 4,405)107.

      Gründe für die Verfolgung

      Was veranlasste Paulus zu seiner Verfolgertätigkeit? Wahrscheinlich erschien dem für die Tora eifernden Pharisäer die Verkündigung der Christusgläubigen, ein Gekreuzigter sei der verheißene Messias Israels, als Skandalon108. Die Bedeutung des Kreuzes Jesu Christi innerhalb der paulinischen Theologie (vgl. z.B. 1Kor 1,17.18.23; 2,2.8; Gal 3,1; 5,11.14; 6,14; Röm 6,6; Phil 2,8; 3,18) lässt vermuten, dass Paulus den einstigen Anstoß zu einem Zentrum seiner Verkündigung machte. Nach Dtn 21,23 steht der ‚am Holz Aufgehängte‘ unter dem Fluch Gottes. In 11QTa 64,15–20 wird dieser Fluch auch auf die durch eine Kreuzigung Hingerichteten übertragen109. Die Proklamation des gekreuzigten vermeintlichen Gotteslästerers Jesus von Nazareth zum Messias Israels durch die Christusgläubigen war für Paulus unerträglich, stellte sie doch die Fundamente seines bisherigen Glaubens infrage. Gal 3,13 bestätigt diese Interpretation, denn hier verarbeitet der Christ Paulus Dtn 21,23LXX und gelangt zu der Einsicht: Christus hat den Fluch des Gesetzes/der Tora auf sich genommen und uns somit von diesem Fluch losgekauft. Nicht Gott verfluchte Christus, als Unschuldiger nahm Christus den Fluch des Gesetzes/der Tora für uns auf sich110. Die Vorstellung eines gekreuzigten Messias musste Paulus nicht nur absurd vorkommen, sondern stellte in seinen Augen auch eine Lästerung der Heiligkeit Gottes und damit eine Infragestellung des jüdischen Glaubens dar. Vor allem deshalb verneinte er die Existenzberechtigung der Jesus-Christus-Anhänger innerhalb des Synagogenverbandes. Hinzu kam wahrscheinlich eine organisatorische Eigendynamik, d.h. die Christusgläubigen wurden immer mehr zu einer identifizierbaren Gruppe, die durch ihre Rituale (Taufe, Abendmahl) und einen anhaltenden Zulauf die Grenzen des Judentums aus Sicht der Synagoge überschritt111.

      Die frühe Feindschaft der Sadduzäer und die Verfolgertätigkeit des Pharisäers Paulus zeigen, dass die von der Jerusalemer Gemeinde gelebte offene Variante des Judentums von Anfang an kritisch gesehen und bekämpft wurde. Das spätere Heraustreten der Christusgläubigen/der Christen aus dem Judentum war keineswegs ein einseitiger Prozess, sondern wurde immer auch von jüdischer Seite betrieben!

      Zu den ersten grundlegenden Institutionalisierungen der Christusgläubigen in Jerusalem (und Galiläa) gehörten Taufe und Herrenmahl. Weil Rituale Verdichtungen religiöser Weltansichten sind112, wurden Taufe und Herrenmahl zu Katalysatoren einer neuen Identität: Im Ritual vollzieht sich die theologische und soziale Konstruktion des neuen Menschen ‚in Christus‘113.

      GERHARD DELLING, Die Taufe im Neuen Testament, Berlin 1963. – NIKLAUS GÄUMANN, Taufe und Ethik, BEvTh 47, München 1967. – UDO SCHNELLE, Gerechtigkeit und Christusgegenwart. Vorpaulinische und paulinische Tauftheologie, GTA 24, Göttingen 21986. − GERHARD BARTH, Die Taufe in frühchristlicher Zeit, BThSt, 4, Neukirchen 1991. – LARS HARTMAN, Auf den Namen des Herrn Jesus. Die Taufe in den neutestamentlichen Schriften, SBS 148, Stuttgart 1992. – UDO SCHNELLE, Art. Taufe im NT, TRE 32, Berlin 2001, 663–674. – DAVID HELLHOLM/TOR VEGGE/CHRISTER HELLHOLM (Hg.), Ablution, Initiation and Baptism I–III, BZNW 176, Berlin 2011.

      Die Taufe Jesu am Jordan durch Johannes den Täufer (vgl. Mk 1,9–11par) dürfte erklären, warum von Anfang an in den frühchristlichen Gemeinden die Taufe als normativer Initiationsritus galt. Die rituellen Waschungen in Qumran (vgl. 1QS 2,25–3,12; 1QS 6,16f; 5,13), die Proselytentaufe (vgl. SifBam 108; bKer 9a) und die Waschungen in einzelnen Mysterienkulten (vgl. Apuleius, Metamorphosen XI 23) weisen einige Analogien auf, können aber nicht als geschichtliche Voraussetzung und Quelle für die frühchristliche Taufe angesehen werden.

      Nach Ostern setzte sich offenbar die Anschauung durch, dass die Ankündigungen des Täufers mit dem Geschehen um Jesus von Nazareth in unerwarteter Weise in Erfüllung gegangen sind. In dieser Kontinuität des eschatologischen Neuen ist der tiefste Grund für die Übernahme der Taufpraxis des Täufers in den frühen christlichen Gemeinden zu sehen. Die Kontinuität zur Johannestaufe zeigt sich in den charakteristischen Merkmalen frühchristlicher Taufpraxis: 1) Die frühchristliche Taufe ist keine Selbsttaufe, sondern wurde von einem Täufer vollzogen (vgl. 1 Kor 1,14.16; Apg 8,38; 10,48). 2) Wie die Johannestaufe war auch die Taufe der Christen ein einmaliger Akt und unterschied sich dadurch von rituellen Waschungen im antiken Judentum und im Hellenismus. 3) Wahrscheinlich wurde die frühchristliche Taufe wie die Johannestaufe durch Untertauchen im fließenden Wasser vollzogen (vgl. Apg 8,38; Did 7,1fl). 4) Die Taufe war wie die Johannestaufe eine Vergebung der Sünden (vgl. 1Kor 6,11; Apg 2,38) und hatte somit eine eschatologische und soteriologische Dimension.

      Taufe ‚auf den Namen‘

      Zugleich hob sich die Taufpraxis der Christusgläubigen in dreifacher Weise von der Johannestaufe ab: a) Sie versteht das Christusgeschehen als das eschatologische Heilsereignis, welches in der Taufe „auf den Namen des Herrn Jesus/im Namen Jesu Christi“ gegenwärtig ist. Mehrere alte formelhafte Wendungen belegen eine Taufpraxis, die dem ‚Namen Jesu‘ eine zentrale Bedeutung beimaß: images („auf den Namen des Herrn Jesus“ = Apg 8,16; 19,5; vgl. 1Kor 1,13.15; Gal 3,27; Röm 6,3; Mt 28,19); images („im Namen Jesu Christi“ = Apg 10,48; vgl. 1Kor 6,11); images („auf den Namen Jesu Christi“ = Apg 2,38). Eine exakte sprachliche Ableitung dieser formelhaften Wendungen gelingt weder aus dem paganen Hellenismus noch aus der LXX114. Vielmehr weisen ihre Variabilität und inhaltliche Breite darauf hin, dass sie als spezifisch frühchristliche Bildungen zu gelten haben, die in der Auferstehung Jesu Christi von den Toten ihre sachliche Begründung und im jeweiligen literarischen Kontext ihren Sinn finden. Als tragender Gedanke dürfte hinter allen Wendungen eine grundlegende Erfahrung liegen: Durch die Taufe auf den Namen Jesu wurde der Täufling dem Messias Jesus übereignet, in die messianische Heilsgemeinde aufgenommen und sakramental versiegelt im Blick auf das kommende Weltgericht. Im Aussprechen des Namens des images („Herrn Jesus Christus“) ist in der Taufe sein Heilswerk gegenwärtig und bestimmt von nun an das Leben des Getauften. b) Die frühchristliche Taufe ist mit der Gabe des Geistes verbunden. Die Erfahrung der Gegenwart des Geistes im Taufgeschehen markiert nicht nur eine Abgrenzung zur Johannestaufe, sondern das Zentrum christlicher Tauftheologie (vgl. Mk 1,8; Apg 1,5; 8,14–25; 9,17.18; 11,16; 1Kor 6,11; 12,13; 2Kor 1,21f; Gal 5,24.25; Röm 5,5; Joh 3,5). Der Geist trennt von der Macht der Sünde, gewährt Gerechtigkeit (vgl. 1Kor 1,30; 6,11; Röm 3,25) und bestimmt das neue Leben als wirkmächtige Kraft Gottes (vgl. Röm 8,1–11). c) In der Taufe vollzieht sich die Aufnahme in die eschatologische Heilsgemeinde. Die Getauften leben von nun an in der Einheit des Leibes Christi (1Kor 12,13) und haben bereits Anteil an den Kräften der kommenden Welt (vgl. 2Kor 1,22; 5,5; Röm 8,23).

      Die Unterscheidung einer (Johannes-) Taufe mit Wasser und einer Geisttaufe (vgl. Apg 1,5; 11,16; 18,25; 19,3–6) dient Lukas zum Aufweis der heilsgeschichtlichen Überlegenheit der christlichen Taufe. Ihm kommt es darauf an, im Rahmen der Missionserfolge der jungen Kirche den festen Zusammenhang zwischen der Taufe ‚auf den Namen Jesu‘, Geistempfang, Sündenvergebung (Apg 2,38; 22,16) und Einheit der apostolischen Kirche darzustellen. Es ist für ihn selbstverständlich, dass die zum Glauben Gekommenen sich sofort taufen lassen (vgl. Apg 2,41; 8,12.13.26–40; 9,18; 10,47f; 16,33; 18,8; 22,16). Offenbar