Gründe für die Verfolgung
Was veranlasste Paulus zu seiner Verfolgertätigkeit? Wahrscheinlich erschien dem für die Tora eifernden Pharisäer die Verkündigung der Christusgläubigen, ein Gekreuzigter sei der verheißene Messias Israels, als Skandalon108. Die Bedeutung des Kreuzes Jesu Christi innerhalb der paulinischen Theologie (vgl. z.B. 1Kor 1,17.18.23; 2,2.8; Gal 3,1; 5,11.14; 6,14; Röm 6,6; Phil 2,8; 3,18) lässt vermuten, dass Paulus den einstigen Anstoß zu einem Zentrum seiner Verkündigung machte. Nach Dtn 21,23 steht der ‚am Holz Aufgehängte‘ unter dem Fluch Gottes. In 11QTa 64,15–20 wird dieser Fluch auch auf die durch eine Kreuzigung Hingerichteten übertragen109. Die Proklamation des gekreuzigten vermeintlichen Gotteslästerers Jesus von Nazareth zum Messias Israels durch die Christusgläubigen war für Paulus unerträglich, stellte sie doch die Fundamente seines bisherigen Glaubens infrage. Gal 3,13 bestätigt diese Interpretation, denn hier verarbeitet der Christ Paulus Dtn 21,23LXX und gelangt zu der Einsicht: Christus hat den Fluch des Gesetzes/der Tora auf sich genommen und uns somit von diesem Fluch losgekauft. Nicht Gott verfluchte Christus, als Unschuldiger nahm Christus den Fluch des Gesetzes/der Tora für uns auf sich110. Die Vorstellung eines gekreuzigten Messias musste Paulus nicht nur absurd vorkommen, sondern stellte in seinen Augen auch eine Lästerung der Heiligkeit Gottes und damit eine Infragestellung des jüdischen Glaubens dar. Vor allem deshalb verneinte er die Existenzberechtigung der Jesus-Christus-Anhänger innerhalb des Synagogenverbandes. Hinzu kam wahrscheinlich eine organisatorische Eigendynamik, d.h. die Christusgläubigen wurden immer mehr zu einer identifizierbaren Gruppe, die durch ihre Rituale (Taufe, Abendmahl) und einen anhaltenden Zulauf die Grenzen des Judentums aus Sicht der Synagoge überschritt111.
Die frühe Feindschaft der Sadduzäer und die Verfolgertätigkeit des Pharisäers Paulus zeigen, dass die von der Jerusalemer Gemeinde gelebte offene Variante des Judentums von Anfang an kritisch gesehen und bekämpft wurde. Das spätere Heraustreten der Christusgläubigen/der Christen aus dem Judentum war keineswegs ein einseitiger Prozess, sondern wurde immer auch von jüdischer Seite betrieben!
5.5 Theologische Institutionen und Diskurse
Zu den ersten grundlegenden Institutionalisierungen der Christusgläubigen in Jerusalem (und Galiläa) gehörten Taufe und Herrenmahl. Weil Rituale Verdichtungen religiöser Weltansichten sind112, wurden Taufe und Herrenmahl zu Katalysatoren einer neuen Identität: Im Ritual vollzieht sich die theologische und soziale Konstruktion des neuen Menschen ‚in Christus‘113.
GERHARD DELLING, Die Taufe im Neuen Testament, Berlin 1963. – NIKLAUS GÄUMANN, Taufe und Ethik, BEvTh 47, München 1967. – UDO SCHNELLE, Gerechtigkeit und Christusgegenwart. Vorpaulinische und paulinische Tauftheologie, GTA 24, Göttingen 21986. − GERHARD BARTH, Die Taufe in frühchristlicher Zeit, BThSt, 4, Neukirchen 1991. – LARS HARTMAN, Auf den Namen des Herrn Jesus. Die Taufe in den neutestamentlichen Schriften, SBS 148, Stuttgart 1992. – UDO SCHNELLE, Art. Taufe im NT, TRE 32, Berlin 2001, 663–674. – DAVID HELLHOLM/TOR VEGGE/CHRISTER HELLHOLM (Hg.), Ablution, Initiation and Baptism I–III, BZNW 176, Berlin 2011.
Die Taufe Jesu am Jordan durch Johannes den Täufer (vgl. Mk 1,9–11par) dürfte erklären, warum von Anfang an in den frühchristlichen Gemeinden die Taufe als normativer Initiationsritus galt. Die rituellen Waschungen in Qumran (vgl. 1QS 2,25–3,12; 1QS 6,16f; 5,13), die Proselytentaufe (vgl. SifBam 108; bKer 9a) und die Waschungen in einzelnen Mysterienkulten (vgl. Apuleius, Metamorphosen XI 23) weisen einige Analogien auf, können aber nicht als geschichtliche Voraussetzung und Quelle für die frühchristliche Taufe angesehen werden.
Nach Ostern setzte sich offenbar die Anschauung durch, dass die Ankündigungen des Täufers mit dem Geschehen um Jesus von Nazareth in unerwarteter Weise in Erfüllung gegangen sind. In dieser Kontinuität des eschatologischen Neuen ist der tiefste Grund für die Übernahme der Taufpraxis des Täufers in den frühen christlichen Gemeinden zu sehen. Die Kontinuität zur Johannestaufe zeigt sich in den charakteristischen Merkmalen frühchristlicher Taufpraxis: 1) Die frühchristliche Taufe ist keine Selbsttaufe, sondern wurde von einem Täufer vollzogen (vgl. 1 Kor 1,14.16; Apg 8,38; 10,48). 2) Wie die Johannestaufe war auch die Taufe der Christen ein einmaliger Akt und unterschied sich dadurch von rituellen Waschungen im antiken Judentum und im Hellenismus. 3) Wahrscheinlich wurde die frühchristliche Taufe wie die Johannestaufe durch Untertauchen im fließenden Wasser vollzogen (vgl. Apg 8,38; Did 7,1fl). 4) Die Taufe war wie die Johannestaufe eine Vergebung der Sünden (vgl. 1Kor 6,11; Apg 2,38) und hatte somit eine eschatologische und soteriologische Dimension.
Taufe ‚auf den Namen‘
Zugleich hob sich die Taufpraxis der Christusgläubigen in dreifacher Weise von der Johannestaufe ab: a) Sie versteht das Christusgeschehen als das eschatologische Heilsereignis, welches in der Taufe „auf den Namen des Herrn Jesus/im Namen Jesu Christi“ gegenwärtig ist. Mehrere alte formelhafte Wendungen belegen eine Taufpraxis, die dem ‚Namen Jesu‘ eine zentrale Bedeutung beimaß:
Die Unterscheidung einer (Johannes-) Taufe mit Wasser und einer Geisttaufe (vgl. Apg 1,5; 11,16; 18,25; 19,3–6) dient Lukas zum Aufweis der heilsgeschichtlichen Überlegenheit der christlichen Taufe. Ihm kommt es darauf an, im Rahmen der Missionserfolge der jungen Kirche den festen Zusammenhang zwischen der Taufe ‚auf den Namen Jesu‘, Geistempfang, Sündenvergebung (Apg 2,38; 22,16) und Einheit der apostolischen Kirche darzustellen. Es ist für ihn selbstverständlich, dass die zum Glauben Gekommenen sich sofort taufen lassen (vgl. Apg 2,41; 8,12.13.26–40; 9,18; 10,47f; 16,33; 18,8; 22,16). Offenbar