Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik. Michael Bohnet. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Bohnet
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783846351383
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heute darstellt, besteht in der Verbindung des Impulses christlicher Liebe, christlicher Solidarität mit rationalem und pragmatischem Handeln zugunsten der Armen. Die Kirchen waren somit auch die Wegbereiter der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Daran gilt es zu erinnern.

      Dr. Günther OldenbruchOldenbruch, Günther (†)

      Von 1967 bis 1999 Leiter der Zentralstelle für Auslandskunde der DSE. Lehrbeauftragter an der Universität Potsdam und an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl. Seit 1999 Vorsitzender des Bonner Chapter der Society for International Development (SiD).

      Der lange Weg zum Uhlhof – die Vorbereitungsstätte der DSE

      Im Frühjahr 1956 verbrachte ich auf Einladung einer ägyptischen Familie drei Monate in Ägypten. Ohne mich sonderlich auf diese Zeit vorzubereiten, trank ich das Wasser, aß, was auf den Tisch kam, lebte völlig integriert in dieser Familie. Die Amöbenruhr war mir sicher. Die Frau meines Gastgebers war Leiterin der Ballettfakultät. Als ich mich in eine ihrer Sportlehrerinnen verliebte, wies sie mich darauf hin, dass, wenn ich „so weitermachte“, ich sie heiraten müsste. Das sei hier so üblich. Und ich hatte plötzlich das unendliche Bedürfnis nach einem deutschen Essen.

      Später übersetzt in die Kategorien von „Vorbereitung für eine Tätigkeit in Entwicklungsländern“ hieß das „Kenntnis über und Respekt vor der anderen Kultur“ und „Kenntnis der eigenen kulturellen Prägung als Voraussetzung für eine gelingende interkulturelle Kommunikation“.

      Ich bewarb mich um ein Promotionsstipendium beim DAAD. Die Fragen des Kunsthistorikers Prof. Lützeler, des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses, über Indien habe ich anscheinend nicht so richtig beantwortet, was ihn zu der Schlussfrage veranlasste, ob ich denn wohl wenigstens (!) den Unterschied zwischen Hinduismus und Christentum kennen würde. Wenn schon nicht vorbereitet, dann wenigstens forsch: „Ich bin DiplomKaufmann und fahre ja deswegen dorthin.“

      Wir trafen uns wenige Wochen später auf einem Frachtdampfer von Rotterdam nach Indien wieder. In den vier Wochen der Reise waren Lützeler und ich sehr auf einander angewiesen. Und ich lernte viel. Und ich kam gut vorbereitet in Indien an.

      Ich verbrachte einige Tage im „German Social Center“ des Stahlwerks Rourkela. Ein wichtiges Thema: Wie muss und kann man die deutschen Fachkräfte auf diese Arbeit vorbereiten?

      Die Deutsche Stiftung für EntwicklungsländerDeutsche Stiftung für Entwicklungsländer war 1959 zur Erhöhung der BerlinPräsenz des Bundes in Berlin gegründet worden. Ich lernte ihren Ableger „Auslandkunde“ in Bonn kennen. Und habe in der Folge ca. 30 einwöchige Kurse für RourkelaPersonal durchgeführt.

      Als dieser Ableger einen neuen Chef brauchte, machte ich das Rennen. Und stellte mich einschlägig im BMZ vor. Dort musste ich die Frage beantworten, was ich denn von solch einwöchigen Kursen hielte: „Nicht viel“. „Wie lange müsste denn eine sorgfältige Vorbereitung dauern?“ „Drei Monate – mit Sprache“. „Dann machen Sie doch mal einen Vorschlag“: Dieser wurde angenommen.

      Die dreimonatige Vorbereitung in der neu der DSE zur Verfügung gestellten alten Villa Mauser, dem Uhlhof, in Bad Honnef hatte das Licht der Welt erblickt.

      Womit die Konflikte begannen. Der Höhepunkt: Vier Wochen nach Beginn ihrer Vorbereitung erklärte eine Teilnehmerschaft die Vorbereitung für beendet. Unser Bild von Entwicklungsländern und Entwicklungshilfe war nicht das ihre. Dort wollten sie nicht hin.

      Erst mit der von BM EpplerEppler, Erhard am 11. Februar 1971 vorgestellten „Entwicklungspolitischen Konzeption für die zweite Entwicklungsdekade“ bekamen wir Boden unter die Füße: Entwicklungshilfe dient nicht nur dem wirtschaftlichen Wachstum, sondern auch dem sozialen Fortschritt. Es war ein mühseliger Anfang.

      3 Entwicklungspolitik im Dienste der Deutschlandpolitik

      Minister: Walter ScheelScheel, Walter (1961–1966)

Walther Scheel * 1919 †2016

      ❋ Beschreibung und Wertung

      Als „Geburtstag“ des BMZ gilt der 14. November 1961, der Tag, an dem Walter ScheelScheel, Walter mit 42 Jahren im Kabinett von Bundeskanzler Konrad AdenauerAdenauer, Konrad zum ersten Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ernannt wurde – übrigens gegen massive Bedenken von Ludwig ErhardErhard, Ludwig.1 Für Walter ScheelScheel, Walter sprachen verschiedene Faktoren: Zum einen war er im Europaparlament seit 1958 Vorsitzender des Entwicklungshilfeausschusses und brachte von dorther die erforderliche fachliche Kompetenz mit, zum anderen war er der prominenteste Sprecher der FDP in Sachen Entwicklungspolitik2, und schließlich spielten koalitionspolitische Gesichtspunkte eine wichtige Rolle.3 AdenauerAdenauer, Konrad, den die FDP im Wahlkampf aufs Altenteil schicken wollte, brauchte, um die Widerspenstigen doch noch ins Boot zu holen, ein Ministerium für Walter ScheelScheel, Walter. Anekdoten zufolge soll ScheelScheel, Walter selbst nicht zuletzt deshalb an einem Amt des Entwicklungshilfeministers gelegen haben, weil er sich ein Ressort wünschte, das ein überschaubares Maß an Aktenarbeit und viele Auslandreisen mit sich brachte.4

      Wenn der damalige Kanzler AdenauerAdenauer, Konrad dem Minister Walter ScheelScheel, Walter, der auf Einrichtung dieses Ministeriums gedrungen hatte, eine „Dorne ohne Rosen“ verhieß5, so lag das vor allem an den Kompetenzüberschneidungen, die die Arbeit des Ministeriums erschwerten.

      Der Aufbau des neuen Hauses selbst begann zunächst im Bundeshausrestaurant. Ehe die Bundestagsadministration ScheelScheel, Walter ein Ministerbüro zur Verfügung stellen konnte, tagte der Ressortchef mit seinen Mitarbeitern an einem Esstisch. Erst nach einigen Wochen konnte man in mehreren Räumen der Amerikanischen Botschaft und anschließend in eine Baracke auf dem Gelände des Finanzministeriums umziehen.6 Das BMZ nahm mit 34 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seine Arbeit auf. Ein eigenständiges Ministerium für Entwicklungsaufgaben – das war ein Novum in ganz Europa. Die Tatsache, dass ScheelScheel, Walter trotz aller widrigen Umstände in kurzer Zeit einen Stab hervorragender Fachleute zusammen bekam, hatte eine Ursache wohl auch in den Aufstiegschancen, die ein neues Ministerium nun einmal zu bieten hat.7

      Bei der bilateralen Hilfe gab es zwei wichtige Stränge: mit der KapitalhilfeKapitalhilfe, meist zinsgünstige Kredite, wurden überwiegend große Infrastruktur und Industrievorhaben finanziert (Häfen, Flughäfen, Straßen, Staudämme, Wasserkraftwerke, Stahlwerke, Düngemittelfabriken, Zementfabriken etc.). Neben dieser Projekthilfe wurden in begründeten Einzelfällen auch Kredite bewilligt, um die Einfuhr dringend benötigter Rohstoffe, Maschinen und Ersatzteile zu finanzieren (Warenhilfe). Bei der Technischen HilfeTechnische Hilfe (Zuschüsse) standen technischgewerbliche Ausbildungsstätten, Mustereinrichtungen und Demonstrationsprojekte im Vordergrund.

      Nach dem Bundeskanzlererlass vom 29. Januar 1962 oblag dem BMZ im Wesentlichen die Koordinierung der Entwicklungshilfepolitik des Bundes. Die fachliche Zuständigkeit für Kapitalhilfe und Technische Hilfe als auch der Vorsitz und die Geschäftsführung der interministeriellen Referentenausschüsse für Kapitalhilfe und Technische Hilfe blieben dem BMWi und dem AA überlassen. Mit der Durchführung der Technischen Hilfe betraute das AA die „Treuarbeit“, die Deutsche Revisions und Treuhand GmbH, die sog. GAWiGAWi. Das Kürzel war vom Vorkriegsnamen der Organisation „GarantieAbwicklungsGesellschaftGarantieAbwicklungsGesellschaft“ übrig geblieben.8 Mit der Durchführung der Kapitalhilfe betraute das BMWi die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Mit anderen Worten: Das BMZ erhielt in summa nur das Recht, über alle Vorgänge auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik informiert zu sein.9

      Die Koordinierungsprobleme bei der Entwicklungshilfe verschärften sich 1962/1963 weiter. Einem Gutachten des BundesrechnungshofBundesrechnungshofs vom Dezember 1963 zufolge war die Entwicklungshilfe schließlich auf 16 Ressorts mit zusammen 231 Referaten in der Ministerialbürokratie verteilt. In den interministeriellen Referentenausschüssen für Kapitalhilfe und Technische Hilfe befanden