Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik. Michael Bohnet. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Bohnet
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783846351383
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für die Zukunft setzen wir uns durch.

      Prof. Peter MoltMolt, Peter

      1960–1966 Leiter der Politischen Akademie Eichholz, später in verschiedenen Positionen der Entwicklungszusammenarbeit tätig, u.a. als UNDP-Resident Representative in Togo und Burkina Faso, und Honorarprofessor für Entwicklungspolitik an der Universität Trier

      Die Geburt der Auslandsarbeit der Politischen Stiftungen, eines weltweit einzigartigen Dialoginstruments

      Wenige Tage, nachdem der Bundeskanzlererlass vom 29. Januar 1962 die Zuständigkeiten des neuen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit geregelt hatte, sah sich der Interministerielle Lenkungsausschuss, in dem auch in Zukunft über die Vorhaben der Entwicklungshilfe entschieden werden sollte, mit der Frage konfrontiert, in welcher Weise außer den kirchlichen Hilfswerken Misereor und Brot für die Welt auch weitere nicht-staatliche Einrichtungen bei der Gestaltung der Entwicklungspolitik berücksichtigt werden sollten. In seiner 34. Sitzung am 16.2.1962, die zum ersten Mal unter dem Vorsitz des neuen Ministers, Walter ScheelScheel, Walter, stand und, da das neue Ministerium noch keinen Amtssitz hatte, im Bundeskanzleramt stattfand, wurde der Ausschuss unter TOP 5 überraschend mit einer Vorlage des Auswärtigen Amtes konfrontiert, das einen Antrag der Politischen Akademie EichholzPolitische Akademie Eichholz e.V. vorlegte, mit dem die Unterstützung eines Instituts für politische Bildung in Caracas/Venezuela beantragt wurde.

      Zur Begründung des Antrags teilte das Auswärtige Amt mit, dass das Bundeskanzleramt in dem Vorhaben einen neuen Weg zur Heranbildung einer demokratischen Führungselite in den Entwicklungsländern sehe und das Projekt dafür ein Modellfall sei. Zwar hatte das Auswärtige Amt schon zuvor internationale Seminare der Friedrich-Ebert-StiftungFriedrich-Ebert-Stiftung „zur geistigen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus“ finanziell unterstützt, aber die Tätigkeit nicht-staatlicher Organisationen in Zusammenarbeit mit ausländischen Organisationen sei, zusammen mit der Finanzierung von Projekten der kirchlichen Werke, für die sich Bundeskanzler AdenauerAdenauer, Konrad schon zuvor eingesetzt hatte, ein „erstmaliger“ Vorgang.1

      Die Initiative AdenauersAdenauer, Konrad, der einen deutschen Beitrag zu einem sozialreformerischen und demokratischen Weg Lateinamerikas leisten wollte, war der Beginn der Auslandsarbeit der Politischen Stiftungen. Jüngere Politiker der CDU und SPD unterstützten die Initiative, die beginnende deutsche Entwicklungspolitik um diese Dimension zu erweitern. Am 2. Mai 1962 wurde der Geschäftsführer der Friedrich-Ebert-StiftungFriedrich-Ebert-Stiftung Günter GrunwaldGrunwald, Günter und ich als Leiter der Politische Akademie EichholzPolitische Akademie Eichholz zu einer Besprechung mit dem Interministeriellen Referentenausschuss für Technische Hilfe eingeladen. Wir schieden mit dem Eindruck, dass sich für die politische Absicherung und haushaltsrechtlichen Fragen der zukünftigen Auslandsarbeit der politischen Stiftungen eine Lösung finden lasse.2 Daraus entstand dann in der Folge der Haushaltstitel des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit „Förderung der gesellschaftspolitischen Erziehung in den Entwicklungsländern“ (heute „Entwicklungspolitische Arbeit der Politischen Stiftungen“) und ein bis heute weltweit einmaliges Instrument zum politischen Dialog mit den führenden politischen und kulturellen Persönlichkeiten der Entwicklungsländer.

      Dr. Martin GreiffGreiff, Martin

      Im BMZ von 1963 bis 2000 tätig (seit 1972 Referatsleiter „Welternährung“, Organisation, Südliches Afrika, Forschung, Ostasien), davor: Studienstelle der früheren Deutschen Stiftung für Entwicklungsländer in Berlin und Bonn.

      KennedyKennedy, John F., AdenauerAdenauer, Konrad und LübkeLübke, Heinrich geben sich die Ehre

      Aufgeregt drängten sich zahlreiche junge Menschen an diesem Tag im Juni 1963 an das Geländer der Treppe zum Obergeschoss des Bundespräsidialamts, um nichts von der Zeremonie zu versäumen, die sich gleich im Erdgeschoss abspielen sollte. Dort stand im Foyer der Villa Hammerschmidt ein großer Tisch mit zwei Exemplaren des zu unterzeichnenden Dokuments samt Füllern.

      Nach einiger Zeit spannungsvollen Wartens öffnete sich ein Vorhang vor der Tür zu den Innenräumen und drei Personen kamen ins Foyer, Bundesminister ScheelScheel, Walter, Sargent ShriverShriver, Sargent, der Chef des USPeace Corps und in gelbem Sommerkleid seine Frau EuniceShriver, Eunice, eine Schwester John F. KennedysKennedy, John F., die diesen bei seinem damaligen Deutschlandbesuch begleiteten. Nun trat Präsident KennedyKennedy, John F. von hinten aus dem Inneren der Villa hinzu, flankiert von Bundespräsident Heinrich LübkeLübke, Heinrich und Bundeskanzler Konrad AdenauerAdenauer, Konrad und die Urkunde zur Gründung des Deutschen EntwicklungsdienstesDeutscher Entwicklungsdienst wurde unterzeichnet. Danach zogen sich die Hauptpersonen zusammen mit Bundesminister Scheel wieder zum Gespräch in die Innenräume des Bundespräsidialamts zurück, und wir verließen nach und nach die Villa. Sekt für alle, das gab es damals noch nicht.

      Die Mitglieder unserer Gruppe waren zusammen mit anderen jungen, engagierten Menschen zu dieser Unterzeichnung als jugendliche Zeugen und potenzielle Entwicklungshelfer eingeladen worden, weil wir mit etwa 40 Personen, vorwiegend Studentinnen und Studenten, im April/Mai 1963 ein Praktikum bei Entwicklungsinitiativen in Sizilien absolviert hatten. Sizilien galt als Entwicklungsregion in Europa.

      4 Entwicklungspolitik unter erschwerten innenpolitischen Bedingungen

      Minister: Hans-Jürgen WischnewskiWischnewski, Hans-Jürgen (1966–1968)

Hans-Jürgen Wischnewski * 1922 †2005

      ❋ Beschreibung und Wertung

      Ende 1966 wurde eine Große Koalitiongroße Koalition von CDU und SPD gebildet und Hans-Jürgen WischnewskiWischnewski, Hans-Jürgen (SPD) wurde Entwicklungsminister. WischnewskiWischnewski, Hans-Jürgen schien als Entwicklungsminister besonders prädestiniert, da er durch seine frühe Unterstützung der algerischen Befreiungsbewegung im Kampf gegen die Kolonialmacht Frankreich 1954 und die Jahre danach ein wachsendes Netzwerk in arabischen Staaten aufgebaut hatte, das geeignet war, ihm als Entwicklungsminister in Asien, Afrika und Lateinamerika Türen zu öffnen.1 Als zentrales Motiv für sein Engagement gab WischnewskiWischnewski, Hans-Jürgen deshalb das Selbstbestimmungsrecht der VölkerSelbstbestimmungsrecht der Völker an, dem für ihn, sicherlich auch vor dem Hintergrund der deutschen Frage, also der historischen Situation der deutschen Zweistaatlichkeit, ein besonderer Stellenwert zukam: „Zu meinen Überlegungen gehörte, dass man nur dann glaubwürdig für das Selbstbestimmungsrecht des eigenen Volkes eintreten kann, wenn man auch das der anderen Völker ernst nimmt und sich dafür aktiv engagiert. Dieses Selbstbestimmungsrecht war für mich ein unverzichtbarer Bestandteil des Völkerrechts und der internationalen Zusammenarbeit.“2

      Die Große Koalition insgesamt war von mehreren Rahmenbedingungen geprägt, die für eine aktive Entwicklungspolitik zunächst ungünstig erschienen. Als erstes galt zu Beginn immer noch offiziell die HallsteinDoktrin als verbindlich. Sie wurde jedoch unter WischnewskiWischnewski, Hans-Jürgen schrittweise gelockert.3 Eine weitere ungünstige Rahmenbedingung stellte der Umstand dar, dass die Große Koalition zu einer Zeit in die Regierungsverantwortung kam, als die erste große Wirtschaftskrise nach dem Krieg das Wirtschaftswunderland Bundesrepublik erschütterte. Der Konjunktureinbruch zwischen Herbst 1966 und Sommer 1967 führte dazu, dass das Bruttosozialprodukt 1967 das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik sank.4 Die Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland hat deshalb während der Großen Koalition – aufgrund der internen ökonomischen Schwierigkeiten – auch der Exportförderungspolitik und der Arbeitsmarktpolitik gedient.5

      Schwerpunktländer deutscher Entwicklungszusammenarbeit waren die Türkei, Iran, Afghanistan, Indien und Indonesien. Daneben begann die Unterstützung der unabhängig gewordenen afrikanischen Staaten. Ein wichtiger thematischer Akzent der Entwicklungszusammenarbeit war die Förderung der gewerblichen Berufsausbildunggewerbliche Berufsausbildung.