Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.. Udo Schnelle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Udo Schnelle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846346068
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Grundannahmen gnostischen Denkens

       Die Entstehung des gnostischen Denkens

       Tafel 6: Chronologie des frühen Christentums bis 130 n.Chr.

       15. Fünfzehn Gründe für den Erfolg des frühen Christentums

       Literaturverzeichnis

       Autorenregister

       Personen- und Sachregister (in Auswahl)

       Stellenregister (in Auswahl)

      Jesus von Nazareth ist eine Gestalt der Geschichte und die Bewegung der Christen ein Zeugnis der Wirkungsgeschichte dieser Person. Wenn auf einer solchen Basis mit 2000 Jahren Abstand eine Geschichte des frühen Christentums geschrieben wird, zeigen sich unausweichlich die Grundprobleme historischen Fragens und Erkennens. Wie entsteht Geschichte? Was passiert, wenn in der Gegenwart ein Dokument der Vergangenheit mit einem Zukunftsanspruch interpretiert wird? Wie verhalten sich historische Nachrichten und ihre Einordnung in den gegenwärtigen Verstehenszusammenhang des Historikers/Exegeten zueinander?

      Johann Gustav Droysen, Historik, hg. v. Peter Leyh, Stuttgart/Bad Cannstatt 1977 (= Nachdruck 1857/1882). – Jörn Rüsen, Historische Vernunft, Göttingen 1983. – Ders., Rekonstruktion der Vergangenheit, Göttingen 1986. – Ders., Lebendige Geschichte, Göttingen 1989. – Christoph Conrad/Martina Kessel (Hg.), Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion, Stuttgart 1994. – Hans-Jürgen Goertz, Umgang mit Geschichte, Reinbek 1995. – Chris Lorenz, Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie, Köln 1997. – Hans-Jürgen Goertz, Unsichere Geschichte, Stuttgart 2001.

      Vergangenheit gibt es immer nur im Modus der Gegenwart des Interpreten

      Das klassische Ideal des Historismus, nur zu „zeigen, wie es eigentlich gewesen“1 ist, erwies sich in mehrfacher Hinsicht als ideologisches Postulat. Die Gegenwart verliert mit ihrem Übergang in die Vergangenheit unwiderruflich ihren Realitätscharakter. Schon deshalb ist es nicht möglich, das Vergangene ungebrochen gegenwärtig zu machen. Der Zeitabstand bedeutet Abständigkeit in jeder Hinsicht, er verwehrt historisches Erkennen im Sinne einer umfassenden Wiederherstellung dessen, was geschehen ist. Vielmehr kann man nur seine eigene Auffassung von der Vergangenheit in der Gegenwart kundtun. Vergangenheit begegnet uns ausschließlich im Modus der Gegenwart, hier wiederum in interpretierter und selektierter Form. Relevant aus der Vergangenheit ist nur das, was nicht mehr Vergangenheit ist, sondern in die gegenwärtige Weltgestaltung und Weltdeutung einfließt2. Die Sozialisation des Historikers/Exegeten, seine Traditionen, sein geographischer Lebensort, seine politischen und religiösen Werteinstellungen prägen notwendig das, was er in der Gegenwart über die Vergangenheit sagt3. Geschichtsschreibung ist deshalb nie ein pures Abbild des Gewesenen, weil sie selbst immer eine Geschichte hat, nämlich die Geschichte des Schreibenden. Das Subjekt steht nicht über der Geschichte, sondern ist ganz und gar in sie verwickelt. Deshalb ist ‚Objektivität‘ als Gegenbegriff zu ‚Subjektivität‘ völlig ungeeignet, um historisches Verstehen zu beschreiben4. Vielmehr sollte von ‚Angemessenheit‘ oder ‚Plausibilität‘ historischer Argumente gesprochen werden5. Nicht das wirklich vollzogene Geschehen ist uns zugänglich, sondern nur die je nach Standort der Interpreten verschiedenen Deutungen vergangener Ereignisse liegen vor uns. Erst durch unsere Zuschreibung werden die Dinge zu dem, was sie für uns sind. Geschichte wird nicht rekonstruiert, sie wird unausweichlich und notwendigerweise konstruiert. Es gilt: „es wird Geschichte, aber es ist nicht Geschichte“6. Geschichtsschreibung geht somit über ein bloßes Vergangenheitsverhältnis weit hinaus; sie ist eine Form von Sinndeutung und Sinnstiftung, ohne die individuelles und kollektives Leben gar nicht möglich wären.

      Fakten und Fiktion fließen stets ineinander

      Geschichte erweist sich somit immer als ein selektives System, mit dem die Interpretierenden nicht einfach Vergangenes, sondern vor allem ihre eigene Welt ordnen und deuten7. Sprachliche Konstruktion von Geschichte vollzieht sich deshalb stets auch als ein sinnstiftender Vorgang, der sowohl dem Vergangenen als auch dem Gegenwärtigen Sinn verleihen soll. Historische Interpretation heißt, einen kohärenten Sinnzusammenhang zu schaffen; mit der Herstellung historischer Erzählzusammenhänge erlangen die Fakten den Status, der ihre Bedeutsamkeit für uns ausmacht. Dabei müssen historische Nachrichten in der Gegenwart erschlossen und zur Sprache gebracht werden, so dass sich in der Darstellung/Erzählung von Geschichte notwendigerweise ‚Fakten‘ und ‚Fiktion‘8, Vorgegebenes und schriftstellerisch-fiktive Arbeit miteinander verbinden. Indem historische Nachrichten kombiniert, historische Leerstellen ausgefüllt werden müssen, fließen Nachrichten aus der Vergangenheit und ihre Interpretation in der Gegenwart zu etwas Neuem zusammen9. Durch die Interpretation wird dem Geschehen eine neue Struktur eingezogen, die es zuvor nicht hatte. Fakten muss eine Bedeutung beigemessen werden und die Struktur dieses Interpretationsprozesses konstituiert das Verständnis der Fakten. Erst das fiktionale Element eröffnet einen Zugang zur Vergangenheit, ermöglicht die unumgängliche Neuschreibung der vorausgesetzten Ereignisse.

      Konstruktion bezieht sich immer auf Vorgegebenes

      Zugleich sind Aussagen immer eingebunden in vorgegebene allgemeine Wirklichkeits- und Zeitvorstellungen, ohne die Konstruktion und Kommunikation nicht möglich sind. Es gibt zweifellos eine Realität, die vor, neben und nach, vor allem aber unabhängig von unserer Wahrnehmung und Beschreibung existiert. Jeder Mensch ist zudem genetisch vor-konstruiert und ständig sozial-kulturell ko-konstruiert. Reflexion und Konstruktion sind immer nachfolgende Akte, die sich auf etwas Vorgegebenes beziehen, so dass jede Form von Selbstgewissheit nicht in sich selbst ruht, sondern jeweils den Bezug auf etwas Vorausliegendes benötigt, das es begründet und ermöglicht. Schon die Tatsache, dass die Frage nach Sinn möglich ist und Sinn gewonnen werden kann, verweist auf eine „unvordenkliche Wirklichkeit“10, die allem Sein vorausgeht und ihm den Wirklichkeitsstatus verleiht. Grundsätzlich gilt: Geschichte entsteht erst, nachdem das ihr zugrunde liegende Geschehen erfolgt ist und in den Status gegenwartsrelevanter Vergangenheit erhoben wurde, so dass notwendigerweise Geschichte nicht denselben Realitätsanspruch erheben kann wie die ihr zugrunde liegenden Ereignisse. Nicht die Welt und das Leben sind eine Konstruktion, wohl aber unsere Anschauungen über sie; für uns ist beides aber faktisch nicht auseinanderzuhalten.

      Gerade das unausweichliche fiktional-kreative Element jeder Geschichtsschreibung erfordert eine umfassend Einbeziehung aller relevanten Quellen, eine Berücksichtigung der zentralen kulturellen Voraussetzungen und Kontexte und eine Kombination verschiedener Fragestellungen, um so das natürliche subjektive Element vor subjektivistischen Engführungen zu bewahren11.

      Quellenvielfalt

      Die Hauptquelle sind natürlich alle Schriften des Neuen Testaments; insbesondere die Paulusbriefe, die Apostelgeschichte und die Evangelien. Zudem sind das griechische Alte Testament (Septuaginta/LXX) und die gesamte jüdische Literatur von ca. 200 v.Chr.-100 n.Chr. zu berücksichtigen, sofern sie für das frühe Christentum von Bedeutung sind (s.u. 3.3.1).