Grundwissen Geistigbehindertenpädagogik. Barbara Fornefeld. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara Fornefeld
Издательство: Bookwire
Серия: Basiswissen der Sonder- und Heilpädagogik
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846387757
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in Sonderschulen für Geistigbehinderte umgewandelt. Es entstanden Richtlinien und Lehrpläne für den Unterricht. Mit der Forderung des Deutschen Bildungsrates, dass die Grundschule für die Bildung aller Kinder zuständig sei, begann 1973 die Diskussion um die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderungen und zwischen 1970 und 1987 die ersten integrativen Schulversuche in München, Berlin, Hamburg, Bonn und Köln.

      Ausbauphase

      Mit der Einführung des Bundessozialhilfegesetzes 1961 wurde das Recht auf Sozial- und Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung festgelegt, womit sie nicht länger auf Fürsorge angewiesen waren. Dieses Gesetz schaffte die Grundlage zum Ausbau des Versorgungssystems für Menschen mit geistiger Behinderung in den 1970er und 1980er Jahren. Es entstanden Frühfördereinrichtungen, Werkstätten für Behinderte, Wohnheime, Erwachsenenbildungs- und Freizeiteinrichtungen, auf deren Entwicklung ich in den nachfolgenden Kapiteln noch genauer eingehen werde. Das Aufgabengebiet der Geistigbehindertenpädagogik weitete sich immer mehr aus und ließ ein komplexes System von Hilfen und Maßnahmen entstehen, wie es im ersten Kapitel beschrieben wurde. Entwickelt wurde es in der Praxis, d.h. es geht auf Menschen zurück, die sich in besonderer Weise für die Belange dieses Personenkreises eingesetzt haben. Sie bewirkten, dass Einrichtungen, Erziehungs- und Betreuungskonzepte entstanden und die juristischen Grundlagen hierfür geschaffen wurden.

      Der Wiederaufbau des Schulwesens in der Sowjetischen Besatzungszone war geprägt vom Streben nach Demokratisierung des Bildungswesens (vgl. §6 des „Gesetz[es] zur Demokratisierung der deutschen Schule“ von 1946).

      „Es war zweifellos die historische Erfahrung der menschenverachtenden Behindertenpolitik des Nationalsozialismus und das damit verbundene Bestreben einer sich selbst legitimierenden Abgrenzung gegenüber dieser Epoche deutscher Geschichte, die bewirkte, dass die Interessen behinderter Schüler von Anfang an Eingang in die allgemeine Debatte um den Bildungsaufbau in der Ostzone fand“ (Ellger-Rüttgardt 2008, 311).

      Aufbauphase

      „Die revolutionären Veränderungen im Bildungswesen bewirkten auch im Bereich der Sonderschulen einen Wiederaufbau in historisch neuer Qualität“ (Baudisch et al. 1987, 16). Doch die ab 1948 einsetzende ‚Sowjetisierung‘ und ‚Ideologisierung‘ hatte für die Hilfsschulen im Gegensatz zu den allgemeinen Schulen kaum Bedeutung. Ab den 1960er Jahren wurden, so meint Barsch, sonderpädagogische bzw. rehabilitationspädagogische Theorie „auf der Basis des Sozialismus entwickelt, auch wenn dies für die praktische Arbeit in den Schulen und Fördereinrichtungen nur von geringer Bedeutung war“ (2007, 52f).

      Kinder mit geistiger Behinderung wurden im Aufbau des Hilfsschulwesens zwar mitgedacht, aber in der Praxis nicht integriert, weil sie bis 1989 als bildungsunfähig galten. Diese Separierung nimmt das Schulpflichtgesetz von 1950 vor, indem es körperlich und geistig behinderte Schulpflichtige, die als schulbildungsunfähig galten, dem Ministerium für Gesundheitswesen der DDR zuordnete.

      Professor Sigmar Eßbach von der Humboldt-Universität in Ost-Berlin beschreibt diese Entwicklung 1985: „Für die schulbildungsunfähigen Kinder und Jugendlichen war nicht die Volksbildung, sondern das Gesundheitswesen zuständig. Auf Grund einer mangelnden Quellenlage ist nur wenig über die Bildungs- und Betreuungsbedingungen dieser Population bekannt. Es gab in der SBZ (So-Besatzungszone, Anm. B. F.) noch keine Fördereinrichtungen, die sich sinnigen“ nachder ‚schulbildungsunfähigen‘ förderfähigen Kindern annahm. Der überwiegende pädagogischen Teil dieser Gruppe wurde in speziellen Klassen in den Hilfsschulen beschult, bis seit etwa Mitte der 1950er Jahre zunehmend die Forderung laut wurde, ‚im Interesse der Optimierung des Unterrichts in den Hilfsschulen die sog. ‚bildungsunfähigen‘ schwachsinnigen Kinder auszuschulen‘“ (nach Barsch 2007, 50). Während die leicht geistig behinderten Kinder weiter in den Hilfsschulen (in den Abteilungen II) unterrichtet und so weit als möglich in die sozialistische Gesellschaft integriert wurden, gab es für die Gruppe der Kinder mit schwerer Behinderung (IQ <20) weder Recht auf Beschulung, noch auf Betreuung (Barsch 2007, 50). Sie fanden, wenn sie nicht von der Familie versorgt werden konnten, Aufnahme in psychiatrischen und neurologischen Abteilungen von Krankenhäusern. Diese Personengruppe war in mehrfacher Hinsicht benachteiligt, weil für sie neben fehlenden Bildungseinrichtungen auch kein flächendeckendes Wohnangebot bestand (Barsch 2007, 216). Viele Menschen mit geistiger Behinderung lebten unter schlechten Bedingungen in psychiatrischen Einrichtungen, ohne dass dafür medizinische Indikationen vorlagen. Die Bildungs- und Freizeitangebote für sie waren überaus gering. In den wenigen verbliebenen kirchlichen Einrichtungen waren die Versorgung und das pädagogische Angebot besser.

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      Abb. 7: Klassifikation der „Schwachsinnigen“ nach pädagogischen Gesichtspunkten in der DDR (Baudisch et al. 1987, 36)

      Ausbauphase

      In den 1970er Jahren begann die Einrichtungen von ‚geschützten Arbeitsplätzen‘. Hierzu führen Baudisch et al. aus:

      „Sehr schwer intelligenzgeschädigte Jugendliche oder solche mit stark leistungsmindernden Mehrfachschädigungen erhalten eine Ausbildung und üben produktive Tätigkeiten unter Bedingungen der ‚geschützten Arbeit‘ aus. ‚Geschützte Arbeit ist eine von physisch schwerstgeschädigten oder psychisch schwergeschädigten Menschen in einem besonders ausgestalteten Arbeitsverhältnis unter spezifischen Bedingungen ausgeübte Tätigkeit.’ (‚Anordnung zur Sicherung des Rechts auf Arbeit für Rehabilitanden‘ vom 26. August 1969, GB1. II, Nr. 75/1969, §1)“ (1987, 182).

      Nachdem die geschützte Arbeit fester Bestandteil der Arbeitsgesetzgebung wurde, standen für geistig behinderte Jugendliche, die Hilfsschulen besuchten, 1989 über 30 Berufe zur Verfügung. Sie konnten eine Ausbildung als Teilfacharbeiter absolvieren. Die Ausdifferenzierung der Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung resultierte „aus dem großen Stellenwert, der der Arbeit in der sozialistischen Gesellschaft zukam und der auch für die ‚Rehabilitanden‘ gelten sollte“ (Barsch 2007, 218).

      Dispensaire

      Nach dem Vorbild der Krankenversorgung in der Sowjetunion wurden Ende der 1960er Jahre auf der Grundlage des Ministerratsbeschlusses „Maßnahmen zur Förderung, Beschulung und Betreuung geschädigter Kinder und Jugendlicher sowie psychisch behinderter Erwachsener“ (1969) sogenannte ‚Kreisdispensaire‘, interdisziplinär arbeitende Ambulanzen, eingeführt. Ihre Aufgabe bestand in der Prophylaxe, Diagnostik, Therapie/Rehabilitation und Nachsorge psychisch entwicklungsgestörter Kinder und Jugendlicher sowie der Dokumentation und Planung von Maßnahmen. Die Arbeit der pädagogischen, psychologischen und medizinischen Fachkräfte bezog die Familien mit ein. Die Dispensairebetreuung wurde auch in Form von Hausbesuchen durchgeführt.

      Ende der 1960er Jahre wurden an der Humboldt-Universität Berlin und der Universität Halle-Wittenberg die theoretischen Grundlagen für die pädagogische Arbeit mit geistig behinderten Menschen, die Rehabilitationspädagogik, entwickelt. „Das in Berlin entstandene ‚Grundlagenmaterial‘ bot den Fördereinrichtungen in Form einer Richtlinie mit Stoffplan detaillierte und praxisnahe Erziehungs- und Bildungsziele, die sich im wesentlichen an der Lebenswirklichkeit der in ihnen betreuten Kinder und Jugendlichen orientierten und nur marginal im theoretischen Unterbau von der sozialistischen Ideologie beeinflusst waren“ (Barsch 2007, 216). Die Rehabilitationspädagogik war von einem medizinischen Menschenbild geprägt. Dennoch glichen die didaktischen Grundsätze und Methoden denen der Sonder- bzw. Heilpädagogik der Bundesrepublik.

      In der DDR führten die zahlreichen Entwicklungen in der Erziehung und Betreuung von Menschen mit Behinderung zu einer grundsätzlichen Verbesserung der Lebensbedingungen geistig behinderter Menschen, wobei diese Entwicklungen jedoch nicht stringent verliefen. Das heißt, während sich die Bedingungen für lernbehinderter und leicht geistig behinderter Kinder und Jugendlicher verbesserte, „gelang dies für schwer behinderte Menschen nur in Ansätzen“ (Barsch 2007, 215). Der sozialistische Leistungs- und Gesellschaftsgedanke spielte anders als in Hilfsschulen für die Förderungseinrichtungen des Gesundheitswesens, also für Menschen mit geistiger Behinderung keine Rolle.

      Zusammenfassung