Es ist eine bemerkenswerte Ironie der Forschungsgeschichte, dass von Harnack und Kattenbusch bis Lietzmann und Kelly die in der Traditio apostolica und anderen Texten überlieferten Tauffragen, die es offensichtlich gab, immer wieder zur Rekonstruktion von etwas anderem benutzt worden sind, was es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gab – ein deklaratorisches Bekenntnis, das in der Katechese oder Taufliturgie Verwendung gefunden hätte.[72] Dagegen hat Wolfram Kinzig gezeigt, dass die Tauffragen für sich genommen Interesse verdienen, wenn es um eine römische Traditionslinie geht. Dieses Set von Fragen ist im Sacramentarium Gelasianum Vetus, der ältesten erhaltenen römischen Agende aus dem 7. Jahrhundert,[73] überliefert und wird hier den Tauffragen aus der Traditio apostolica gegenübergestellt:
|41|Traditio apostolica (lat.) | Sacramentarium Gelasianum Vetus |
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[Credis in deum, patrem omnipotentem?] [74] | Credis in deum, patrem omnipotentem? |
Credis in Christum Iesum, filium dei, | Credis et in Iesum Christum, filium eius unicum, dominum nostrum, |
qui natus est de spiritu sancto ex Maria virgine | natum |
et crucifixus sub Pontio Pilato et mortuus est et sepultus | et passum? |
et resurrexit die tertia | |
et ascendit in caelis et sedit ad dexteram patris | |
venturus iudicare vivos et mortuos? | |
Credis in spiritu sancto | Credis et in spiritum sanctum, |
et sanctam ecclesiam | sancta ecclesia, |
remissionem peccatorum, | |
et carnis resurrectionem? | carnis resurrectionem? |
Auf den ersten Blick erkennbar ist, dass der zweite – christologische – Artikel im Sacramentarium Gelasianum Vetus viel weniger entfaltet ist als in der Traditio apostolica und im oben zitierten Romanum (markellischer oder rufinischer Provenienz). Während die Fragen nach Gott, Geist, Kirche, Sündenvergebung und Auferstehung im »Altgelasianum« und im Romanum praktisch identisch sind und lediglich in Bezug auf die Sündenvergebung ein Unterschied zur Traditio apostolica festzustellen ist, beschränken sich die christologischen Prädikate hier auf Jesus Christus als eingeborenen Sohn Gottes und unseren Herrn sowie auf seine Geburt und Passion. Der Modus dieser Geburt – in der Traditio apostolica und im Romanum durch den doppelten Verweis auf Geist und Jungfrau markiert – und der Verlauf der |42|Passion sowie deren Folgeereignisse werden dagegen nicht erwähnt. Handelt es sich eingedenk der oben erwähnten Datierung des Sakramentars in das 7. Jahrhundert um eine spätere Modifikation, um eine parallele Fassung oder – gegen den ersten Anschein – gar um eine ältere, im Romanum erweiterte Form des christologischen Artikels?
Die Dinge liegen in der Tat kompliziert. Wie Wolfram Kinzig gezeigt hat,[75] existieren von der Spätantike bis zur Reformationszeit zahlreiche Formen der Tauffragen, sowohl mit einem kurzen zweiten Artikel (natum et passum) als auch mit erweiterten christologischen Prädikaten. Ein Zeitpunkt oder ein sachlicher Anlass, an bzw. aus dem dieser Artikel gekürzt worden wäre, lässt sich nicht dingfest machen. Um zu erklären, warum die Tauffragen im ersten und dritten Artikel des Sacramentarium Gelasianum Vetus mit dem Romanum identisch sind, der zweite Artikel aber sehr viel knapper ist, argumentiert Kinzig, dass die in dem frühmittelalterlichen Sakramentar tradierten Tauffragen älter sein müssen als das Romanum. Sie gehen mindestens auf das 3. Jahrhundert zurück, wo, wie erwähnt, Cyprian die Verwendung von Tauffragen in Rom bezeugt.[76] Den sachlichen Anlass zu Textveränderungen im Sinne eines ausführlicheren Christussummariums wie im Romanum findet Kinzig nun in der Diskussion um »monarchianische« Theologen in Rom wie Noët, Calixt und vor allem Praxeas: Diese bestimmten um das Jahr 200 den theologischen Diskurs in Rom, indem sie in antignostischer Absicht die Einheit Gottes, d.h. seine μοναρχία, in den Vordergrund stellten.[77] Dagegen argumentierte Tertullian, dass die Akzentuierung der Einheit nicht auf Kosten der Dreiheit, d.h. der Unterscheidung von Vater, Sohn und Geist gehen dürfe, und untermauerte dies in verschiedenen Traktaten mit Summarien des Christusgeschehens, die dem im Romanum auffallend ähneln.[78] Das Resultat dieser Diskussion war offensichtlich, dass die schlichte Beschreibung des irdischen Wirkens Christi mit natum et passum nicht mehr hinreichend präzise erschien, sondern |43|dass es ausführlicherer Bemerkungen sowohl zu seinem Kommen in die Welt als auch zu den Stationen seines Leidens und Sterbens einschließlich dessen Umkehrung durch Auferstehung und Himmelfahrt bedurfte, um einerseits das Heilshandeln Christi zureichend zu bestimmen und andererseits dem Eindruck zu wehren, das alles habe der eine, transzendente, leidenslose Gott getan, ja erlitten. Die christologische Taufunterweisung hatte, wenn man so sagen darf, ihre Unschuld verloren; und dass mit der Erweiterung des zweiten Artikels noch keineswegs eine definitive Antwort gegeben war, sondern man vielmehr die Büchse der Pandora überhaupt erst geöffnet hatte, zeigen die anhaltenden trinitätstheologischen und christologischen Debatten des 4. bis 7. Jahrhunderts.
Für die hier behandelte Fragestellung ist Kinzigs m.E. sehr plausible These weiterführend, dass die Tauffragen des »Altgelasianums« sogar als Quellen für das 2. Jahrhundert gelten und damit das »missing link« zwischen frühen konfessorischen Formeln im Neuen Testament sowie bei den Apologeten und der späteren Produktion von Bekenntnissen darstellen könnten.[79] Wann freilich die Tauffragen um einen erweiterten zweiten Artikel ergänzt wurden, ob dies vor der Entstehung des Romanums geschah oder ob hier eine Rückwirkung des werdenden Apostolikums auf die Tauffragen, die oft einen längeren christologischen Teil besitzen, zu veranschlagen ist, wie sich das über Jahrhunderte hinweg in Rom in Gebrauch befindliche Altgelasianum präzise zu den Tauffragen der Traditio apostolica und zur Verwendung des Nizäno-Konstantinopolitanums in der römischen Taufliturgie seit dem 6. Jahrhundert[80] verhält, während sich ansonsten im Abendland überall Formen des Apostolikums durchsetzten – das sind Fragen, die noch einer befriedigenden Antwort harren. Festzuhalten ist, dass das |44|Werden des Apostolikums als Bekenntnistext von seiner Vorgeschichte in Form von Tauffragen zu unterscheiden ist, bei starker Kontinuität im ersten, leichtem Wachstum im dritten und erheblichen Zuwächsen im zweiten Artikel.
4. Vom Altgelasianum zum »Textus receptus« des Apostolikums
4.1. Lehrbekenntnisse und katechetisch gebrauchte Bekenntnisse
Nachdem wir das Werden des Apostolischen Glaubensbekenntnisses