Fußnoten
Vgl. J. Herzer/A. Käfer/J. Frey (Hg.), Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik (UTB 4903), Tübingen 2018.
Vgl. dazu auch R. LEONHARDT, Die Bedeutung von Bekenntnissen in Theologie und Kirche zwischen Anspruch der Tradition und aktuellen Herausforderungen, in: Herzer/Käfer/Frey, Die Rede von Jesus Christus (s. Anm. 1), 55–82.
Vgl. dazu den Beitrag von Peter Gemeinhardt in diesem Band.
Vgl. dazu E. JÜNGEL, Bekenntnis und Bekennen (1968), in: DERS., Ganz werden. Theologische Erörterungen V, Tübingen 2003, 76–88, 88: »Bekenntnisse sind also kein Besitz für immer. Sie sind für die jeweilige Zeit und gehören zum täglichen Brot. Sie sind dem wahr machenden Worte Gottes folgsame menschliche Worte, die nichts anderes wollen können, als andere menschliche Worte zu derselben Folgsamkeit gegenüber dem Worte Gottes zu ermuntern und zu verpflichten. Sie sind also gerade im Gebrauch dazu da, sich selber überflüssig zu machen. Aber eben dazu sind sie da. Und je besser ein Bekenntnis sich selbst überflüssig und Gottes wahr machendes Wort allein notwendig macht, desto bleibender ist seine Bedeutung.«
J. W. von Goethe, Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil, hg. v. K.-M. Guth, Berlin 2015, 16. Aus hier nicht zu erörternden Gründen setzt Goethe in diesem berühmten Text des Gelehrten Faust bekanntlich ein »und leider auch« vor die Theologie, das hier bewusst nicht mit zitiert wird, weil das Theologiestudium natürlich alles andere als eine bedauerliche Veranstaltung ist, sondern eines der interessantesten und anregendsten studiorum, die man sich vorstellen kann.
|15|Vom Werden des Apostolikums
Peter Gemeinhardt
1. Die apostolische Schöpfung des Credos – Dichtung und Wahrheit
Das Faltblatt mit dem Programm der Tagung, auf der dieser Text vorgetragen wurde, zeigte einige der zwölf Apostel mit Büchern, auf deren Seiten einzelne Zeilen des Apostolikums zu lesen sind. Die Bilder stammen von einem 1424 geschaffenen Altar aus der Kirche des Barfüßerklosters in Göttingen.[1] Zwar steht die Kirche seit fast zweihundert Jahren nicht mehr, der Altar befindet sich im Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover. Er leitet aber die hier zu verfolgende Fragestellung auf kongeniale Weise ein: Setzt er doch eine, ja die Vorstellung des abendländischen Mittelalters vom Werden des Apostolikums ins Bild. Und dieses beginnt, wie mancher vielleicht überrascht zur Kenntnis nehmen wird, mit dem Pfingstwunder:
»Danach ›kehrten‹ die Jünger des Herrn ›nach Jerusalem zurück‹ und ›hielten einmütig fest am Gebet‹ (Apg 1,12.14) bis zum zehnten Tag, welcher Pfingsten ist und der Fünfzigste genannt wird, einem Sonntag; und an diesem Tag zur dritten Stunde ›geschah plötzlich vom Himmel ein Geräusch wie das eines gewaltigen herbeikommenden Windes und erfüllte das ganze Haus, in dem‹ die Apostel ›saßen. Und es erschienen unter ihnen zerteilte Zungen wie von Feuer, und dieses saß auf jedem einzelnen von ihnen, und alle wurden sie erfüllt vom Heiligen Geist und begannen in anderen Zungen zu sprechen, wie ihnen der Heilige Geist zu reden eingab‹ (Apg 2,2–4), und sie stellten ein Symbol zusammen, nämlich dieses:
Petrus sagte: ›Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde.‹ – Johannes: ›Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn.‹ – Jakobus: ›Empfangen aus dem Heiligen Geist, geboren aus der Jungfrau Maria.‹ – Andreas: ›Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben.‹ – Philippus sagte: ›Er stieg |17|hinab in die Unterwelt.‹ – Thomas: ›Am dritten Tage erstand er von den Toten auf.‹ – Bartholomäus: ›Er stieg hinauf zum Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters.‹ – Matthäus: ›Von dort wird er kommen, um die Lebenden und die Toten zu richten.‹ – Wiederum Jakobus, (Sohn) des Alphäus: ›Ich glaube an den Heiligen Geist.‹ – Simon Zelotes: ›Die heilige katholische Kirche.‹ – Judas, (Sohn) des Jakobus: ›die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden.‹ – Ebenso Thomas: ›die Auferstehung des Fleisches, das ewige Leben. Amen.‹«[2]
Wie unschwer zu erkennen ist, tritt in dieser Erzählung das Apostolikum an die Stelle, die in der Apostelgeschichte die Pfingstpredigt des Petrus (Apg 2,14–36) einnimmt. Statt eines individuellen folgt ein kollektiver Sprechakt: Nicht einer spricht für alle, vielmehr sind alle Apostel namentlich und mit einem jeweils präzise benannten Beitrag an der Verkündigung des Evangeliums beteiligt. Genauer gesagt nehmen sie teil an der Verfertigung des »Symbols«, d.h. des »Leitfadens« oder der »Richtschnur« für diese Verkündigung, das zugleich auch als |18|»Passwort« verstanden werden konnte, das den Taufbewerbern den Weg zum Empfang des Sakraments eröffnet – wir kommen auf diese Praxis weiter unten zu sprechen. Hier sei zunächst festgehalten: Das Apostolikum, wie wir es bis heute kennen und im Gottesdienst der evangelischen und katholischen Kirchen gebrauchen, ist ein Gemeinschaftswerk aller zwölf Apostel.
Wirklich aller? Wer genau hinsieht, bemerkt, dass einer, nämlich Thomas, zwei Redebeiträge liefert. Es treten also nur elf Sprecher auf, obwohl doch dem Narrativ der Apostelgeschichte zufolge ein neuer zwölfter Apostel, Matthias, bereits vor dem Pfingstereignis ausgelost worden war (Apg 1,15–26) und sich an der geistbewegten Formulierung des Symbols hätte beteiligen können, ja sollen. Hat der Verfasser der Erzählung diesen Ergänzungsspieler übersehen oder bewusst übergangen? Oder gibt es einen inhaltlichen Grund dafür, dass ausgerechnet Thomas eine so prominente Rolle einnimmt? Schon Ferdinand Kattenbusch vermutete, Pirmin lege nicht zufällig beide Erwähnungen der resurrectio – die bereits erfolgte Christi und die noch erwartete der Gläubigen – dem Auferstehungszweifler Thomas in den Mund.[3] Das ist eine ansprechende Vermutung, die freilich in der Quelle keinen ausdrücklichen Anhalt findet. Auch wenn man andere mittelalterliche Texte einbezieht, in denen eine solche zwölfteilige Formulierung des Apostolikums zu finden ist, wird die Sache nicht eindeutiger: Manche gewähren ebenfalls Thomas einen doppelten Auftritt, andere nicht; dort kommt, wie zu erwarten wäre, Matthias zu Wort. Darüber hinaus lässt sich die jeweilige Reihenfolge der apostolischen Wortmeldungen nur in einigen Fällen auf die im Neuen Testament bezeugten (schon hier voneinander abweichenden) Apostellisten (Mt 10,1–4 parr Mk 3,13–19 und Lk 6,12–16; Apg 1,13f.26) zurückführen; andere Texte, so auch der eingangs erwähnte Göttinger Barfüßeraltar, ordnen die Redebeiträge der Apostel ohne erkennbaren biblischen Bezug an.[4] Halten wir also als ein weiteres |19|vorläufiges Ergebnis fest: »Die« Geschichte von »der« gemeinsamen Formulierung des Glaubensbekenntnisses für die individuell zu leistende, aber kollektiv zu verantwortende Mission gibt es nicht.
Dieser Befund lässt sich generalisieren: »Das« Werden »des« Apostolikums,