Das Buch Jesaja. Ulrich Berges. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrich Berges
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846346471
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alt="images"/> »Retter« (M. Buber: »Befreier«). Die Bezeichnung »Erlöser« stammt aus der Rechtssphäre und setzt eine Verantwortlichkeit aufgrund von Verwandtschaftsbanden innerhalb des Stammes, des Clans oder der Großfamilie voraus.91 In Kap. 40–66 steht der Titel überwiegend in Gottesreden, in denen sich JHWH seines Bandes mit Israel bewusst ist und sich verpflichtet fühlt, seinem Volk beizustehen (41,14; 43,1.14; 44,6.22–24; 47,4; 48,17; 49,7.26; 52,9; 54,5.8; 59,20; 60,16; 63,9.16).

      Der Titel »Retter« ist in Deuterojesaja nur selten in profanem Sinn gebraucht, sondern meist in typisch religiösem Sinne eingesetzt. Zudem ist das Wort »Rettung« (images) Bestandteil des Namens »Jesaja« (images »JHWH ist Rettung«) und zieht sich als roter Faden durch das ganze Buch (12,2–3; 25,9; 26,1.18; 33,2.6; 49,6.8; 51,6.8; 52,7.10; 56,1; 59,11.17; 60,18; 62,1). In Kap. 40–66 ist das Wort immer mit JHWH als Subjekt verbunden (bereits in 25,9; 33,22; 35,4; 37,20.35; 38,20; danach in 43,3.11–12; 45,15.17.21–22; 49,25–26; 59,1; 60,16; 63,1.8–9). Die göttliche Rettung ist übrigens ein fester Bestandteil des prophetischen Diskurses. Von daher ist der Aspekt des zu Hilfe Kommens in der Not ebenso stark wie der des effektiven Errettens aus der Not.92

      Des Weiteren zeichnet Jes 40–54 die kraft- und machtvolle Redeweise aus, mit der JHWH sein unvergleichbares Gottsein zum Ausdruck bringt: »ich bin JHWH, der …« (images)93 oder »ich bin es …« (images)94 mit nominaler oder verbaler Ergänzung. Als Beispiel kann die folgende Passage dienen: »Ich, ich bin JHWH, und keinen Retter gibt es außer mir. Ich war es, der es verkündet hat, und ich habe gerettet, und ich habe es hören lassen, und kein fremder Gott war bei euch. Und ihr seid meine Zeugen, Spruch JHWHs, und ich bin Gott. Auch künftig bin ich es, und keinen gibt es, der aus meiner Hand rettet. Ich mache es, und wer könnte es wenden?« (43,11–13).

      Die Fachliteratur spricht in diesem Zusammenhang von einer göttlichen Selbstvorstellungsformel, die Parallelen in vergleichbaren Texten der altorientalischen Literatur besitzt, in denen sich eine Gottheit oder ein durch sie ermächtigter König als unbestrittene Autorität präsentiert.95 Dennoch ist ein wesentlicher Unterschied zu beachten: JHWH stellt sich nicht in erster Linie denen vor, die ihn noch nicht kennen (vgl. Ex 3,13f.), sondern unterstreicht seinen Rettungswillen und seine Rettungsmacht zugunsten Israels in der Notsituation des babylonischen Exils. Damit erhebt er Anspruch auf eine exklusive Stellung als einzige Gottheit, die effektiv retten kann (45,20–25), im ausdrücklichen oder impliziten Kontrast zu den Göttern der Völker, besonders den babylonischen (vgl. 1 Kön 18,39: »JHWH, er ist Gott« [implizit: »und nicht Baal«]).

      Die Struktur dieser Sätze, besonders die Position des Prädikats, lässt auf zwei Funktionen schließen: Selbstvorstellung und Ausschließlichkeitsaussage. Den Ausschlag gibt immer der individuelle Redekontext.96 Manchmal gibt Gott seinem Namen eine inhaltliche Füllung, die Israel in seiner Not nicht bestätigen kann oder will (»Ich bin JHWH, ein zuverlässiger und rettender«, d.h. kein ohnmächtiger oder uninteressierter Gott) und/oder er beansprucht diese einzigartige Stellung ausdrücklich für sich allein (»Ich bin JHWH, ein zuverlässiger und rettender Gott«, d.h. kein anderer ist es). Mit anderen Worten, manchmal steht Israel seinem Gott im Disput gegenüber und wird aufgefordert, auf JHWH zu vertrauen und fremde Götter abzuweisen (Selbstvorstellung). Manchmal bilden die Fremdgötter die Gegenpartei im Rechtsstreit JHWHs, dann ist Israel als Zuhörer und Zeuge präsent (Ausschließlichkeitsaussage).

      In der oben zitierten Passage (43,11–13) richtet sich JHWH an Israel, in anderen Texten ändert sich die Sprechrichtung von Israel zu den Göttern (41,21–24). Der Kontext, d.h. der Redeverlauf ist in jedem Fall ausschlaggebend. Im Grunde wird Israel immer aufgefordert, JHWHs einzigartigen Heilswillen und seine unvergleichbare Rettungsmacht zu bezeugen. Nur wer sich im babylonischen Exil angesichts der imperialen Götterprozessionen zu JHWH, zu Jerusalem, zum Zion bekennt, ist der wahre Knecht: »Ihr seid meine Zeugen […] und mein Knecht, den ich erwählt habe« (43,10). Wo demgegenüber die Fremdgötter und ihre Anhänger angesprochen sind, soll dies der Ermahnung Israels dienen. Angesichts der Skepsis seines Volkes betont JHWH seinen Anspruch auf alleinige Verehrung. Es soll wissen, dass er den Lauf der Geschichte bis in die Gegenwart hinein bestimmt hat, was der Siegeszug des Kyrus vor den Augen der ganzen Welt unter Beweis stellt. Wie er den Helden aus dem Osten rief (41,2–4), so erwählte er sich auch Israel zu seinem Diener, rettete Jakob, dessen Treulosigkeit er vorhergesagt (43,10–13) und den er von Mutterschoß an bis ins hohe Alter zu tragen versprochen hatte (46,3–5). Mit der gleichen Intensität, mit der JHWH sich als »der Erste und auch der Letzte« um Israels Existenz kümmert, herrscht er auch über Himmel und Erde (48,12–14). Aus diesem Engagement für Israel ergibt sich, dass er allein, JHWH, dieses Volk befreien kann und befreien wird: »nur ich, aber ich gewiss«.97 Er wischt dessen Sünden aus (43,25), tröstet ihn (51,12) und führt ihn zur Erkenntnis seines Namens (52,6). Kurzum, JHWHs einzigartiges Gottsein und seine alles übertreffende Macht manifestieren sich in seinem effektiven Engagement für Israel: Weil er der allein rettende Gott ist, ist er auch der einzige! Der Satz »Ich bin JHWH/Ich bin es« ist also kein Gottestitel, sondern bezeichnet den Einzigkeitsanspruch und die Rettungsabsicht dieses Gottes, zu dessen Bekenntnis Israel vor den Augen der Völker aufgefordert und bestimmt ist. Diese Aussage hat sich zum Schlüsselwort monotheistischer Gottesvorstellung entwickelt, und zwar nicht als ein von außen auferlegtes Theorem, sondern als die erfahrbare und erfahrene Garantie der Errettung eines unterjochten Volkes.

      Die Theorien zur Entstehung des dritten Buchteils (Kap. 55–66) fallen recht unterschiedlich aus, doch spricht man ihm im Allgemeinen eine gewisse Eigenheit zu. Das Hauptthema ist Zion, und zwar genauer der Gegensatz zwischen dem schleppenden Wiederaufbau und den hohen Erwartungen, die JHWH für seine Stadt hegt. Da diese Kapitel nach allen Entwicklungshypothesen eng an Jes 1–39 und 40–54 anschließen, ist es nicht verwunderlich, dass die Gottesnamen und Metaphern weiterentwickelt werden, wobei spezielle inhaltliche Akzentuierungen auffallen. Zwei Beispiele sollen zur Illustration dienen:

      JHWH steht gegenüber Zion im besonderen Verhältnis eines Ehemannes zu seiner Braut bzw. Frau. Die Personifikation der Stadt hatte schon zuvor Spuren im Buch hinterlassen. So bezeichnet JHWH sie in der Einleitung als Hure, die er zur »Stadt-der-Gerechtigkeit« (1,21–23) umformen will. Der Prophet lädt sie dazu ein, die Großtaten Gottes unter den Völkern zu verkünden (12,6). Als »die Jungfrau, die Tochter Zion« erhebt sie ihre Stimme gegen den König von Assur (37,22–23), als Freudenbotin kündet sie den Städten von Juda die siegreiche Ankunft JHWHs an (40,9).

      In ihrer Klage nimmt Zion in den Kap. 49–54 eine neue Gestalt an: »Verlassen hat mich JHWH, der Herr hat mich vergessen« (49,14), worauf Gott sofort antwortet: »Vergisst eine Frau ihren Säugling, dass sie sich nicht erbarmt über den Sohn ihres Leibes? Selbst wenn diese es vergessen würden, werde doch ich dich nicht vergessen« (49,15). JHWH spricht Zion als Mutter der verlorenen und wiedererlangten Kinder an (V. 17–26), wobei sie zugleich Züge einer Braut annimmt: »Wie Schmuck wirst du sie alle [=deine Kinder] anlegen, und wie eine Braut wirst du sie dir umbinden« (V.18). Die nachfolgende Passage geht noch einen Schritt weiter, denn darin ist Mutter Zion nun explizit JHWHs Braut: »Wo ist denn der Scheidebrief eurer Mutter, mit dem ich sie verstoßen hätte?« (50,1; vgl. 51,18: »Keines von all [ihren] Kindern leitet sie«). Die Brautmetapher kommt in Kap. 54 zur vollen Entfaltung, und zwar im Verhältnis JHWHs zu einer namentlich nicht genannten Frau, hinter der sich niemand anders als Zion verbergen kann. Ihre neue Kinderschar wird zahlreich sein (V. 1–3), »denn der dich gemacht hat, ist dein Gemahl, JHWH Zebaot ist sein Name, und dein Erlöser ist der Heilige Israels« (V. 5).

      In Kap. 55–66 wird dieses Paradigma fortgesetzt, wobei der Aspekt Zions als Braut JHWHs nicht mehr ganz so eng mit ihrer Mutterschaft verbunden ist. Doch im Bild der Stadtfrau kommt dieses Motiv erneut zum Tragen (60,4.9.14.16; 66,7–11). Eine ähnliche Metaphorik scheint auch in 61,10–11 vorzuliegen. Es ist exegetisch umstritten, wer hier spricht: der gesalbte Herrscher, der Freudenbote der Befreiung