Als junger Kerl, mit achtzehn oder neunzehn, spielte ich in der 1. Mannschaft Meißens mein erstes Spiel: Vorn standen die Veteranen. Dann kam ’ne Weile nichts. Und ganz hinten stand ich. Wir spielten gegen das große Empor Wurzen. Thomale machte zwei Tore. Ich rückte sofort vor in den Bereich der Altgedienten. Ich war ein frecher Spieler, wurde von ihnen anerkannt, war der junge Kerl, der es draufhatte. Erste Saison: 27 Spiele und 13 Tore.
In Meißen stand das Hotel Hamburger Hof, in dem oben im Saal, im Restaurant, regelmäßig Tanzabende veranstaltet wurden. Im Saal hingen Bilder der Meißener Mannschaft. In der Mitte stand der Mittelstürmer Thomale. Man sah, dass ich der Jüngste war, so’n bissel der Shootingstar. Das hat mich mit Stolz erfüllt.
REGINE THOMALE | Als ich Ulli kennenlernte, war ich sechszehneinhalb. Ich besuchte mit meiner zehnten Klasse eine Winterfreizeit in Voigtsdorf im Erzgebirge. Ulli war mit seiner Abiturklasse dort. Ich machte mein Abitur und erlernte nebenbei den Beruf einer Zierpflanzengärtnerin. Wir haben uns in Voigtsdorf sehr lose befreundet, es war nichts Festes. Das mit uns hat sich erst mit der Zeit entwickelt, ich habe beizeiten verstanden, das ist ein junger Mann, für den steht Fußball an erster Stelle. Das hat er mir auch manchmal gesagt. Wenn ich mit sechszehneinhalb, siebzehn Tanzstunde nahm und Lust verspürte, am Wochenende irgendwo aufzuschlagen, da hatte der keine Zeit. (LACHT) Da bin ich eben anderweitig unterwegs gewesen.
Ich durfte zu Hause nicht sagen, dass ich einen Freund hab. Mein Vater war sehr konservativ, sehr streng. Er hat mir gesagt: „Bevor du’s Abitur nicht in der Tasche hast, kommt mir hier kein Kerl ins Haus.“
Ich wuchs im Tal der Ahnungslosen auf, so nannte man das Elbtal, weil es ohne Westfernsehen und Radio auskam. Für mich war die DDR der Kosmos und ringsum: Keine Ahnung, was da noch war. Ich wusste es nicht. Es wurde bei uns zu Hause auch nicht diskutiert.
Wenn meine Oma von der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg erzählte, wurde sie von meinen Eltern in die Schranken verwiesen. Mit der Begründung: „Du bringst die Kinder in Konflikte.“ Damit wir in der Schule ordentlich marschieren konnten, in der Sache, die politisch in der DDR lief. Obwohl ich als Kind die Gängelei und den Pionierkram nicht so negativ empfunden hab. Ich hatte ein Halstuch der Pioniere, aber mit der Ideologie nix am Hut.
Ulli und ich hatten nicht sofort eine feste Beziehung, das hat sich im Lauf der Jahre langsam entwickelt, wir pflegten ein heimliches Verhältnis. Wir haben uns immer mal gesehen, zu Hause sagte ich, dass ich zum Sport gehe. Meine Mutti war eingeweiht.
Als ich mein Abitur in der Tasche hatte und gleichzeitig meine Ausbildung als Zierpflanzengärtnerin beendete, war der große Zeitpunkt gekommen. Ich durfte Ulli zu Hause vorstellen. (LACHT) Mein Vater war Fußballanhänger, und weil der Ulli in unserer Heimatstadt Meißen Fußball spielte, war die Sache dann gegessen und alles lief wesentlich entspannter.
Ich wollte nach dem Abitur studieren und hatte in Leipzig einen Studienplatz für Deutsch und Geschichte im Lehramt. Eigentlich wollte ich immer auf’n Bau, Häuser und Fabriken für Menschen bauen. Das hat mich schon als kleines Kind fasziniert, alles, was mit Bau zu tun hatte. Wenn man in der DDR aber Architekt werden wollte, musste man ’ne Lehre auf dem Bau machen. Maurer mit Abitur.
„Das kommt nicht infrage. Du gehst nicht auf’n Bau!“, sagte mein Vater.
In der zehnten Klasse bin ich von Architektin auf Lehrerin umgeschwenkt: Na ja, wenn der dir das verbietet, dann kannst du das nicht machen. Du bist finanziell noch von deinen Eltern abhängig. Also gut.
Der Ulli und ich, wir haben gedacht: Och ja, kriegen wir hin. Für mich hatte das Studium Priorität vor allem. Meine Überlegung war: Am Wochenende bin ich bei ihm in Dresden, und da können wir uns sehen. Er spielte Fußball und absolvierte sein Fernstudium. Dann passierte etwas, was meine Einstellung zum Staat und meine Haltung grundsätzlich infrage stellte.
Vor Studienbeginn sind wir in die Sommerferien gegangen. Ich bekam einen Brief von der Uni in Leipzig, es gab damals kein Internet, und schnelles Telefonieren war auch nicht. Die Uni teilte mir lapidar mit, dass meine Studiengruppe für Deutsch und Geschichte aufgelöst wurde. Weil die jungen Männer ihren freiwilligen Dienst bei der NVA antraten. Aus diesem Grund würde ich der Seminargruppe „Staatsbürgerkunde/Geschichte“ zugeteilt.
Ich war völlig kopflos und von der Rolle. Ich wusste nicht weiter. Staatsbürgerkunde war für mich keine Option. Das war für mich kein Schulfach, das war Gelurxe. (LACHT) Man lernte nichts fürs Leben, nur politische Indoktrinierung.
Also hab ich mit meinen Eltern darüber gesprochen. Mein Vater: „Keine Ahnung, warum willst’n das nicht machen?“ „Ja. Weiß ich nicht, das mach ich nicht.“
Jetzt stand ich da. Was ich studieren wollte, ging plötzlich nicht. Und mit’m Ulli, der mit seinem Fußball intensiv beschäftigt war. Ich dachte: „Scheiße, Staatsbürgerkunde mach ich nicht. Ich bewerbe mich einfach an ’ner anderen Uni.“
Also hab ich mich in Halle beworben, für Deutsch und Geschichte. Ich wurde zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Bei der Hallenser Unikommission fragte man mich: „Wieso bewerben Sie sich denn hier in Halle? Sie haben doch einen Studienplatz in Leipzig?“
Ich hab das nicht geschnallt. Die wussten also, dass ich einen Studienplatz in Leipzig für Staatsbürgerkunde/Geschichte hatte. Ein Gespräch fand gar nicht statt: „Sie fahren nach Hause, das ist unlauter, was Sie hier machen, Sie haben einen Studienplatz und bewerben sich nochmal.“
Es war Mitte August. Ich hatte keinen Studienplatz. Ich musste irgendwas machen. Ich sah keine Chance, irgendwo zu studieren. Ich musst eine Arbeit finden. Ich war neunzehn.
In meiner Verzweiflung hätte ich als Gärtnerin arbeiten können, ich hatte ja einen Facharbeiterbrief. Aber das war eine viel zu schwere Arbeit für mich.
Ich bewarb mich in einem Kinderhort und wurde angenommen, ohne Ausbildung. Ich hab ein Jahr im Kinderhort gearbeitet und dort eine Gruppe Kinder aus der dritten Klasse betreut. Das hat mir Spaß gemacht. Nach einem Jahr habe ich mich wieder in Leipzig um einen Studienplatz Deutsch/Geschichte beworben, dummerweise war das nur an wenigen Unis möglich. Leipzig antwortete, ich gelte jetzt nicht mehr als Abiturientin, sondern als berufstätig. Sie könnten mich für einen Studienplatz nicht zulassen.
Ich verstand die Welt nicht. Der letzte Ausweg für ein Studium in DDR hieß Unterstufenlehrerin, heute sagt man Grundschullehrerin. Fachschulstudium. Ich hatte die Hoffnung, Ach ja, dann mach ich erst mal das, ich werde schon irgendwie weiterkommen. Ich arbeitete am Tag, abends war ich müde. Ulli und mir blieben die Wochenenden nach dem Fußball. Ich bin dann zu ihm nach Dresden gefahren. Unsere gemeinsame Zeit war knapp bemessen. Eigentlich wussten wir voneinander wenig. Ulli: Fußball, Fußball, Fußball. Das war immer wichtig, er war als Spieler sehr, sehr ehrgeizig.
Mein Fachschulstudium in Nossen hätte ich am ersten Tag fast wieder hingeschmissen. Das Studium begann mit einem mehrwöchigen Einsatz in der Kartoffelernte in Mecklenburg. Alle Studenten mussten hin. Studieren stellte ich mir anders vor. Nachdem wir wieder zu Hause waren, kam der nächste Hammer: ein Lager für vormilitärische Ausbildung. Ich wollte das nicht.
Mein Vater sagte: „Das musste dir jetzt überlegen. Das ist deine letzte Chance. Wenn du das jetzt auch hinschmeißt, da sitzt du da. Und die lassen dich nicht studieren.“
Also hab ich wie alle anderen Studenten das Lager für vormilitärische Ausbildung absolviert. Dieser ganze ideologische Mist, in ein Ohr rein und zum anderen Ohr wieder raus. Endlich begann das Studium. Es war methodisch das Beste, was ich jemals lernte. Sie hatten richtig gute Leute für die Fächer Erstlesemethodik, Erst-Mathe-Methodik. Man kann einer ersten Klasse nicht Lesen, Schreiben, Rechnen und Mathe vermitteln, wenn man das nicht gelernt hat, selbst wenn man selbst gut in Rechtschreibung und in Mathe ist.
ULLI THOMALE | Irgendwann fand ein Hallen-Turnier in Dresden statt. Dort wurde die SC Einheit Dresden auf mich aufmerksam. Einheit war der Nachfolgeverein des Dresdner SC, des Dresdner Sportclubs 1898 e. V.
Der DSC war ein traditionsreicher Sportverein, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgreich war und 1943 sowie 1944 die deutsche